| # taz.de -- Lärmbelästigung durch Warnsignale: Die große Piep- und Blink-Sho… | |
| > Immer mehr Maschinen geben Piepstöne und Leuchtsignale von sich und | |
| > vermüllen damit die Innenstädte. Dabei brauchen wir weniger Stress, nicht | |
| > mehr. | |
| Bild: Darf sich von diesem Rant angesprochen fühlen: die dauerpiepsende Tür e… | |
| Sind Sie auch jedes Mal dankbar, wenn ein rückwärts fahrender Lkw | |
| lautestmöglich piept, weil Sie ihn sonst einfach nicht gesehen hätten? | |
| Kennen Sie vielleicht sogar die neue Berliner S-Bahn-Baureihe, die auf dem | |
| Ring fährt? Haben [1][die eskalierenden Tütütütütüt-Türsignale] Sie bere… | |
| freundlich dabei unterstützt, ein- und auszusteigen oder den Türbereich | |
| freizumachen? | |
| Mich nicht. Ich gucke, wo ich hinlaufe. Und wenn ich in der S-Bahn-Tür | |
| stehenbleibe, tue ich das, weil ich sie für jemanden hinter mir aufhalte. | |
| Eine Praxis, die sich auch durch Foltertütütüt nicht ändern wird, denn den | |
| Zug kriegen ist nun mal der Grund, warum wir überhaupt auf den Bahnsteig | |
| sprinten. | |
| Technikpaternalisten sehen das anders. Sie wollen uns zu unserem Glück | |
| zwingen – oder uns endlich Benehmen eintrichtern, das ihrer Technik | |
| entgegenkommt. Der Datenschutz- und Privatsphäre-Verein Digitalcourage hat | |
| mit seinen Big Brother Awards 2024 dem Technikpaternalismus eigens einen | |
| Preis verliehen: „Technik, die uns bevormundet, gängelt und nervt mit | |
| Besserwisserei, die Menschen Entscheidungen abnimmt, sie lückenlos | |
| überwacht, keinerlei Abweichungen, Ausnahmen oder gar Individualismus | |
| erlaubt. Sanktioniert wird mit strafendem Piepston Petzen bei Behörden oder | |
| schlicht Funktionsverweigerung.“ | |
| Der strafende Piepston wird von der S-Bahn allerdings ganz anders | |
| dargestellt, nämlich als eine notwendige Anpassung an die EU-Norm, die | |
| solche Signale regelt: Nr. 1300/2014. Auf ihrer | |
| Wie-toll-die-neue-Baureihe-ist-Seite schreibt die S-Bahn: „Immer im Ohr – | |
| Neue, durch europäische Richtlinien vorgeschriebene Türgeräusche und LEDs | |
| beim Öffnen und Schließen erleichtern sehbehinderten Fahrgästen das | |
| Auffinden der Türen und sorgen dafür, dass bei der Abfahrt niemand in der | |
| Lichtschranke steht.“ | |
| Die Verordnung will Verkehrsmittel barrierearmer machen, und dazu gehören | |
| Signale für Sehbehinderte. Dass diese aber meistens recht gut hören, | |
| scheinen die Ingenieure übersehen zu haben. In der Verordnung werden | |
| Lautstärken von 5 Dezibel „mehr“ im Vergleich zur Umgebung gefordert. | |
| Stattdessen piepst die S-Bahn mit 70 Dezibel, die ansonsten als | |
| Lärmbelästigung Anlass zur Beschwerde gäben. Laut Digitalcourage sagt der | |
| Vertreter einer Schweizer Blindenorganisation: „Wenn es im ganzen Bahnhof | |
| laut piepst, können wir uns nicht mehr orientieren.“ Da waren wohl wieder | |
| nicht die Gruppen an der Gestaltung beteiligt, denen geholfen werden | |
| sollte. | |
| Aber auch ich als Sehende kann akustisch nicht mehr! Die Masse an Signalen | |
| ergibt eine sich überlagernde Kakofonie, bei der es überhaupt nicht mehr | |
| möglich ist, herauszufiltern, was wie wichtig ist. Ich werde laufend | |
| gewarnt! Ständig muss mein Reptilienhirn abklären: Sind wir in Gefahr? Oh | |
| Gott, die S-Bahn-Türen schließen, ACHTUNG ACHTUNG, Stresshormone werden | |
| ausgeschüttet. | |
| Zum Technikpaternalismus gehören auch sich einschleichende neue Logiken der | |
| Verantwortung, denn: E-Autos werden künstlich lärmend gemacht, damit sie | |
| eben nicht lautlos sind – denn bei Lautlosigkeit entstehe eine erhöhte | |
| Unfallgefahr! Sagt wer? Und da fällt mir doch unangenehm auf, dass ich ja | |
| bisher als Radfahrer und Fußgänger viel zu lautlos war! Sollte ich eine | |
| Klingel tragen beim Gehen? Darf ich überhaupt noch damit rechnen, | |
| wahrgenommen zu werden, ohne herumzugeräuschen? | |
| ## Es gibt die StVO – und die De-facto-StVO | |
| Zumindest bei mir ist schon eine gefühlte Schuldumkehr eingetreten: Ein Lkw | |
