# taz.de -- Netzwerke christlicher Fundamentalisten: „Russland ist überall“ | |
> Moskau unterstützt weltweit antifeministische Bewegungen, warnt die | |
> Aktivistin Klementyna Suchanow vor den Präsidentschaftswahlen in Polen. | |
Bild: Klementyna Suchanow enthüllt die Machenschaften des Kremls | |
Berlin taz | Ihre Ankündigung ist deutlich: „Ich verkünde keine frohe | |
Botschaft“, sagt Klementyna Suchanow. Und sie übertreibt nicht. Am | |
vergangenen Mittwoch liest die polnische Aktivistin und Journalistin in der | |
Humboldt-Bibliothek Tegel aus ihrem Buch „Das ist Krieg“ vor. Darin | |
dokumentiert sie, wie international vernetzte radikal-fundamentalistische | |
Organisationen gezielt Frauenrechte untergraben. Die Veranstaltung ist Teil | |
des Deutsch-Polnischen Literaturforums Unrast 2025, das anlässlich der | |
polnischen EU-Ratspräsidentschaft organisiert wird. | |
„Wir haben rechtsradikale und christlich-fundamentalistische Strömungen | |
lange als zu radikal abgetan, als dass wir uns ernsthaft damit | |
auseinandersetzen wollten“, sagt Klementyna Suchanow im Gespräch mit | |
taz-Redakteur Uwe Rada, „2016 dachten wir, das wäre die größte Welle. Dabei | |
war es erst der Anfang.“ | |
Die 51-Jährige war 2016 Mitbegründerin [1][der polnischen | |
„Frauenstreik“-Bewegung]. Damals versuchte die nationalkonservative | |
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), das ohnehin strikte | |
Abtreibungsrecht in Polen nochmals drastisch zu verschärfen: Abtreibungen | |
sollten vollständig verboten werden – selbst nach einer Vergewaltigung. | |
Ärzt*innen und betroffenen Frauen drohten bis zu fünf Jahre Haft. Selbst | |
bei natürlichen Fehlgeburten waren bis zu drei Jahre vorgesehen, sollte die | |
Staatsanwaltschaft ein „Selbstverschulden“ vermuten. | |
## Mittelalterliche Fundamentalisten | |
Eingebracht wurde der Gesetzesentwurf von der | |
christlich-fundamentalistischen Organisation „Ordo Iuris“. Für Suchanow | |
eine Gruppe, die exemplarisch für das steht, was sie als das „Mittelalter | |
im 21. Jahrhundert“ bezeichnet: religiöse Fanatiker, die Scheidung, | |
Sexualaufklärung, Verhütung und Abtreibung verbieten wollen und | |
LGBTQ+-Menschen verfolgen. | |
„Die Gesetzesinitiative hat uns 2016 beängstigt und wir haben uns dagegen | |
aufgelehnt“, erzählt die Aktivistin. Innerhalb von einer Woche formierte | |
sich der landesweite „Frauenstreik“. Tausende gingen auf die Straße, | |
Suchanow wurde zum Gesicht der Bewegung. Der Gesetzesentwurf wurde | |
schließlich abgelehnt. | |
2020 versuchte die PiS jedoch erneut, ein vollständiges Abtreibungsverbot | |
durchzusetzen. Trotz Pandemie und Versammlungsverbot fielen die Proteste | |
diesmal noch größer aus. Die Frauenbewegung wurde zur Sammelstelle des | |
breiten gesellschaftlichen Protests gegen die Regierung. Bei der Wahl 2023 | |
zeigte sich ihr Einfluss: Die PiS wurde abgewählt – maßgeblich dank | |
weiblicher Stimmen. | |
Doch statt den Erfolg der Frauenbewegung zu beschreiben, schrieb Suchanow | |
über den globalen Einfluss des Kremls auf Anti-Abtreibungskampagnen. „Ich | |
wollte den protestierenden Frauen zeigen, wer die Menschen auf der anderen | |
Seite der Barrikade sind“, sagt sie. Dazu verfolgte sie radikale religiöse | |
und politische Netzwerke weltweit, führte Interviews, reiste zu | |
Betroffenen, sammelte und archivierte Quellen. | |
## Oligarchen finanzieren Netzwerke | |
Sie entdeckte länderübergreifende Ähnlichkeiten: In Argentinien, Russland, | |
Polen, Südkorea wurden dieselben Narrative, Sprech- und Verhaltensweisen | |
benutzt – etwa Diffamierungen wie „Feminazi“. „Diese Parallelen erschie… | |
mir allzu bedenklich, als dass es ein Zufall sein könnte.“ Suchanow stieß | |
weltweit auf unzählige sogenannte Pro-Life-Organisationen, die eng mit dem | |
Kreml verflochten sind und von russischen Oligarchen wie Wladimir Jakunin | |
finanziert werden. | |
Alle würden dieselbe Sprache sprechen: die „Ordo-Iuris-Sprache“. „Das | |
Schlüsseljahr war 2013“, erklärt sie. In diesem Jahr intensivierte der | |
Kreml seine geopolitischen Aktivitäten, über Nacht schossen europaweit von | |
Moskau finanzierte Pro-Life-Organisationen aus dem Boden. | |
„Russland ist heute nicht mehr nur in Russland – Russland ist überall“, | |
