| # taz.de -- Streit um Antisemitismus-Definition: Scharfe Kritik an den Recherch… | |
| > Die Nichtregierungsorganisation RIAS will Antisemitismus bekämpfen. Eine | |
| > Studie wirft ihr nun fehlende Transparenz und diffuse Begrifflichkeiten | |
| > vor. | |
| Bild: Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand von RIAS | |
| Berlin taz | Der Historiker Moshe Zimmermann hielt am 27. Januar 2020, dem | |
| Holocaust-Gedenktag, im Landtag in Magdeburg eine Rede. Zimmermann, geboren | |
| 1943, ist Kind jüdischer Deutscher, die vor den Nazis geflohen waren. 2005 | |
| war er Mitglied der Historikerkommission, die die NS-Geschichte des | |
| Auswärtigen Amts erforschte. [1][Zimmermanns Rede in Magdeburg reflektierte | |
| den Aufstieg des Nationalsozialismus] und endete mit dem Appell, dass „Nie | |
| wieder“ nicht auf Deutschland begrenzt sein dürfe, eine universelle | |
| Bedeutung habe und auch für Israel gelte. | |
| Zimmermanns nachdenkliche Ansprache vor dem Parlament in Sachsen-Anhalt | |
| fand sich erstaunlicherweise in dem jährlichen Bericht von RIAS, der | |
| Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, wieder. Dort taucht die | |
| Rede des Historikers – neben dem Hitlergruß bei einer Gedenkfeier in Pirna | |
| – unter der Rubrik „Erinnerungsabwehr und Antisemitismus“ auf. Denn | |
| Zimmermanns lege eine Gleichsetzung der israelischen „Politik gegenüber den | |
| Palästinenser_innen mit der antisemitischen Politik des | |
| Nationalsozialismus“ nahe. | |
| Das ist nicht trivial. RIAS, 2015 gegründet, ist in Deutschland eine | |
| anerkannte Institution. Die Nichtregierungsorganisation hat Einfluss. Sie | |
| veröffentlicht jährlich Zahlen über Antisemitismus, die Medien und | |
| PolitikerInnen als glaubwürdige, gesicherte Quelle zitieren. Der Berliner | |
| Senat benutzt RIAS-Zahlen, als würde es sich um eine amtliche Statistik | |
| handeln. Die Antisemitismusbeauftragten in Bund, Ländern und Kommunen | |
| arbeiten oft mit RIAS-Daten. | |
| Der israelische Journalist Itay Mashiach hat eine 60 Seiten umfassende | |
| kritische Studie verfasst. Fertig war der Bericht zwar schon im Mai 2024 – | |
| wegen des brutalen Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wurde | |
| die Studie aber zunächst zurückgehalten. Seit Freitagnacht ist sie nun | |
| online. | |
| ## Diffuse Begrifflichkeiten | |
| Das zentrale Ergebnis: Die Arbeit von RIAS sei intransparent, überbetone | |
| „israelbezogenen Antisemitismus“ und unterschätze rechtsextreme | |
| Aktivitäten. So führte die Organisation [2][„in Thüringen nur 37 Prozent | |
| der antisemitischen Vorfälle auf einen ‚rechtspopulistischen/rechtsextremen | |
| Hintergrund‘ zurück, wohingegen die Polizei 98 Prozent der erfassten | |
| antisemitischen Straftaten der rechten Szene zuordnete“]. | |
| Die Studie listet eine Reihe von Fällen auf, die zeigen, dass RIAS mit | |
| einem diffusen, oft zu weit gefassten Begriff von Antisemitismus arbeitet. | |
| So werden zwei Theaterstücke, Oliver Frljić’ „Ein Bericht für eine | |
| Akademie“ und „Die Vögel“ in München, in RIAS-Berichten als antisemitis… | |
| Ereignisse gewertet. Bei Frljić gilt als antisemitisch, dass in einem Text | |
| der Holocaust mit Massentierhaltung verglichen wird. | |
| In dem Stück „Die Vögel“ wertet RIAS als Indiz für Antisemitismus, dass … | |
| dem Stück ein israelischer Politiker fordert, „die Mörder, die unsere | |
| Nation angegriffen haben, auszurotten'“. Israel werde damit, so RIAS, als | |
| „unmenschlich“ gezeigt. Allerdings haben israelische PolitikerInnen | |
| durchaus ähnliche Töne angeschlagen. Es reicht offenbar, in einem | |
| künstlerischen Produkt ungünstig wirkende Äußerungen von israelischen | |
| PolitikerInnen zu paraphrasieren, um als antisemitisch zu gelten. | |
