| # taz.de -- „Querdenker“ in der Justiz: Richter mit politischer Mission | |
| > Zwei Amtsrichter verfolgen während der Pandemie eine politische Agenda | |
| > gegen Coronamaßnahmen. Die Dienstaufsicht schwankt zwischen Härte und | |
| > Toleranz. | |
| Bild: Amtsrichter Christian Dettmar (Mitte) mit seinen Anwälten am Landgericht… | |
| Hamburg taz | Jahrzehntelang haben die Amtsrichter Christian Dettmar und | |
| Matthias Guericke am Amtsgericht Weimar nebeneinander Ehen geschieden oder | |
| Verkehrssünder bestraft – bis sie der rechtliche Kampf gegen die | |
| staatlichen Coronamaßnahmen zusammenführte. Für Dettmar hatte das fatale | |
| Folgen. | |
| Denn der hat juristische Geschichte geschrieben: Im November 2024 hat der | |
| Bundesgerichtshof seine Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Erfurt | |
| verworfen, das ihn wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von zwei | |
| Jahren mit Bewährung verurteilt hatte. Mit diesem Urteil verlor der | |
| 61-jährige Dettmar auch alle Pensionsansprüche. | |
| Sein richterliches Engagement gegen die Maskenpflicht in Schulen, | |
| Abstandsgebote und PCR-Tests an zwei Thüringer Schulen hatten ihn in eine | |
| Sackgasse getrieben. Dettmar hatte 2021 gezielt ein Verfahren wegen | |
| Kindeswohlschutz initiiert, damit er in der Pandemie an Weimarer Schulen | |
| die Maskenpflicht untersagen konnte. In der deutschen Rechtsgeschichte ist | |
| es das erste Urteil wegen einer [1][politisch motivierten Rechtsbeugung]. | |
| Laut Urteil des Bundesgerichtshofes standen Dettmar und Guericke während | |
| des gesamten Verfahrens in „regem Austausch“. Nach taz-Informationen aus | |
| Justizkreisen soll Letzterer sogar eine Art Mentor für den Verurteilten | |
| gewesen sein. Nach den Feststellungen des Landgerichts Erfurt soll Dettmar | |
| seinen ehemaligen Kollegen Guericke immer wieder um Rat gebeten und ihn | |
| über das Verfahren auf dem Laufenden gehalten haben – unter anderem über | |
| das „phantastische Gutachten von Frau Kappstein“, über das er schrieb: „… | |
| Fall geht nun über das Rechtsstaatliche hinaus, aber das war von Anfang an | |
| meine Absicht.“ | |
| ## Disziplinarrechtliche Gefahrenzone | |
| Dass die beiden Amtsrichter dabei in eine disziplinarrechtliche | |
| Gefahrenzone geraten konnten, war ihnen bewusst. Das geht aus einem | |
| Protokoll des „Netzwerks Kritischer Richter und Staatsanwälte“ hervor, das | |
| Guericke mitgegründet hatte. Dettmar war ihm beigetreten. Die Ziele des | |
| Netzwerkes: richterlicher Widerstand gegen die staatlichen | |
| Anti-Corona-Maßnahmen und „dienstrechtlicher Schutz“ seiner Mitglieder, | |
| also Unterstützung bei möglichen Disziplinarmaßnahmen. „Bisher besteht für | |
| jeden Einzelnen die konkrete Gefahr dienstrechtlicher Repressalien und | |
| Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf das zu beachtende Mäßigungsgebot“, | |
| hielten sie im Protokoll fest. | |
| Amtsrichter Guericke hatte zuvor als Privatmann schon zweimal vergeblich | |
| gegen die Maskenpflicht geklagt, bevor er einen Coronasünder freigesprochen | |
| hat, wobei er die Thüringer Maskenpflichtverordnung für verfassungswidrig | |
| und nichtig erklärte. Das Urteil brachte ihm ebenfalls ein | |
| Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung ein. Das stellte die | |
| Staatsanwaltschaft Gera zwar ein, weil sie ihm keine vorsätzliche | |
| Rechtsverletzung nachweisen konnte, versah aber den Einstellungsbeschluss | |
| mit einem vernichtenden Kommentar: „Die rechtlichen Mängel des Urteils | |
