Introduction
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# taz.de -- Demo zum „Muttertag“ in Berlin: „Ich wollte die coole, unabh�…
> Die Kampagne „100.000 Mütter“ streitet für echte Gleichstellung der
> Care-Arbeit. Drei Frauen erzählen, wie die Verhältnisse ihr Muttersein
> erschweren.
Bild: „Mir haben die Worte gefehlt, für das, was in mir vorging“: Paulina …
## Die internalisierte Misogynie
Paulina Czienskowski, 36, Schriftstellerin: „Für mich ist Muttersein eine
konstante Überstimulation, ein durchgängiges Überschreiten meiner eigenen
Grenzen, die sich weiter verschieben. Ich schlafe nachts nicht mehr wie
früher und für Dinge, die mir Energie geben – soziale Interaktionen,
Hobbies oder Arbeit – bleibt viel weniger Zeit. Es ist der gleichzeitige
Verlust von Teilen meiner Identität, begleitet von einem Pflichtgefühl,
Scham und Sprachlosigkeit. Vor allem die ersten zwei Jahre haben sich
angefühlt wie ein pubertärer Zustand: Man verliert die Kontrolle über die
Situation, aber man muss immer die Kontrolle bewahren, weil das Kind
vollständig auf einen angewiesen ist. Es ist ein Zustand, mit dem man nicht
in eine kapitalistisch organisierte Gesellschaft passt, weil man nicht
leistungsfähig genug scheint für dieses System. Das ging für mich mit einem
Gefühl der Mangelhaftigkeit einher.
Anfangs konnte ich meine eigenen Bedürfnisse nicht mehr benennen und habe
mich nur schwer abgrenzen können, um das Erlebte zu verdauen, weil ich mich
unweigerlich so vereinnahmt gefühlt habe. Mir haben auch die Worte gefehlt,
für das, was in mir vorging. Mein Eindruck ist, dass es für Mütter kaum
Möglichkeiten gibt, ohne Scham und Schuld über ihre Erfahrungen zu
sprechen. Dass man so wenig über Mutterschaft weiß – über das, was mit dem
Körper und der Psyche einer gebärenden Person passiert – ist wohl kein
Zufall. Das gesellschaftliche Desinteresse am Leben von Müttern,
sorgetragenden und pflegenden Personen ist zutiefst patriarchal und dient
dazu die hierarchisch organisierte Kernfamilie zu erhalten.
Erst mit der Geburt meines Kindes ist mir bewusst geworden, wie groß mein
Desinteresse und meine innere Ablehnung gegenüber Mutterschaft war und
wieviel misogynes Denken ich verinnerlicht hatte. Ständig habe ich mich
versucht von anderen Müttern abzugrenzen, wollte nicht wie sie sein, nicht
so auf das Kind fixiert. Ich wollte die coole, unabhängige Mutter sein,
nicht die, die sich an Regeln hält. Daraus spricht der Wille nach
Emanzipation und Autonomie – aber auch internalisierte Misogynie, weil es
bedeutet ein bestimmtes Bild von Weiblichkeit abzuwerten. Dahinter steckte
unter anderem die Angst, ein häusliches Leben zu führen. Die Emanzipation
der Frau ist natürlich etwas tolles, gleichzeitig kann sie für viele Mütter
aber auch zu einer neuen Form der Erschöpfung führen und einem Gefühl,
nicht genug zu sein. Neulich sagte eine Freundin zu mir, sie schäme sich
laut zu sagen, dass es ihr ausreiche „einfach nur Mutter“ zu sein.
Mein Partner und ich teilen uns die Care-Arbeit fünfzig-fünfzig. Und zwar
wirklich. Das ist wohl selten: Studien zeigen, dass rund 70 Prozent der
Paare, die eine paritätische Aufteilung angeben, letztlich in ein
Ungleichgewicht rutschen, in dem die weiblich gelesene Person mehr
übernimmt. Das ist bei uns nicht der Fall, und trotzdem ist mein Körper und
meine Psyche stärker gefordert als die meines Partners. Warum? Weil ich als
Frau in dieser Gesellschaft lebe. An mich werden andere Erwartungen
gestellt, auch meine eigenen an mich, auch wenn ich mich gegen diese
Sozialisierung wehre. Es wird mit zweierlei Maß gemessen: Wenn ein Vater
auf dem Spielplatz auf das Handy guckt, interessiert es keinen. Wenn eine
Mutter es tut, ist sie eine schlechte Mutter.
Meine Gedanken zu Mutterschaft habe ich in meinem Roman Dem Mond geht es
gut literarisiert. Auch da sprachen anfangs Scham und internalisierte
Misogynie aus mir. Ich hatte Angst, mich als Autorin zu diskreditieren,
wenn ich über Mutterschaft schreibe, denn das Narrativ im Literarturbetrieb
lautet: Darüber wurde schon genug geschrieben. Der Literaturkritiker Marcel
Reich-Ranicki hat einmal gesagt: „Wen interessiert, was die Frau denkt, was
sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein
Verbrechen.“ Die Tradition weibliches Schreiben als Befindlichkeitsprosa
abzuwerten, bleibt, so etwas sickert unweigerlich ein.
Ich würde mir wünschen, dass es unter Flinta* eine nicht-patriarchale
Wissensweitergabe gibt, bei der Mütter auch schambesetzte und
schuldbehaftete Erfahrungen offen teilen können, ohne verurteilt zu werden.
