# taz.de -- Hula auf der Pfaueninsel: Die Suche nach dem Aloha-Spirit | |
> Eine Gruppe aus Berlin performt den Tanz Hula im Gedenken an Harry | |
> Maitey, den ersten Hawaiier in Preußen. Dass das merkwürdig ist, finden | |
> sie nicht. | |
Bild: Im Gedenken an Harry Maitey: Hula-Tanz auf der Pfaueninsel im Wannsee | |
Berlin taz | Die Insel liegt ruhig im Wasser, dicht bewachsen mit | |
Sträuchern, Gras und alten Bäumen. Die Sonne brennt vom Himmel, es sind | |
knapp 30 Grad. Leises Blätterrascheln vermischt sich mit einer | |
träumerischen Musik, die vom Wind über die Wiese getragen wird. Dort | |
bewegen sich Tänzerinnen zum melodischen Klang einer Ukulele. | |
Ihr Tanz ist sinnlich. Sanfte Bewegungen fließen durch ihre Körper, über | |
die Arme bis in die Fingerspitzen. Sie tragen Blumen im Haar und lange rote | |
Röcke, sie lächeln anmutig, bewegen die Hüften hin und her. Sie tanzen | |
einen Hula 'auana, die moderne Form des hawaiischen Hula-Tanzes. Aber nicht | |
im Pazifik, sondern in Steglitz-Zehlendorf, auf der Pfaueninsel im Wannsee. | |
Es wird Bier und Hawaii-Bowle getrunken, an einer Bude gibt es Bratwurst. | |
Die Veranstaltung des Hula-Vereins am vergangenen Samstag findet zu Ehren | |
Harry Maiteys statt. 1823 soll Maitey als erster Mensch aus Hawaii ins | |
damalige Preußen gekommen sein. „Aus eigenem Entschluss ist er in die Welt | |
gezogen und hat sich hier in Berlin ein neues Leben aufgebaut“, erklärt | |
Thomas Tunsch dem Publikum, das auf Picknickdecken auf der Liegewiese | |
sitzt. Harry Maitey lebte lange auf der Pfaueninsel, wurde in Preußen | |
getauft, konfirmiert, hat geheiratet. Er sei „kein Exot“ gewesen, sagt | |
Tunsch, „sondern hat den ersten Hula aus Hawaii nach Berlin gebracht“. | |
Tunsch ist tagsüber wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum für Islamische | |
Kunst, abends tanzt er Hula. 2004 hat er zusammen mit anderen Begeisterten | |
den Verein „No Ka Ho’omana'o Ana la Berlin“ gegründet und will damit ein | |
kleines Stück Hawaii nach Berlin holen – die „Hula-Diaspora“ nennt er da… | |
Knapp 30 Mitglieder zwischen 26 und 65 treffen sich regelmäßig, um die | |
Tänze zu lernen. „Hula ist die Sprache des Herzens und deshalb der | |
Herzschlag des hawaiischen Volks“, sagt Tunsch. „Wenn wir in Berlin Hula | |
tanzen, machen wir diesen Herzschlag fernab der Inseln im Pazifik hörbar“. | |
## Erzählen durch Tanz | |
Hula hat auf Hawaii eine jahrhundertealte Tradition. Es gibt immer einen | |
Text und eine Choreografie, die sich aus Kombinationen von Schritten und | |
Handbewegungen zusammensetzt und synchron getanzt wird. Der Text wird durch | |
Gesten dargestellt, die Mimik interpretiert die emotionale Stimmung des | |
Liedes. Die Geschichten Hawaiis wurden über Generationen hinweg durch das | |
Hula-Tanzen erzählt und überliefert. Hula sei das „wichtigste Kulturerbe | |
Hawaiis“, sagt Tunsch, der barfuß auf der Wiese steht und traditionelle | |
Kleidung trägt. | |
Nach der Annexion Hawaiis durch die USA im Jahr 1898 wurden die hawaiische | |
Sprache und Kultur lange Zeit unterdrückt. Die Gruppe in Berlin sei ein | |
„kleiner Beitrag“, das kulturelle Erbe Hawaiis zu bewahren. Tunsch legt | |
Wert darauf, „hawaiisch“ und „Hawaiier“ zu sagen. „Hawaiianer“ habe… | |
nach der US-Annexion von der englischsprachigen Endung „hawaiian“ | |
abgeleitet. Diese Form zu vermeiden, so Tunsch, sei „Ausdruck von Respekt“ | |
und zeige das Bewusstsein der geschichtlichen Beziehungen. | |
„Mein Lieblings-Hashtag auf Instagram ist #neinnichtdasmitdemreifen“, sagt | |
Una Brockington und lacht. „Den hab ich ins Leben gerufen.“ Die 59-jährige | |
Berlinerin ist Tanzlehrerin der Gruppe und sieht es als ihre Aufgabe, den | |
wahren Hintergrund von Hula bekannter zu machen. „Damit die Leute nicht | |
denken, Hula ist Kokosnuss-BH und Lilo und Stich.“ Brockington begrüßt | |
jeden mit einem strahlenden „Aloha“ und streut fast beiläufig hawaiische | |
Wörter ein, als seien sie längst in ihren alltäglichen Sprachgebrauch | |
eingeflossen. | |
Auf Hawaii war Brockington das erste Mal auf ihrer Hochzeitsreise 1993. Sie | |
beschreibt es als „einschlägiges Erlebnis“ als sie einer hawaiischen | |
Familie beim Hula-Tanzen zusah: „Das hab ich im Herzen mit nach Hause | |
genommen.“ Seit über 20 Jahren tanzt sie selbst, hat bei verschiedenen Kumu | |
– Lehrenden aus Hawaii – Hula praktiziert und gibt ihr Wissen heute in | |
