# taz.de -- Pergamonaltar aus Styropor: Ein bisschen Utopie | |
> In einer Berliner Galerie hat die Künstlerin Zuzanna Czebatul Teile des | |
> Pergamonaltars nachgebaut und wirft so Fragen über den Status von Museen | |
> auf. | |
Bild: Aus Styropor: „Heracles, Zeus, Porphyrion, Alkyoneus, Athena, Ge & Nike… | |
Auf dem Weg zu den antiken Stätten im türkischen Bergama werden Souvenirs | |
verkauft, die hauptsächlich ein Motiv zeigen: den Pergamonaltar. Oben | |
angekommen, gibt es allerdings nur mickrige Reste des „antiken Weltwunders“ | |
zu sehen. Mit „dem Charme eines verrottenden Kaugummis“ verglich ein | |
Archäologe in den 1970ern den traurigen Steinhaufen. Und so nennt die | |
Künstlerin Zuzanna Czebatul ihre aktuelle Schau in der Galerie Dittrich & | |
Schlechtriem. Dort zeigt sie eine konzeptionelle Neuinterpretation eines | |
Teils des Pergamonaltars, maßstabsgetreu reproduziert in Styropor. Und zwar | |
in der Stadt, in der sich der Altar nun seit mehr als 150 Jahren befindet, | |
in Berlin. | |
Dorthin gelangt ist das Bauwerk, wie viele Kulturgüter in deutsche Museen, | |
mehr oder weniger legal. Heute sprechen die einen von Erpressung, die | |
anderen von einer fairen Vertragsabwicklung. Klar ist, dass die Hauptstadt | |
– kurz nach der Gründung des Deutschen Reichs – mehr Marmor vorweisen | |
wollte als London und den Pergamonaltar als Symbol zur nationalen | |
Identitätsbildung in seinen Besitz brachte. In Berlin ist dieser allerdings | |
zur Zeit genauso wenig zu sehen wie in Bergama. [1][Denn das Pergamonmuseum | |
wird saniert]. Der Altar mit dem Relieffries ist eingerüstet und verhüllt, | |
mit einem Stoff, der aussieht wie ein großer Brautschleier. Es ist paradox: | |
In Bergama besichtigt man die Abwesenheit des Altars und in Berlin, wo sich | |
der Bau, von dem Teile rekonstruiert sind, nun eigentlich befindet, ist er | |
auch nicht zu sehen. Als hätte jemand die Pausetaste gedrückt. | |
Der verschleierte Pergamonaltar wartet auf seine ungewisse Zukunft. Warten | |
ist ein Zustand, der sich oft durch eine bewusstere Erfahrung von Zeit | |
auszeichnet. Der Philosoph Henri Bergson bezeichnete diese Form des | |
intensiven Zeiterlebens mit dem Begriff der „Dauer“. Eine Form der | |
subjektiv erlebten Zeit, die im Gegensatz zu unserer klassisch verstandenen | |
Zeit nicht objektiv messbar ist. In diesen Ausnahmezustand greift Czebatul | |
nun ein. | |
## Auf der Schwelle | |
Ihr in Teilen reproduzierter Pergamonaltar zeigt einen Schwellenzustand | |
zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, in dem sich viele Kulturgüter in | |
Museen, darunter zahlreiche koloniale Raubgüter, befinden. Werden die | |
Museen nicht gerade saniert, lagern viele Werke in Depots, sind oft noch | |
nicht mal inventarisiert. Dadurch sind sie kategorisch unsichtbar, obwohl | |
sie trotzdem zur nationalen Identitätsbildung beitragen: sowohl auf der | |
Seite der ehemaligen Kolonien, die Restitution fordern, als auch | |
hierzulande, wo man manchmal zu Unrecht erbeutete Kulturgüter eher | |
widerwillig zurückgibt. | |
Auch wenn sie ausgestellt werden, befinden sich diese Objekte nicht selbst | |
in einer Art Wartezustand – vielleicht auf Restitution? Wir genießen als | |
Betrachter*innen ihren Anblick, geschichtsvergessen – solange es geht? | |
Oder haben wir Bauchschmerzen angesichts ihrer Präsentation? Das Original | |
in Berlin soll frühestens 2027 wiederzusehen sein. Sollten wir Zeit und | |
Milliardenkosten nicht besser in ein Neudenken von Museen stecken, anstatt | |
damit Machtsymbole zu konservieren? | |
Czebatuls Styroporkopie des hellenistischen Monumentalwerks legt die Frage | |
nahe, ob es nicht eher an der Zeit ist, die Abschaffung des Museums zu | |
fordern. Nicht ein Ende des Museums, [2][sondern eine Neudefinition der | |
Institutionen mit ihren historisch belasteten Sammlungen], basierend auf | |
Gerechtigkeit und der Sorge um Kulturgüter, statt der Sorge um nationale | |
Identität. In Zeiten von wachsendem Faschismus und staatlicher Abschottung | |
hält Czebatuls Altar mit ein bisschen Utopie dagegen. | |
18 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Alicja Schindler | |
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