| legen einen schwerwiegenden Rechtsverstoß in objektiver Hinsicht nahe.“ | |
| Auch Richter Guericke entging also nur knapp einer Anklage wegen | |
| Rechtsbeugung, er agierte offenbar geschickter. | |
| Dettmar hingegen hatte Kindeswohlverfahren von Anfang an als Teil einer | |
| politischen Kampagne inszeniert: Er hatte an den sogenannten | |
| „Corona-Spaziergängen“ teilgenommen, ohne Maske verhandelt und geplant, | |
| seine Gerichtsentscheidung zu veröffentlichen, um „den Druck für künftige | |
| gerichtliche Entscheidungen zu erhöhen“. Diese Mission bezahlte Dettmar mit | |
| seinem beruflichen Aus. Der Bundesgerichtshof warf ihm zahlreiche | |
| „elementare Verfahrensverstöße“ vor. Unter anderem hatte er Eltern dazu | |
| bewogen, Kindeswohlverfahren gegen die Maskenpflicht einzuleiten – für die | |
| er selbst zuständig war. Zudem wählte Dettmar nur Gutachter aus, die seine | |
| Außenseitermeinung zu den Pandemiegefahren teilten. Diesen Hintergrund habe | |
| dieser in den Akten zum Teil „verheimlicht und verschleiert“. Damit habe er | |
| die „ihm als Richter von der Verfassung zugewiesene Machtposition | |
| missbraucht“. | |
| Dettmar und Guericke gehören zu einer kleinen Gruppe von | |
| Anti-Corona-Richtern, die ab 2021 ihre richterliche Unabhängigkeit | |
| zweckentfremdet haben, um mit ihrer Rechtsprechung eine politische Agenda | |
| gegen staatliche Eindämmungsmaßnahmen zu verfolgen. Viele Juristen halten | |
| das für eine verhängnisvolle Politisierung der Rechtsprechung, die neben | |
| Coronaverfahren seit einiger Zeit auch in Prozessen mit politischem | |
| Hintergrund zu beobachten sei – wo wiederum rechtspopulistische oder | |
| rechtsextreme Richter und Staatsanwälte mitgewirkt haben. | |
| Zwar sind das bisher nur Einzelfälle, aber diese schaden der | |
| Glaubwürdigkeit der Justiz: In Gera ist ein AfD-naher Staatsanwalt | |
| aufgefallen, weil er alle Ermittlungsverfahren gegen AfD-Mitglieder und | |
| rechte Eiferer eingestellt hat, während er linke Beschuldigte hartnäckig | |
| verfolgt hat. Bei [2][einem rechten Verwaltungsrichter in Gera hatten | |
| Asylbewerber aus Afrika kaum Chancen]. | |
| ## Dienstaufsicht blieb untätig | |
| Was man künftig von einigen rechtspopulistischen Robenträgern | |
| möglicherweise erwarten kann, hat der rechtsextremistische ehemalige | |
| [3][AfD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Landrichter Jens Maier angedeutet]: | |
| „Wenn Angeklagte AfD-Richter fürchten, haben wir alles richtig gemacht.“ | |
| Damit heißt Maier eine von seiner Gesinnung geprägte Ausübung des | |
| Richteramtes gut. Seitdem die AfD in den Richterwahlausschüssen in | |
| Thüringen und Brandenburg [4][über eine Sperrminorität verfügt], hat die | |
| Partei langfristig genug Erpressungspotenzial, um Justizjuristen ihrer | |
| politischen Couleur durchzudrücken. | |
| Umso wichtiger wird künftig die richterliche Dienstaufsicht durch | |
| Gerichtspräsidenten, Justizministerien und Richterdienstgerichte. Bei | |
| Richtern ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit durch das sogenannte | |
| „Mäßigungsgebot“ und das „Gebot politischer Neutralität“ eingeschrä… | |
| Nach dem Deutschen Richtergesetz hat sich ein Richter „innerhalb und | |
| außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, | |
| dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“. | |
| Unvereinbar mit diesen Grundsätzen und disziplinarrechtlich von Belang ist | |
| damit jede politisch motivierte Prozessführung, worauf die Dienstaufsicht | |
| mit Vorhalten, Verweisen, Geldbußen und sogar Entlassungen reagieren kann. | |