Berlin weiter. | |
## „He mele no Harry Maitey“ | |
Das Schicksal von Harry Maitey spielt eine wichtige Rolle für die | |
Tanzgruppe. Bei einer Weltumseglung ankerte die preußische Handelsfregatte | |
„Mentor“ auf Hawaii, Harry Maitey soll darum gebeten haben, mitfahren zu | |
dürfen. Während die meisten Hula von Orten auf Hawaii handeln, ist durch | |
die Verbindung Harry Maiteys mit Berlin ein eigener Hula entstanden, der | |
sein Leben auf der Pfaueninsel erzählt. | |
Der Hula Kahiko ist ein Hula im älteren, formellen Stil. Brockington kniet | |
im Gras und schlägt mit der flachen Hand auf eine Pahu, eine traditionelle | |
Trommel. Sie gibt den Takt vor, die Gruppe bewegt sich jetzt kraftvoller, | |
weniger geschmeidig. Auf die Trommelschläge beugen sie ihre Oberkörper weit | |
nach vorne und wieder zurück, heben die Arme und drehen die Handflächen. | |
„He mele no Harry Maitey“, rufen sie im chant, im Sprechgesang, „Ein Lied | |
für Harry Maitey“. | |
Um die Tanzenden herum haben sich gut hundert Zuschauende versammelt, | |
darunter viele Familien. Wenn getanzt wird, spricht kaum jemand. Ein Mann | |
mit weißem Sonnenhut und Hawaiihemd wippt im Takt. Mit einem krächzenden | |
Schrei stolziert ein Pfau zwischen den Picknickdecken und schüttelt sein | |
schillernd blaues Gefieder – Berliner Großstadtdschungel eben. | |
Von einem schattigen Platz aus schaut Rhea Schönthal zu. Sie ist auf Maui | |
geboren und hat dort als junges Mädchen Hula gelernt. Heute ist sie 91 | |
Jahre alt, eine kleine, zierliche Frau mit einer runden Sonnenbrille und | |
einer Lei, einer Blumenkette aus Rosen um den Hals. Sie erinnert sich, wie | |
sie das erste Mal von der Gruppe erfahren hat: „Ich konnte das nicht | |
glauben“, sagt sie, „Deutsche tanzen Hula? Das war für mich bizarr. Hula | |
ist so sinnlich und romantisch. Und dann die Klischeevorstellung von einem | |
Deutschen!“ Sie lacht auf. | |
## „ Im Hula bist du Teil von etwas“ | |
Als sie dann aber das erste Mal bei einer der Tanzstunden dabei war, habe | |
sie den Aloha-Spirit in der Gruppe gespürt. Nach jahrelanger Pause tanzte | |
sie damals selbst zum ersten Mal wieder. „Diese Hingabe, das Engagement der | |
Gruppe und dieses echte Interesse an der Kultur, Donnerwetter“, sagt | |
Schönthal. Hula sei für sie immer etwas Selbstverständliches gewesen, wie | |
zum Strand gehen oder Hamburger essen. „Es war so normal. Aber hier ist | |
Hula etwas ganz Besonderes.“ | |
Wenn sie die Gruppe tanzen sieht, alle synchron, spürt sie ein Gefühl von | |
Gemeinschaft. „Das ist, was uns in Deutschland fehlt. Jeder macht sein | |
eigenes Ding, aber im Hula bist du Teil von etwas Größerem.“ 14 Jahre lang | |
hat Rhea Schönthal mit der Gruppe getanzt. „Ich würde jetzt am liebsten | |
aufstehen, wenn ich fit wäre“, sagt sie, als ein Lied kommt, das ihr | |
gefällt. „Ich vermisse das Tanzen.“ | |
Man mag es ungewöhnlich finden, dass eine Gruppe Deutscher sich | |
zusammentut, um in Berlin kulturelles Wissen über die hawaiische Kultur | |
weiterzugeben. Una Brockington vertritt allerdings die Ansicht, dass es | |
dabei ganz auf die Intention ankomme: „Wir dienen dem Hula, nicht der Hula | |
uns.“ Hula sei nicht, sich ein Kostüm für 10 Euro zu kaufen, um sich an | |
Karneval „mal schick zu verkleiden“. Sie stehe in engem Austausch mit | |
Hula-Lehrenden auf Hawaii und stelle damit sicher, in deren Sinne zu | |
handeln. | |
„Ich weiß natürlich nicht alles“, sagt sie. „Wenn ich mich als weißer | |
Mensch hinstelle und den Hula verkörpern will, muss ich einen ordentlichen | |
Job machen, doppelt so ordentlich wie ein Einheimischer.“ Ihr Unterricht | |
ist Aufklärungsarbeit, verbissen soll er trotzdem nicht sein: „Hula ist bei | |
uns für alle da.“ | |
Im Laufe des Nachmittags trauen sich auch einige der Zuschauenden, | |
gemeinsam mit der Hula-Gruppe die Schritte auszuprobieren. „Das war richtig | |
toll“, sagt eine Frau mit Rucksack am Steg der Fähre zu ihren Freundinnen. | |
Sie führen nochmal vor, was sie gelernt haben: „Die Sonne“, singen sie und | |
machen eine ausladende Bewegung mit den Armen, „und der Regen.“ Die | |
einminütige Überfahrt ans andere Ufer überlebt der Aloha-Spirit dann aber | |
nicht: „Kommt ihr jetzt mal?“, ruft jemand. „Ich hab hier kein Netz!“ | |
16 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Lea Fiehler | |
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