sagt die Autorin. Eine zentrale Rolle, das ergaben ihre Recherchen, spielt | |
die aus Brasilien stammende, kremlnahe Organisation TFP (Tradition, Familie | |
und Privateigentum), die 2013 einen Ableger in Polen und anderen | |
europäischen Ländern gründete. Von ihr gingen Initiativen wie „Ordo Iuris�… | |
aus, der „Marsch für das Leben“ und „CitizenGo“, eine Petitionsplattfo… | |
gegen Abtreibungs- und Frauenrechte. TFP steht ebenso hinter dem | |
christlich-extremistischen Netzwerk „Agenda Europe“ und ihren weltweiten | |
Ablegern. Parallel dazu finanzierte der Kreml Netzwerke juristischer | |
Akteur*innen, die sich für eine Kriminalisierung von Abtreibung einsetzten. | |
Die Strategie sei kalkuliert gewesen: Moskau habe die Kampagne bewusst in | |
den westeuropäischen Ländern Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland | |
begonnen, so Suchanow. Als die Bewegung dann nach Osteuropa überschwappte, | |
wirkte sie nicht mehr wie russische Einflussnahme, da sie bereits einen | |
westlichen Anstrich hatte und somit als „sauber“ galt. | |
## Weltkongresse der Frauenfeindlichkeit | |
Die Netzwerke seien inzwischen hochprofessionell, erklärt sie. „Diese | |
Initiativen haben täglichen Mailaustausch, von Deutschland über Schweden | |
bis nach Italien.“ Treffpunkt dieser Bewegungen seien die | |
Weltfamilienkongresse, ein globales Forum zur Vernetzung | |
christlich-fundamentalistischer Organisationen mit politischen | |
Entscheidungsträger*innen. 2014 fand ein Weltfamilienkongress in Moskau | |
statt, 2019 in Verona. Damals trat sogar der italienische Rechtspopulist | |
und damalige Innenminister Matteo Salvini auf dem Kongress auf. | |
„Sie haben ihr Ziel erreicht: ihre Leute sitzen in der Politik“, sagt | |
Suchanow. [2][Anhänger*innen von Ordo Iuris seien längst in | |
Regierungskreisen etabliert,] ihre Jurist*innen säßen in beratenden | |
Gremien. „Wenn die PiS an die Macht kommt, wird der Ordo Iuris Vorsitzende | |
Polens Präsident“, warnt sie. | |
Auch Suchanow war für ihre Recherche bei mehreren Weltkongressen dabei. In | |
Madrid hätte man sie beinahe von der Polizei herauswerfen lassen, erzählt | |
sie. Immer wieder sucht sie bewusst die Konfrontation. Suchanow trifft sich | |
mit Oligarchen wie Alexey Komov. „Ich mag es, wenn sie versuchen, mich zu | |
umgarnen und zu täuschen“, sagt sie. Auf der Nachrichtenplattform X wird | |
die Aktivistin mit Nachrichten bombardiert und als russische Spionin | |
diffamiert. Aus PiS-Kreisen wurde ihr vergangene Woche vorgeworfen, mit | |
einer Gruppe in Verbindung gestanden zu haben, die in den „Schmuggel“ von | |
Einwander*innen über die Ostgrenze verwickelt war. Suchanow streitet | |
die Vorwürfe ab. | |
Auf diese Form der hybriden Kriegsführung sei der Westen unzureichend | |
vorbereitet, meint Suchanow. „Wir sind in diesem Spiel unterlegen.“ Die | |
Gegner wüssten genau, wie man Emotionen manipuliert, Hass schürt und | |
Falschinformationen verbreitet – insbesondere über die Sozialen Medien. | |
Wenig Hoffnung für die Wahlen | |
[3][Am 1. Juni stehen in Polen Präsidentschaftswahlen an.] Suchanow | |
betrachtet die Lage bereits als „schachmatt“: Der Einfluss der Rechten sei | |
so stark, dass selbst der proeuropäische Kandidat gezwungen sei, Gespräche | |
mit den Nationalisten zu führen, um eine Chance auf den Sieg zu haben. | |
Christlich-fundamentalistische Organisationen machen im Vorfeld mobil: Zwei | |
Tage vor der Stichwahl findet der „Kongress der Konservativen“ statt – | |
ausgerechnet auf dem größten Militärflughafen Osteuropas, von dem aus | |
humanitäre und militärische Lieferungen in die Ukraine starten. Teilnehmen | |
werden rechtskonservative Politiker*innen und Organisationen, darunter | |
auch Ordo Iuris. | |
Ob ihre Recherchen den polnischen Rechten in der Stichwahl schaden werden? | |
„Die Rechten hindert nichts an der Machtübernahme“, meint Suchanow. „Sie | |
sind immun gegen jede Kritik. Lügen sind heute kein Problem mehr. Es ist | |
ausweglos.“ | |
2020 erschien das Buch in Polen, seit 2023 liegt es auch in deutscher | |
Übersetzung vor: Das ist Krieg von Klementyna Suchanow, Europa Verlag, | |
übersetzt von Antje Ritter-Miller | |
25 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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