| Das ist, so die Studie, kein Einzelfall, sondern ein struktureller Defekt. | |
| RIAS rubriziere Ereignisse als antisemitisch, ohne den Kontext zu | |
| beleuchten. RIAS beruft sich auf die IHRA-Definition, der KritikerInnen | |
| vorwerfen, Antisemitismus zu vage zu bestimmen und es der israelischen | |
| Regierung zu ermöglichen, Kritik an ihrer Politik pauschal als | |
| antisemitisch abzuwehren. | |
| ## Kaum zu überprüfen | |
| RIAS vervielfältige, so die Studie, die Schwäche der IHRA-Definition, weil | |
| es auch die in der IHRA-Definition geforderte „Berücksichtigung des | |
| Gesamtkontexts“ ignoriere. Dies sei besonders problematisch, weil die Fälle | |
| nur anonym in den RIAS-Berichten auftauchen und die Klassifizierung als | |
| antisemitisch somit schwer überprüfbar ist. | |
| Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Antisemitismusbekämpfung und der | |
| Übernahme von der Narrativen der israelischen Rechten. So führte RIAS | |
| Thüringen als Beispiel, das die Betonung auf israelbezogenen Antisemitismus | |
| plausibel machen sollte, eine Äußerung des früheren Jenaer Bürgermeisters | |
| Albrecht Schröter (SPD) an. Der hatte sich 2017 gegen die israelische | |
| Besatzung im Westjordanland gewandt und eine Kennzeichnung von Produkten | |
| aus israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten gefordert. | |
| Wie weit die Immunisierung Israels vor Kritik mitunter geht, illustriert | |
| der Bericht von RIAS Bayern 2021. Dort heißt es: Wer von „Apartheid“, | |
| „Kolonialismus“ oder „ethnischen Säuberungen“ rede, unterstelle „Isr… | |
| schwerwiegende Verbrechen, die es nicht begeht“. [3][Diese Vorwürfe seien | |
| „antisemitisch, weil Israel damit dämonisiert und als illegitim | |
| gebrandmarkt wird“]. Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, ob Apartheid | |
| oder Kolonialismus angemessene Beschreibungen sind – sondern, ob sie | |
| automatisch als Zeichen für Antisemitismus gelten. | |
| Mashiach hat die Studie für die Organisation DiasporaAlliance erstellt, | |
| eine internationale Organisation, die „progressive jüdische Netzwerke | |
| fördert“ und unter anderem von der Schriftstellerin Eva Menasse und dem | |
| Philosophen Omri Boehm unterstützt wird. Die Studie umfasst den Zeitraum | |
| bis zum September 2023. Sie sollte damals veröffentlicht werden. | |
| Allerdings schien eine Publikation der DiasporaAlliance nach dem Massaker | |
| der Hamas am 7. Oktober 2023 nicht angebracht. Angesichts der Eskalation in | |
| Nahost und der „spürbaren Zunahme feindseliger Handlungen gegenüber | |
| jüdischen Personen und Gemeinden“ in Deutschland hielt man den Bericht | |
| zurück. | |
| Von RIAS gab es gegenüber der taz auf Anfrage keine Stellungnahme. Der | |
| Pressesprecher von RIAS ließ offen, ob und wann sich die Organisation zu | |
| der Studie äußert. | |
| Transparenzhinweis: In der ersten Fassung des Textes konnte der Eindruck | |
| entstehen, dass das der Satz „Die Rede sei 'antisemitisch, weil sie eine | |
| Gleichsetzung ‚der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser_innen | |
| mit der antisemitischen Politik des Nationalsozialismus‘ nahelegen würde“ | |
| vollständig aus einem Bericht von RIAS stammt. Er stammt in dieser Form aus | |
| der beschriebenen Studie von Itay Mashiach. Um das deutlich zu machen, | |
| zitieren wir an dieser Stelle jetzt den RIAS-Bericht. | |
| 25 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bilder/Artikel_6._WP/Holoca… | |
| [2] https://diasporaalliance.co/wp-content/uploads/2025/05/RIAS_German-final.pdf | |
| [3] https://report-antisemitism.de/documents/RIAS-Bayern_Antisemitische_Vorfael… | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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