| Die damalige Landgerichtspräsidentin und Disziplinarvorgesetzte Renate | |
| Schwarz hat auf Guerickes Polemik disziplinarisch allerdings nicht | |
| reagiert. Dabei argumentierte dieser politisch und subjektiv, als er einen | |
| Coronasünder freisprach: Der Lockdown beruhte für Guericke auf | |
| „Schreckensszenarien“, ein „Strategiepapier“ des Bundesinnenministeriums | |
| nannte er in seiner Urteilsbegründung „Science-Fiction“ und die „Politik | |
| des Lockdowns“ war für ihn eine „katastrophale politische | |
| Fehlentscheidung“. | |
| Schon 2020 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass „die persönliche | |
| Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne | |
| Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen eines Urteils nichts zu suchen“ | |
| hat. | |
| ## Klare Verstöße | |
| Die Staatsrechtler Michael Brenner und Christian Hillgruber sehen hier ein | |
| Versagen der Dienstaufsicht, wie taz-Anfragen ergeben haben. Für Brenner | |
| hat Guericke mit der Kritik an der Anti-Corona-Politik der Bundesregierung | |
| als „katastrophale politische Fehlentscheidung“ die „Grenzen richterlicher | |
| Zurückhaltung bei Weitem überschritten“. Auch für den Bonner Staatsrechtler | |
| Hillgruber ist klar, dass sich ein Richter in diesem Fall nicht „auf | |
| Grundrechte berufen“ kann. | |
| Umso drängender wird die Frage, wie die Dienstaufsicht künftig mit solchen | |
| Fällen umgeht: Denn Guericke mäßigte sich nach dem Urteil des | |
| Bundesgerichtshofes nicht. Im Gegenteil: Auf der Homepage des „Netzwerkes | |
| Kritischer Richter und Staatsanwälte“ beklagte er das „nahezu | |
| flächendeckende Versagen der Justiz in der Coronakrise“ und befand, dass | |
| diese bis auf ein paar Ausnahmen den „Verfahren mit politischer Relevanz | |
| nicht gewachsen“ sei. Richter seien „unfähig“, dem „Konsensdruck der | |
| politisch Mächtigen“, den „Erwartungen der politmedialen Öffentlichkeit u… | |
| dem ubiquitären Hang zum Konformismus innerhalb der Justiz zu widerstehen“. | |
| Guericke warf seinen Kollegen „Missachtung des juristischen Handwerks“ und | |
| „sprachlos machende Ignoranz gegenüber unerwünscht erscheinenden Tatsachen | |
| und Argumenten“ vor. | |
| Nach Meinung des Jenaer Staatsrechtlers Brenner „überschreiten“ auch diese | |
| „Passagen“ wegen „ihres pauschalen, undifferenzierten und teilweise auch | |
| diffamierenden Charakters die richterlichen Gebote der Mäßigung und | |
| Zurückhaltung bei Weitem“. Für den Bonner Verfassungsrechtler Hillgruber | |
| enthält Guerickes „Kommentar“ „Pauschalurteile an einer willfährigen, | |
| opportunistischen, politisch allzu folgsamen Justiz“, die „in dieser Form | |
| maßlos übertrieben sind und jede Mäßigung vermissen lassen“. Auch hier | |
| sehen die beiden Verfassungsrechtler klare Verstöße gegen das richterliche | |
| Dienstrecht. | |
| Eine offizielle Anfrage bei seiner Dienstvorgesetzten, der Präsidentin des | |
| Landgerichts Erfurt, Kerstin Lossin-Weimar, ob sie gegen Guericke | |
| disziplinarische Maßnahmen ergriffen habe, beantwortet sie nicht: Alle | |
| „Richterinnen und Richter haben Anspruch auf Fürsorge und Schutz vom | |
| Dienstherrn“, schreibt sie nur. Inoffiziell ist bekannt, dass sie bislang | |
| nicht gegen Guericke disziplinarisch vorgegangen ist. Viele Juristen halten | |
| das für falsche Toleranz, während Richter wie Guericke die Politisierung | |
| der Justiz weiter vorantreiben. | |
| 30 Jun 2025 | |
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| Joachim Wagner | |
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