| # taz.de -- Staatstheater Hannover: Abschiedssex macht nicht in allen Belangen … | |
| > Zum Ende von Sonja Anders' Intendanz inszenieren drei Regisseurinnen am | |
| > Staatstheater Hannover drei Stücke zu einem sehr alten Thema: Sex. | |
| Bild: Das „Sexplay“ greift Anekdoten aus dem Dating-Alltag auf | |
| Zum Finale der Intendanz von Sonja Anders setzt das gesamte | |
| Schauspielensemble in Hannover auf den Spaß des Lebens. Glitzerkostüme, | |
| Goldflitterregen, Discokugelstrahlen durchwirbeln ein angedeutetes | |
| Zirkusarena-Bühnenbild. „Sex“ ist der Abend in aller Aufmerksamkeit | |
| heischenden Schlichtheit betitelt und kümmert sich um seelisch-körperlich | |
| unbeholfene Interaktionen des Begehrens. Die werden nicht selten als | |
| Machtspiel, dominiert von Männern, ausgelebt, die patriarchale Denkmuster | |
| physisch interpretieren. | |
| Das fokussiert der erste Teil des drei Inszenierungen umfassenden Abends: | |
| „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ von [1][David Foster Wallace.] | |
| Regisseurin Friederike Heller führt die mehrdimensional in ihrer | |
| machistischen Abgründigkeit entblößten Männer plump als Witzfiguren vor: | |
| den Narziss, einen Omnipotenzfantasierer und den beim Abspritzen immer | |
| „Sieg, … den Kräften der demokratischen Freiheit!“ brüllenden Wicht. Das | |
| sind die Bösen. | |
| Dagegen setzt die Regie drei selbst erdachte Vertreterinnen des | |
| Ameisenmatriarchats. Behauptung: „In Ameisenstaaten gibt es keine internen | |
| Konflikte.“ Begründung: „Die Frauenquote im Bau beträgt 100 Prozent.“ | |
| Männer brauche man nur einmal im Jahr als „fliegende Spermapakete“. | |
| Ebenfalls witzig finden es die Ameisenfrauen, „This is the end“ von den | |
| Doors als „This is the ant“ zu deuten. Umso verstörender wirkt bei dieser | |
| Alberei, dass plötzlich ein Mann von sexuellen Missbrauchserlebnissen mit | |
| seinem Vater berichtet. Was die klischeeschlichte Inszenierung aber nicht | |
| rettet. | |
| ## Weibliche Sicht auf die Realität des Sexalltags | |
| Nun aber: „Wir kommen“. Den Text haben 18 deutschsprachige | |
| Schriftsteller:innen anonym miteinander verfasst, angeleitet und | |
| redigiert vom Literaturkollektiv Liquid Center. Für die Inszenierung von | |
| Ronny Jakubaschk wurde die Vorlage von 200 auf 18 Seiten gekürzt. | |
| Anja Herden, Helene Krüger und Amelie Schwerk parlieren mit den Textresten | |
| in humorvoll lässiger Selbstverständlichkeit vor allem aus weiblicher Sicht | |
| über Wünsche, Fantasien, mediale Bilder und die Realität des Sexalltags. Ob | |
| drastisch, queer, sanft, schmerzenreich – Erfahrungen und Gedanken | |
| innerhalb und abseits des aktuellen Konsens werden in heiterer | |
| Zugewandtheit und pointierter Klarheit ausgesprochen. | |
| Der erste große Lacher des Abends entzündet sich an der Aussage: „Ich bin | |
| an Männern interessiert, aber es nervt.“ Aber dann hat sie „Sex mit G.“ … | |
| alles davor verkommt in ihrer Erinnerung „zu schnödem Geschabe und | |
| Geruckel“. Etwas verdruckster ist das Gelächter beim Bekenntnis: „Ich will | |
| ficken wie ein Vieh. Ekstase ohne Denken. Pure Lust.“ | |
| Irritiert beschmunzelt werden die Geständnisse, aufs Ausgeliefertsein oder | |
| „dicke Jungstitten“ oder „geil eklige“ Sachen zu stehen. Nicht so | |
| Sexfixierte, heißt es, bevorzugten Kuchen. Diskutiert wird auch das | |
| Verlangen nach Mutterschaft und ob es Lust ohne ein Gegenüber geben kann. | |
| ## „Boyfriend-Material“ und Kopulationsgymnastik | |
| Keck dann der Argumenteaustausch, ob Frauen vor Haustieren masturbieren | |
| oder sich auf Pferden die schönsten Orgasmen erreiten dürfen. Besonders | |
| ausführlich wird Sex im Alter diskutiert. Was Frauen dafür tun? Etwa | |
| [2][Leggings im Leopardenprint] anziehen. „Meine Beine in den | |
| Stretchröhren strahlen etwas Lauerndes aus, etwas Angriffslustiges, | |
| Kraftvolles. Ich gefalle mir, fühle mich auf seltsame Art potent.“ | |
| Was die Freundin kritisiert als „Strategie älterer heterosexueller Frauen“. | |
| Sie würden sich diese martialische Kleidung „als Tarnung überwerfen, um zu | |
| signalisieren, dass sie noch sexuell verfügbar sind.“ Es ist herrlich | |
| schonungs-, aber nie schamlos wie hier über die angeblich natürlichste | |
| Sache der Welt geredet wird. In diesem Selbstverständigungstheater geht es | |
| um die Bestärkung des Wunsches, sich nicht mehr für seine Lust zu schämen. | |
| Ein gelungener Versuch, Verklemmungen zu lockern. | |
| Zum finalen „Sex Play“, ein Stück von Patty Kim Hamilton, wird das Thema | |
| zur Partyplauderei zusammengestrichen. Stephan Kimmig stellt das Ensemble | |
| als Entertainmentgruppe auf die Bühne, putzige Choreografien und | |
| Pop-Gesangseinlagen sind zu erleben sowie Passagen des für 14 Stimmen zu | |
| Dialogen orchestrierten Textes. Zur Sprache kommen vor allem [3][Anekdoten | |
| aus dem Dating-Alltag.] | |
| Wenn einem das gegenübersitzende „Boyfriend-Material“ zerkaute Pizza in den | |
| Mund küsst, macht das Lust auf mehr? Und wenn ein kerliges Date bei der | |
| Renovierung hilft, muss Frau mit Sex bezahlen? Männer berichten von | |
| Zweifeln angesichts ihrer Penisgröße und Kopulationsgymnastik: Entspricht | |
| das den durch Pornos geprägten Erwartungen? All das wird Comedy-lustig | |
| serviert und schließlich in Musik und Tanz aufgelöst – ein feierfideler | |
| Abschied. | |
| 27 May 2025 | |
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| Jens Fischer | |
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