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# taz.de -- Fakten im Journalismus: „Die einen sagen so, die anderen so“
> Immer öfter zitieren Medien Expert*innen, um Fakten darzustellen – die
> dadurch wie Meinungen klingen. So können wir autoritäre Albträume nicht
> verhindern.
Bild: Das Mirko in die Gegend hängen und mal schauen, was passiert
Jedes Bild, jeder Text, ja jeder Satz ist Teil des Kampfes um die
Wahrnehmung der Wirklichkeit. „Sagen, was ist“ war schon immer ein etwas
pathetischer und keineswegs widerspruchsfreier Selbstauftrag des
Journalismus. So gut es eben geht, die empirisch nachprüfbare Realität
abzubilden, ist aber keine schlechte Idee. So kann Journalismus mithelfen,
eine allgemein anerkannte Diskussionsgrundlage über Welt und Wirklichkeit
zu erschaffen.
Anhand derer ließe sich zum Beispiel zügig klären, ob jene Probleme, die so
gern von Politiker*innen als die drängendsten dieser Zeit beschrieben
werden, nur in deren Fantasie stattfinden oder tatsächlich die Existenz des
Abend- und sonstiger Länder gefährden. Dann wäre eventuell deutlicher, dass
nicht ein halluzinierter Migrationsnotstand, sondern die menschengemachte
Klimakatastrophe die wichtigste Herausforderung unserer Generation ist.
Doch unter dem missverstandenen Banner der Objektivität hat sich bei vielen
Journalist*innen ein von nachlässiger Gleichgültigkeit geprägtes
Berufsethos breitgemacht. Statt zu recherchieren, „was ist“, wird der Fakt
durch Dritte bewertet und so zur Nachricht. Oder noch schlimmer: Die
Behauptung frei erfundener Tatsachen ist Berichtsgegenstand. Diesen
permanenten Großangriff auf die Gesamtwahrnehmung der Realität kann auch
kein [1][Fact-Checking] abwehren. Das ist ohnehin inzwischen zur
zeitraubenden Müllabfuhr unbelegter Propaganda geworden.
Unter diesen Bedingungen ist es nur arbeitsökonomisch, statt mit Recherche
ein realitätsbasiertes Weltbild zu verteidigen, einfach das Mikrofon in die
Landschaft zu halten: „Die einen sagen so, die anderen so.“ Diese
distanzierte Objektivität illustriert die Abwesenheit einer eigenen
Haltung, ist dabei aber selber eine – stilprägend ist sie noch dazu. Selbst
in allerkleinsten, unstrittigen Punkten schleicht sich da eine schon völlig
automatisierte Distanzierung vom Faktischen ein.
Das schafft sogar [2][die „Tagesschau“ in einem Beitrag von Samstag]: „Ei…
von der New York Times zitierte Expertin sagte, es sei das erste Mal seit
60 Jahren, dass der Präsident sich [3][ohne Einwilligung eines Gouverneurs
der Nationalgarde eines Bundesstaats bemächtigt].“ Hier wird zur
Darstellung einer historisch überprüfbaren Tatsache ein Zitat aus einem
anderen Medium zitiert. Es ist seltsam, dass das Leitmedium des deutschen
Nachrichtenjournalismus nicht im eigenen Archiv nachschaut, wann ein
US-Präsident das letzte Mal so handelte.
Das mag wie eine lässliche Petitesse aussehen, ist aber Symptom eines
größeren Problems und kann uns sogar im konkreten Fall auf die Füße fallen.
Im nicht ganz unwahrscheinlichen Fall nämlich, wenn irgendeiner der
Trump-Höflinge über die immer aufnahmebereiten Mikrofone verbreitet, dass
mehrere Präsidenten in den vergangenen Jahrzehnten ähnlich gehandelt
hätten. Wird das dann auch so zitiert? Oder ist das zu offensichtlich?
Und gehen Medien dann auch so mit anderen Fragen um? Etwa bei der, ob die
Zurückweisungen an innereuropäischen Grenzen legal sind? Ob es einen
Wärmepumpenzwang gibt? Arbeitslose faul sind? Es draußen regnet?
„Die einen sagen so, die anderen so“? Das wird nicht genügen, um das
kommende autoritäre Albtraumland zu beschreiben, geschweige denn es zu
verhindern.
11 Jun 2025
## LINKS
[1] /Faktenchecks-in-Medien/!5917550
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/usa-los-angeles-nationalgarde-100.html
[3] /Proteste-in-Los-Angeles/!6093469
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
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