# taz.de -- Psychologe hat Erwartungen an Leo XIV.: „Die Struktur muss sich �… | |
> Psychologe Hans Zollner kämpft für die Prävention von sexualisierter | |
> Gewalt. Er fordert einen Umbau der päpstlichen Kommission zum Schutz von | |
> Minderjährigen. | |
Bild: Die hohe Dunkelziffer von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche w… | |
taz: Herr Zollner, hat Papst Leo XIV. in seiner Zeit als Bischof | |
sexualisierte Gewalt von Geistlichen vertuscht? | |
Hans Zollner: Nach den Dokumenten, die ich gesehen habe, sind diese | |
Vorwürfe nicht zutreffend. Es haben außerdem vier sehr bekannte | |
Missbrauchsopfer aus Peru, die die Situation sehr gut kennen, erklärt, dass | |
sie in Prevost einen wichtigen Fürsprecher gefunden haben. Es macht den | |
Anschein, als ob diese Vorwürfe lanciert worden sind von einer | |
rechtskatholischen Splittergruppe, die in Peru gegründet wurde und dann | |
auch weltweit aktiv war. Diese Gruppe mit Namen Sodalicio wollte schon im | |
Vorfeld des Konklaves Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Robert Prevost | |
streuen. Er hatte als Personalchef der Bischöfe im Vatikan dazu | |
beigetragen, dass diese Gruppe, in der es viele Missbrauchsfälle gab, | |
aufgelöst wurde. Gerade vor ein paar Monaten, noch kurz vor dem Tod von | |
Franziskus. | |
taz: Was erwarten Sie jetzt von Papst Leo XIV. in Bezug auf die | |
Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt in der Kirche? | |
Zollner: Die Herausforderung dieses Pontifikats wird neben der Förderung | |
der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen die konsistente Aufarbeitung im | |
umfassenden Sinn sein. Aus eigener Anschauung kann ich sagen, dass die | |
kulturellen Unterschiede da sehr groß sind. Ich war dieses Jahr schon in | |
Australien und komme gerade aus den USA zurück und werde bald nach | |
Brasilien fliegen. In den verschiedenen Ländern gibt es völlig andere | |
Wissensstände, was die Prävention betrifft und völlig andere Wahrnehmungs- | |
und Sensibilitätsstände. | |
taz: Was heißt das genau? | |
Zollner: In Indien wird nicht genauso über Sexualität und sexuelles | |
Fehlverhalten geredet wie in Bolivien oder in der Schweiz. Auch das, was | |
jetzt am meisten Not tut, wird sehr unterschiedlich gesehen. Die | |
katholische Kirche ist kein monolithischer Block. Aber die Grundprinzipien | |
– Schutz, sichere Räume, sichere Beziehungen und sichere Abläufe – das mu… | |
überall gelten. Deshalb wird es auch mit Blick auf Safeguarding notwendig | |
sein, dass in diesem Pontifikat ein weiterer Schritt dazu gemacht wird, das | |
Verhältnis von römischer Zentrale und Weltkirche zu klären und damit die | |
Frage von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Dabei ist auch das | |
Verhältnis der Ortskirchen untereinander zu klären, zum Beispiel derjenigen | |
in Deutschland zu Kirchen in Zentralafrika oder Ozeanien. Insbesondere geht | |
es dabei darum, wie die Ortskirchen im Sinne der Prävention | |
zusammenarbeiten können | |
taz: Sie haben den heutigen Papst mehrfach getroffen. Wie haben Sie ihn | |
erlebt? | |
Zollner: Ich habe ihn als jemanden erlebt, der sehr zugewandt ist. Er ist | |
ein sehr normaler, einfacher Mensch, der sicherlich kein großes Aufsehen um | |
sich selber macht, der sehr sachorientiert ist. Er hat einen relativ | |
einfachen familiären Hintergrund, er hat Kirchenrecht studiert, er hat die | |
wirkliche Armut erlebt und gelebt, schon als junger Mensch in den | |
peruanischen Anden. Er ist nüchtern, sehr klar und überlegt. Und ich finde, | |
das ist eine sehr gute Mischung. Er bringt viele Qualitäten mit, die ihm | |
die Mammutaufgabe erleichtern werden, die er jetzt hat. | |
taz: Was können katholische Frauen und Queers von ihm erwarten? | |
Zollner: Ich glaube, dass er auf jeden Fall das weiterführen wird, was | |
Franziskus in diesem Bereich getan hat. Was Frauen angeht, hat er ja im | |
vatikanischen Bischofsministerium drei Frauen als Beraterinnen etabliert – | |
gegen den Widerstand von etlichen Leuten in der Behörde, die ja | |
ausschließlich über Männer bestimmt. Ich glaube auch, dass Leo das | |
weiterführen wird, was Franziskus mit Blick auf queere Personen vorgelebt | |
hat. Das heißt freundliche Zuwendung und pastorale Nähe. Was er lehramtlich | |
oder moraltheologisch für die Anerkennung queerer Menschen in die Wege | |
leiten wird, weiß ich nicht. Dazu kenne ich seine Positionen zu wenig. | |
taz: Was bedeuten mehr Frauen mit Verwaltungsmacht für die Prävention von | |
sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche? | |
Zollner: Das spielt insofern eine Rolle, dass sich natürlich das | |
Miteinander anders gestaltet, wenn ein Geschlechtermix besteht im | |
kirchlichen Raum. Aber mehr Frauen in derselben, überkommenen Struktur | |
würden an den Risikofaktoren meines Erachtens nichts ändern. Da müssen wir | |
wirklich tiefer ansetzen. Da müssen wir schauen, wie zum Beispiel | |
Kontrollmechanismen funktionieren, wie Supervision geht, welche | |
Fortbildungsmaßnahmen verbindlich eingeführt werden und wie nachhaltig | |
Rechenschaftspflicht abgelegt werden muss. Das liegt nicht so sehr an den | |
Personen oder am Geschlecht der Personen, sondern es liegt daran, ob die | |
Mechanismen eingehalten werden und funktionieren. | |
taz: [1][Im März 2023 haben Sie die Päpstliche Kommission zum Schutz von | |
Minderjährigen verlassen, die Sie vor elf Jahren selbst mitgegründet | |
haben]. Warum? | |
Zollner: Im Lauf der Jahre wurde für mich immer unklarer, was die | |
eigentliche Aufgabe dieser Kommission sein soll. Also: was ist eigentlich | |
ihr Ziel und Zweck? Die Kommission kann sich ja eigentlich nicht um die | |
Aufarbeitung von Fällen kümmern. Dazu gibt es andere Organe im Vatikan oder | |
auf regionaler Ebene. Das ist ein Missverständnis, das von Anfang an auch | |
in der Öffentlichkeit geherrscht hat. | |
taz: Was ist aus Ihrer Sicht die eigentliche Aufgabe der Kommission? | |
Zollner: Was die Kommission tun sollte, ist aus meiner Sicht die | |
Etablierung von Safeguarding-Maßnahmen weltweit und der Kontakt zu | |
Betroffenen. Und da kamen im Laufe der Zeit viele andere Dinge dazu, die | |
nicht abgesprochen waren und Kompetenzen, die nicht geklärt waren. Und dann | |
hat in der Kommission auch eine Personalauswahl stattgefunden, die | |
intransparent war. Also genau das, was wir an anderer Stelle bemängeln: | |
dass die Zuständigkeitsbereiche nicht klar sind und damit auch die | |
Verantwortlichkeiten leicht hin- und hergeschoben werden können. | |
Rechenschaft wird damit schwierig. Der Tropfen, der das Fass für mich aber | |
zum Überlaufen brachte, war, dass die Verteilung der Gelder in der | |
Kommission intransparent war. Das konnte ich nicht mehr mittragen. | |
taz: Was muss sich jetzt konkret in der Kommission tun? | |
Zollner: Ich glaube, dass sich die Struktur und Aufgabenstellung der | |
Kommission ändern muss. Dazu ist seit damals auch meines Wissens nichts | |
wirklich Grundlegendes passiert. Kardinal Seán O’Malley ist immer noch im | |
Amt als Kommissionspräsident, obwohl er letztes Jahr als Erzbischof von | |
Boston aus Altersgründen abgelöst wurde. Da ist jetzt zu erwarten, dass | |
sich da etwas strukturell und inhaltlich tut und klärt. | |
taz: Auch personell? | |
Zollner: Natürlich. | |
taz: Kardinal O’Malley muss also weg. Was ist mit dem Kölner | |
Skandalbischof? Soll der neue Papst nicht endlich das Rücktrittsangebot von | |
[2][Kardinal Rainer Maria Woelki] annehmen? | |
Zollner: Es ist eine Frage der Transparenz und Fairness gegenüber allen | |
Beteiligten, dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wird und man sich | |
nicht ständig in einem Graubereich bewegt. Das nämlich vermittelt den | |
Eindruck der Verweigerung von Verantwortungsübernahme auf allen Seiten. Wie | |
die Entscheidung ausfallen wird, ist Sache des Papstes. | |
taz: Was ist zentral, um sexualisierte Gewalt in der Kirche zu verhindern? | |
Zollner: Dass alle Menschen so vorgehen, wie es menschlich angemessen und | |
christlich geboten ist: jenen beizustehen, die verletzt worden sind oder | |
besonders verwundbar sind. Dass alle, die in der Kirche an verantwortlicher | |
Stelle sind, die Normen gegen Missbrauch erfüllen, besonders jene, die nach | |
dem internationalen Kinderschutzgipfel im Vatikan 2019 eingeführt wurden. | |
Es geht darum, wie eine Verletzung der Amtspflichten geahndet werden kann | |
und wie der entsprechende Prozess abläuft. Das liegt eben gerade nicht nur | |
beim Papst, sondern muss auch schon auf der lokalen Ebene beginnen. Die | |
Bischöfe stehen in Mitverantwortung und bei den Ordensgemeinschaften gilt | |
das analog für die Oberen. Wir haben die Vorschriften, wir wissen aber | |
nicht, wie und wie oft sie angewandt werden. Da brauchen wir mehr | |
Transparenz und mehr Nachhaltigkeit. | |
26 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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