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# taz.de -- Die israelische Band Holocausts: Für immer Punk
> Die israelische Punkband Holocausts polarisiert. Ihr Frontmann Roy Elani
> stößt immer wieder auf Wut und Missverständnisse – auch in Deutschland.
Bild: Roy Elani, Sänger der Band Holocausts auf einem Konzert in Jerusalem
Tel Aviv taz | Es ist ein kalter Februarabend in [1][Jerusalem], zwei Grad,
doch in einem kleinen Kellerclub namens Pergamon rinnen Schweißtropfen die
Wände herunter. „Wir wurden hier in Israel in eine sehr verrottete Realität
hineingeboren, oder?“, fragt von der Bühne auf Hebräisch Roy Elani, Sänger
der [2][anarchistischen Punkband] Holocausts.
Elani ist voller Wut. „Wir leben vom Moment unserer Geburt an und
wahrscheinlich bis zu unserem Tod in Existenzangst, sei es Angst vor
Terroranschlägen, vor unserer Regierung, vor einem niemals endenden
Konflikt“, sagt er in einer seiner leidenschaftlichen Reden während des
Konzerts.
Er kritisiert die [3][Knesset], den Gazakrieg, das Gesetz, die Religion und
die Polizei, bevor er sich an sein Publikum wendet: „Es ist Zeit, aktiv zu
werden … es liegt in euren Händen!“
Dann beginnt der nächste energische Song: Elani grölt, die Band thrasht
dazu, das ganze Publikum wird zum Moshpit. Die Songtexte sind kaum zu
erkennen, nur einen Refrain kann man raushören: „ACAB“ schreit Elani.
Die 100 Besucher*innen im Publikum schreien zurück. Einer crowdsurft.
Treue Fans, die die Band nach dem Konzert in einem Instagram-Beitrag
liebevoll als Mehablim bezeichnet, zu Deutsch: Terroristen.
## Provokanter Name
Punk lebt von Provokation, von Grenzüberschreitung und Subversion. Was
könnte im jüdischen Staat provokanter sein als der Bandname Holocausts? Ein
Name, den viele als geschmacklos, manche sogar als holocaustrelativierend
und antisemitisch kritisiert haben.
Zwei Tage nach dem Konzert in Jerusalem sitzt Roy Elani auf einer Bank vor
einem selbst verwalteten Konzertraum in Tel Aviv, der auf einem
Industriegelände unweit der glänzenden Glastürme der israelischen
Hightechbranche liegt.
Elani, 27, trägt viele Piercings im Gesicht und mehrere Metallketten am
Hals. Über seinem blondgefärbten Iro sitzt eine schwarze Mütze mit
verschiedenen Pins, einer ist von dem Berliner Hausprojekt Köpi. Eine
dunkelblaue Bomberjacke rundet den Look ab.
Beim Fotoshooting vor dem Interview mit der taz spielt Elani gerne den
Clown. Er scherzt, schneidet Grimassen, streckt die Zunge heraus, bohrt mit
einem Finger in die Nase. Doch hinter der kampflustigen Fassade steckt ein
Mensch, der viel zu sagen hat.
In der israelischen Punkszene ist Elani praktisch groß geworden: Er wuchs
in einer konservativen Familie in der Kleinstadt Or Yehuda auf, seine
Mutter sei religiös und hat einen irakischen Familienhintergrund, sein
Vater sei „ein beschissener Mann“ und habe die Familie verlassen, als Elani
noch klein war.
„Das war eine ganz andere Welt“, sagt er. Schon mit 16 zog er aus, nach Tel
Aviv, 2014. „Es war nicht leicht“, sagt Elani, der teilweise auf der Straße
lebte. Doch in der dortigen Szene fand er schnell eine Ersatzfamilie. Zur
Armee musste er trotz Wehrpflicht nicht. „Ich habe ein Drama gemacht: Ich
meinte, ich würde sonst mich selbst und auch alle anderen umbringen. Nach
anderthalb Stunden Gespräch hat das gereicht.“
## Aus der Geschichte lernen
2015 gründete Elani eine Band mit Freunden, seit 2017 heißt sie Holocausts.
Sie hat bislang ein Album veröffentlicht und arbeitet aktuell an einem
zweiten, spielt regelmäßig kleine Konzerte in Israel, tourt durch
Hausprojekte, Punkbesetzungen und DIY-Festivals in Europa.
Bevor man Elani zum Bandnamen fragen kann, redet er ohne Punkt und Komma
über die israelische Besatzung in der Westbank, das Leid der Palästinenser,
die Gewalt, die der jüdische Staat verübe. Doch auch das hänge mit den
Namen Holocausts zusammen, erklärt er.
„Ich werde den Namen nie ändern, nie, nie, nie“, sagt Elani trotzig. „Ab…
ich will damit nicht provozieren“, betont er. Vielmehr soll der Name eine
Anregung zur Kritik sein. „Klar, der Holocaust ist ein Tabuthema hier in
Israel. Aber der jüdische Holocaust ist nicht der einzige.“ Wenn der
jüdische Staat, gegründet nach der Schoah, Menschen entmenschliche, eine
faschistische Regierung unterstütze, so Elani, mache er die gleichen
Fehler. „Wir müssen aus der Geschichte lernen, wenn wir menschlich bleiben
wollen.“
Der Name provoziert trotzdem, er stößt teilweise auf heftige Kritik.
Aufgrund ihres antinationalistischen und antipatriotischen Tenors ist die
Band nicht überall in Israel willkommen, ihre Konzerte sind überwiegend
DIY-Shows in der linken Szene. Auch in den sozialen Medien wird die Band
angegriffen, von „Tastaturkriegern“, sagt Elani. Eine seiner
leidenschaftlichen Konzertreden wurde ins Englische übersetzt und sorgte in
den sozialen Medien für Empörung.