| fährt piepend rückwärts und nähert sich mir immer weiter an. Moment! Steht | |
| nicht in der StVO, dass der Mensch dorthin zu gucken hat, wo er hinfährt, | |
| und eben nicht fahren darf, wenn ich da doof herumstehe? Jetzt aber die | |
| piepsend gefühlte De-facto-StVO: Warum springst du nicht schnell genug aus | |
| dem Weg, hörst du nicht, dass ich rückwärts fahre?! „Vorfahrt eingebaut“, | |
| jetzt wirklich! Rückfahrwarnsystem! Laut Bezirksumweltamt auf Nachfrage | |
| „nicht vorgeschrieben“, aber ganz offensichtlich immer häufiger | |
| vorinstalliert. Schon blöd, wenn man mit dem Rollator nicht vorankommt oder | |
| das eine Kind sich weigert, mitzulaufen, während das andere schon auf der | |
| Straße steht. | |
| Weniger stressig, aber umso vermüllender ist die Warnung von niemandem – | |
| morgens um 7.30 Uhr piept es auf einmal heftig auf der Straße. Blick aus | |
| dem Fenster, es ist kein Mensch weit und breit unterwegs, der Lkw piept mit | |
| sich selbst. Alle Anwohner im Umkreis von 100 Metern bekommen ein bisschen | |
| Weckservice. Danke! | |
| ## Von sinnigen und unsinnigen Geräuschen | |
| Wie das mit dem Lärmaktionsplan in Berlin zusammenpasst, ist offen. Hier | |
| sorgt man sich um „Poserlärm“, der entsteht, wenn Halbstarke Motoren | |
| aufheulen lassen. Ja, das nervt gewaltig. „Berlin soll leiser werden“, | |
| heißt es, und zwar, indem Männer, die Autos mit 400 PS gekauft haben, diese | |
| mit 30 km/h fahren. Nur zu! Viel Erfolg! Aber ganz ehrlich? [2][Geräusche, | |
| die durch mechanische Quellen entstehen], stören mich immer weniger | |
| gegenüber dem allumfassenden PIEP, denn sie haben wenigstens eine Quelle in | |
| einem relevanten Vorgang. Sie sagen mir etwas über die Welt, sie | |
| entsprechen einer Bewegung. | |
| Dass die S-Bahn einfährt, höre ich an dem ruhigen energetischen Geräusch | |
| der Bahn selbst. Schön! Was wiederum überhaupt keinen Signalwert hat, sind | |
| die genau wie das Piepen zunehmenden „Hallo, hier bin ich“-LEDs. Die dunkle | |
| Straße wird langsam zum Serverraum mit dem großen grünen, noch dazu | |
| blinkenden Licht von ein paar E-Scootern, die da sowieso schon nichts zu | |
| suchen haben, und dem blauen Licht einer E-Ladesäule. Auch diese brauche | |
| ich nicht. Ich gehe davon aus, die Nutzer hätten sie bestimmt auch ohne | |
| Licht gefunden! | |
| ## Die Berliner S-Bahn erklärt Hygge den Krieg | |
| Diese Leuchtkäfer tragen zur Signalkakofonie bei und nicht zur Schönheit | |
| des Stadtbilds. Offenbar dürfen private Hersteller beliebig um das | |
| hässlichste Design konkurrieren, und zwar auf dem Gehweg. Viele | |
| LED-Leuchten haben ein wahrnehmbares Flimmern und sind schlicht zu hell. | |
| Auch die neuen S-Bahnzüge sind mit LED viel heller als zuvor, so dass die | |
| Spiegelung bei Dunkelheit es unmöglich macht, noch etwas durch das Fenster | |
| zu sehen. Die DB bezeichnet das übrigens als „angenehmes Raumgefühl“. Dass | |
| mittlerweile endlich wieder wärmere Lichtfarben für den Wohnbereich | |
| verfügbar sind, tut dem offenbar keinen Abbruch – in der S-Bahn soll man | |
| sich bei Krankenhausbeleuchtung wohlfühlen – wahrscheinlich ist dies der | |
| Videoüberwachung geschuldet, die nun mal eine ordentliche Ausleuchtung | |
| braucht. Noch mal danke! | |
| Für Leute, [3][die trotz allem immer noch gute Sinneswahrnehmung haben], | |
| ist das alles eine visuelle und akustische Vermüllung – dabei brauchen wir | |
| weniger Stress, nicht mehr! Wenn’s den Ingeniören zu schwör ist, sollte | |
| ihnen die Stadt eine partizipative Arbeitsweise bei der Technikentwicklung | |
| ans Herz legen. Damit Letzteres bei uns allen öfter in den Ruhebereich | |
| kommt. | |
| 11 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://youtube.com/shorts/S9RtYsfUydw?si=HFz-PrfDDTN5CL71 | |
| [2] /Klimafreundlicher-Verkehr/!6033657 | |
| [3] /Wieso-Frauen-und-Stadtmenschen-anders-hoeren/!6081906 | |
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