# taz.de -- Konzert von Nick Cave in Hamburg: Herausgeschälte Kerne | |
> „Ein unglaublicher Ort“: In der Elbphilharmonie eröffnete Nick Cave seine | |
> Europatour. Zu erleben waren konzentrierte Songs und ein wenig | |
> Koketterie. | |
Bild: Die Chaos-Tage sind vorbei: Nick Cave solo | |
Auf dem Weg zur [1][Elbphilharmonie]. Die Mahatma-Gandhi-Brücke säumen | |
ungewöhnlich viele Menschen, Pärchen, Freund:innen, Einzelne, etliche | |
halten Schilder hoch: „Karten gesucht“. An ihnen vorbei promenieren die | |
Glücklichen, die im Vorverkauf tatsächlich eins der heißbegehrten Tickets | |
für [2][Nick Caves] allerersten Auftritt im poshen Konzerthaus in der | |
Hamburger Hafencity ergattert haben. Einige tragen an diesem so sonnigen | |
Frühabend Shorts und T-Shirt, manche, sie sind in der Minderheit, schickere | |
Outfits. Alles an diesem Bild sagt: Schwarze Kluft ist, zumindest für die | |
treue Cave-Gefolgschaft, anders als früher kein modisches Diktat mehr. | |
Immerhin, der australische Musiker selbst ist seinem Stil treu geblieben: | |
schwarzer Anzug, Krawatte, Lackschuhe, naturgemäß alles ein bisschen | |
eleganter geworden über die Jahre. Er ist eben kein junger Wilder mehr, | |
obwohl er, etwa bei den Bad-Seeds-Shows, mit seiner Energie manche | |
30-Jährigen ziemlich alt aussehen lässt. | |
An diesem Abend ist aber alles anders. Nick Cave kommt solo, beinahe: | |
Begleitet wird er nur vom [3][Radiohead]-Bassisten Colin Greenwood. Bevor | |
er sich überhaupt an seinen Flügel gesetzt hat, brandet Applaus auf. Man | |
begreift in diesem Augenblick, warum in Konzertkritiken so verlässlich das | |
Hohepriester-Klischee heraufbeschworen wird, um die Aura dieses Künstlers | |
zu beschreiben. Ja, es stimmt: Er hat Charisma. | |
Schon als er den Opener „Girl in Amber“ singt, scheint die Zeit | |
stillzustehen. Das ist wunderschön, für viele ist es wohl ein magischer | |
Moment – einer von vielen in diesen mehr als zwei Stunden. | |
Berührend, wie sich Nick Cave mit seinem Bariton durch die Ballade „I need | |
you“ barmt und fleht. Bei „Jesus on the Moon“ packt er am Schluss die | |
Akkorde etwas härter an. Er spielt, er singt, er findet Gefallen daran, mit | |
dem Publikum zu plaudern. [4][Die Rolle des Nahbaren] hat er inzwischen | |
perfektioniert. Dass er das Intro von „Cinnamon Horses“ gleich zweimal | |
versemmelt hat, lacht er einfach weg und heimst so nonchalant weitere | |
Sympathiepunkte ein. | |
„Wir besuchen während dieser Tour [5][nur Städte, die wir mögen]“, | |
kokettiert er. „Hamburg ist eine davon.“ Die Elbphilharmonie hält er für | |
einen „unglaublichen Ort“. Klingt nach einer etwas durchsichtigen | |
Lobhudelei, aber geschenkt. Weit faszinierender ist sowieso, wie der | |
67-Jährige hier aus teils kantigen Stücken deren Kern herausschält. „Ich | |
bringe die Songs zurück zu ihrer Essenz“, erklärt er. „So präsentiere ich | |
sie den Bad Seeds im Studio, bevor sie daraus etwas Monströses machen.“ | |
Mit am besten illustriert diese Idee an diesem Abend „The Mercy Seat“: Bei | |
dieser Nummer hat Colin Greenwood, der die Titel wohldosiert und feinsinnig | |
untermalt, mal Pause, während Nick Cave dem Piano düster-grollende Töne | |
entlockt. Sie fangen die Stimmung dieses Krachers von 1988 passgenau ein, | |
nur eben weniger wuchtig. | |
Als dieser Klassiker entstand, pflegte der Ex-Junkie noch einen exzessiven | |
Lebensstil. Wer jemals einen Gig seiner Vorgängerband Birthday Party | |
besucht oder [6][die Dokumentation „Mutiny in Heaven: The Birthday Party“] | |
gesehen hat, weiß: So gesittet wie in der Elbphilharmonie ging es bei Nick | |
Cave nicht immer zu. Er hatte einst Spaß daran, live zu provozieren. Nicht | |
selten mündete ein Konzert in einer Schlägerei. | |
Bis er genug von diesem Chaos-Tage-Feeling hatte. Im Gegeneinander hat er | |
irgendwann keinen Sinn mehr gesehen, heute ist er auf der Suche nach dem | |
Miteinander. | |
## Von Anfang an ergreifend | |
Seitdem er zwei seiner vier Söhne verloren hat, ist er zusehends | |
zugänglicher geworden. Für das Buch „Faith, Hope and Carnage“ zum Beispiel | |
hat er mehr als 40 Stunden sehr persönliche Gespräche mit dem Journalisten | |
Seán O’Hagan geführt. Ob Drogen, Familienleben oder Glaubensfragen: Alles | |
kommt da auf den Tisch. Auch Blixa Bargelds abrupter Ausstieg bei den Bad | |
Seeds. | |
Ohne ihn singt Nick Cave in der Elbphilharmonie „The Weeping Song“. Mal in | |
der Rolle des Vaters, mal als Sohn. Das funktioniert erstaunlich gut. „The | |
Ship Song“ preist er als seinen Hit an, dabei ebnete ihm eigentlich ein | |
Duett mit [7][Kylie Minogue] 1995 den Weg zum Erfolg: Bis heute ist | |
[8][„Where the wild Roses grow“] die mit Abstand erfolgreichste Single, für | |
die jedoch im Soloprogramm kein Raum ist. | |
Stattdessen covert Nick Cave in der Zugabe [9][Leonard Cohens] „Avalanche“. | |
Dieses Lied, erzählt er, sei für ihn als Teenager immens wichtig gewesen. | |
Es stillte seine Sehnsucht, die Melancholie dieses Titels war schlichtweg | |
unwiderstehlich für ihn. Nun jongliert er selbst souverän mit | |
melancholischen Songs wie „Into my Arms“. | |
Ganz am Schluss animiert er das Publikum, den Refrain dieses Stücks | |
mitzusingen. Eine recht distinguierte Geste. Nostalgiker:innen könnten | |
sich fragen: Wo ist das Brachiale geblieben? In Hamburg feiert man Nick | |
Cave jedoch lieber mit Standing Ovations. Zu Recht: Dieser Auftritt ist | |
wirklich von der ersten Sekunde an unter die Haut gegangen. | |
23 Jun 2025 | |
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[8] https://www.youtube.com/watch?v=xBq_PSg3vHc&pp=0gcJCdgAo7VqN5tD | |
[9] /Buch-Leonard-Cohens-Stimme/!6054660 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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