Vor der Performance im Februar im Jerusalemer Konzertkeller tauchten
Protestplakate auf: „TLV Punks Fuck Off!!! And take your shitty music with
you“, stand da unter einer Karikatur der Band, der vorgeworfen wird, die
„politischen Ansichten eines Achtjährigen“ zu haben.
Darüber kann Elani nur lachen. „Ich finde es ziemlich lustig, dass jemand
sich mit Photoshop die Mühe gemacht hat, so ein Plakat zu erstellen.“ Die
Politik eines Achtjährigen sei, so Elani, vielmehr, Rache zu üben und viele
Menschen zu töten. Und da fühlt er sich eher an die aktuelle rechte
Regierung in Israel erinnert – „die rechteste, religiöseste, die wir jemals
hatten“, sagt er.
In Deutschland fällt die Kritik härter aus, findet Elani. 2023 wurde ein
Konzert der Band im kulturellen Zentrum Galle in Halle von den
Veranstaltern kurz vorher abgesagt. Grund sei der Bandname gewesen. Laut
Elani seien mehrere Punklocations von Aktivisten angeschrieben worden, die
gegen ihre Auftritte protestierten. Auf eine taz-Anfrage reagierte das
Zentrum nicht.
Eine Ausweichlocation fand die Band damals in Leipzig. Andere Konzerte wie
beim Berliner Festival On Fire durfte die Band nur spielen, nachdem sie
Stellung zu der Kritik am Bandnamen bezogen hätte, so Elani. Immer wieder
muss er vor Konzerten in Europa erklären, wofür der Name aus seiner Sicht
steht, sagt er. „Ich bin kein Antisemit“, kontert er vehement, „ich bin
selbst Jude verdammt nochmal“.
Ausgeladen wurde die Band aber auch aus anderen Gründen. Im britischen
Manchester sollte Holocausts im vergangenen November in einem Hausprojekt
spielen, ehe das Konzert abgesagt wurde, weil die Band aus Israel kommt.
## Kein Feigenblatt für Antisemiten
Mit diesem Boykott stimmt Elani nicht überein: „Denn ich finde es wichtig,
Stimmen zuzuhören, die sich von innen weigern und Widerstand leisten“, sagt
er. Doch die Gründe dafür kann er verstehen. „Ich bin weder sauer noch
traurig.“
Elani will kein Feigenblatt für Antisemiten sein. Er lehnt zwar die
israelische Regierung und die Flagge, den Patriotismus und den Gazakrieg
entschieden ab, doch das Land Israel-Palästina – nicht der israelische
Staat – und all seine Menschen liebt er, wie er sagt.
Der 7. Oktober habe Elani sehr betroffen, erzählt er. Er habe beim
Hamas-Angriff mehrere Freunde verloren, auch beim Nova-Festival.
„Ich will Frieden für Israel-Palästina sehen, für meine Community, aber
auch für alle Menschen.“ Als Punk in Israel für seine Werte einzustehen,
sei nicht leicht, sagt Elani. „Es bedeutet vor allem Scheiße zu fressen, zu
leiden. Es bedeutet aber auch, aktiv werden zu müssen.“
Elani ist durchaus aktiv. Er zeichnet Zines, spielt in mehreren Bands (eine
weitere heißt Alien Fucker), veranstaltet Konzerte und Festivals,
organisiert Soliaktionen für Palästinenser in der Westbank und Gaza. Im
Februar 2025 erschien die internationale Punkcompilation [4][„Pomegranate
Seeds“] mit einem Holocausts-Song, deren Erlöse an die Gaza Soup Kitchen
gespendet wurde.
Elani betreibt als Teil eines Kollektivs auch den Tel Aviver Eventraum, vor
dem das Gespräch stattfindet. Am Eingang steht ein alter Kühlschrank voller
Discounter-Bier, drinnen, hinter der kleinen Bühne, prangen in LED-Lichtern
die Worte „chra lehaka“ – Hebräisch für „Scheißband“. Elani lacht,…
er besonders stolz über diesen Witz.
Der Ort ist eine wichtige Anlaufstelle für die Szene, hier finden fast jede
Woche Konzerte mit lokalen Punkbands statt. Weder den Namen noch den
genauen Ort will er in der Zeitung veröffentlicht wissen, denn ganz legal
sei das DIY-Projekt nicht, erklärt er.
„Ich mache das alles ehrenamtlich für die Community“, sagt Elani, der
nebenbei in einer Bar und einem Restaurant jobbt, um über die Runden zu
kommen. „Auch in Israel-Palästina hier brauchen wir eine Kultur der
Solidarität.“
An dem kalten Februarabend in Jerusalem hat das Holocausts-Konzert
tatsächlich so etwas wie ein warmes Familiengefühl: Unter den jungen Gästen
scheint jeder jeden zu kennen, verbunden durch eine rebellische Gegenkultur
zur israelischen Mainstream-Gesellschaft.
Nach dem Auftritt wirkt Elani erschöpft und euphorisch zugleich. Als fühlte
er sich in diesem kleinen, verschwitzten Konzertkeller ganz und gar zu
Hause.
3 Jun 2025
## LINKS
[1] /Feier-des-Jerusalemtages/!6090706
[2] /Fanzine-ueber-Jewishness-im-Punk/!6008611
[3] /Pressefreiheit-in-Israel/!6068408
[4] https://thedissidents.bandcamp.com/album/pomegranate-seeds-an-international…
## AUTOREN
Nicholas Potter
## TAGS
Punk
Israel
Holocaust
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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