Solange es dafür keinen Raum gibt, bleibt Mutterschaft ein individuelles,
subjektives Erleben und strukturell wird sich nichts ändern. Außerdem
wünsche ich mir echte Aufklärungsarbeit – nicht nur für weiblich gelesene
Personen–, politische und gesellschaftliche Unterstützung und echte
Parität, die nicht neue Erschöpfung fordert.“
## Die größere Last der Care-Arbeit
Mary Ivić, 41, Organisationsberaterin für Schulen und aktiv in bei „100.000
Mütter“:.„Ich habe mich als Mutter sehr allein gelassen gefühlt. Als ich …
den Mutterschutz ging, war ich voller Vorfreude – ein ganzes Jahr nur eine
Sache machen: Baby! Doch schnell habe ich Druck verspürt. Medial wird
suggeriert, dass man ein Baby bekommt und sich danach vollkommen darauf
konzentriert – als würden mit der Elternzeit auch alle anderen
Verpflichtungen, die man neben der Arbeit hat, pausiert. Das ist nicht der
Fall. Meine Mutter, die pflegebedürftig ist, brauchte mich trotzdem. Sie
ist in der Zeit sehr krank geworden.
Es hat mich sehr herausgefordert, dass die Care-Arbeit nicht nur für mich
und mein Kind, sondern auch für meine Mutter reichen musste. Als die
Elternzeit dann vorbei war, habe ich für mein Kind keinen Kita-Platz
bekommen und habe erst nach 6 Monaten schließlich eine Tagesmutter
gefunden. In dieser Zeit habe ich kein Elterngeld mehr bekommen, also
musste ich Geld verdienen. Das war eine extreme Doppelbelastung.
Nach der Elternzeit habe ich wieder angefangen Vollzeit zu arbeiten. Kurze
Zeit später kam Corona und der Lockdown, die meisten meiner Einnahmen sind
weggebrochen und ich stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich habe
dann sehr viel gearbeitet, um mir eine Nanny leisten zu können. Sie hat
dann zwei Tage die Woche das Kind betreut und von der Kita abgeholt, und
die anderen Tage haben mein Mann und ich uns das aufgeteilt. Für mich war
das beruflich und emotional die beste Entscheidung. Aber dass ich mein Kind
von einer Nanny von der Kita abholen lasse, wurde kritisch beäugt. Als es
Probleme in der Kita gab, wurde mir gesagt: Vielleicht sollte er häufiger
von der Mutter abgeholt werden.
Es war alles sehr anstrengend, dabei hatte ich gute
Ausgangsvoraussetzungen. Mein Partner stand mir immer zur Seite, mental und
finanziell. Die Care-Arbeit haben wir uns nachts immer geteilt. Er hat in
der ersten Hälfte der Nacht geschlafen und ich war bei dem Kleinen, und ab
3 Uhr morgens hat er übernommen. Das ging aber nur, weil er eine coole
Chefin hatte, die ihm erlaubt haben, auch viel remote zu arbeiten, und weil
ich nicht abgepumpt habe. Mir war wichtig, dass mein Partner das Kind ohne
mein Zutun füttern kann. Mein Mann hatte volles Verständnis dafür, darüber
gab es nie eine Diskussion. Außer beim Kinderarzt. Der war sehr irritiert
davon, dass ich meinem Kind nicht meine Milch gebe.
Mich stört, dass Mütter ständig für die Entscheidungen, die sie für ihr
Kind treffen, bewertet werden. Das geht schon bei der Entbindung und der
Frage „Wie hast du entbunden?“ los. Da schwingt immer mit: War es
„natürlich“ oder nicht? Hast du es dir „einfach“ gemacht? Danach geht�…
weiter: Es wird bewertet, wie eine Mutter stillt, wann und wieviel sie
arbeitet und wie das Kind betreut wird.
Ich hätte mich mehr gesehen gefühlt, wenn das Thema der doppelten
Carte-Arbeit von Müttern präsenter wäre – auch in der Ausgestaltung des
Lebens. Man ist als Mutter häufig ziemlich isoliert. Es braucht eine
radikale Veränderung struktureller Bedingungen, damit es nicht mehr
überwiegend Frauen sind, die Care-Arbeit leisten. Um das zu ändern, müssen
Frauen in entscheidungsrelevante Positionen kommen.“
## Der Zwang zur Hetero-Kleinfamilie
Annik Freuer, 44, Lehrer*in und Schriftsteller*in: „Ich wollte
eigentlich nie Kinder bekommen. Ich habe eine Erkrankung und hatte Sorge,
sie ihnen weiterzuvererben. Und doch habe ich zwei Kinder bekommen. Warum?
Weil mir mein Leben lang vermittelt wurde: die heteronormative Kleinfamilie
ist das absolute Nonplusultra.
Als ich ein Kind war, habe ich gelernt, dass es nur eine Art von Familie
gibt: Die cis-heteronormative. Familie wird als private Institution
geframed, in der man selbstbestimmt entscheiden kann, wie man leben will.
Aber das ist ein Trugschluss. Das Bild der normativen Familie wird überall
reproduziert und es wird institutionell gefördert. Dieses Bild hatte ich so
internalisiert, dass ich nie eine Wahlfreiheit hatte. Das macht mich
rückblickend so wütend.
Also habe ich lange mit meinen zwei Kindern und meinem Partner nach dem
normativen Konzept gelebt. Offiziell haben wir uns die Care-Arbeit
fünfzig-fünfzig geteilt. Aber es war in der Umsetzung nie paritätisch. Der
Mental Load war bei mir viel größer: ich hatte alle Arzttermine der Kinder
im Kopf, ihre Kleider- und Schuhgrößen und wusste, wer wann wohin musste.
Mit meinem Partner konnte ich über das Ungleichgewicht nicht sprechen, er
hat es nicht verstanden. Wir haben uns viel darüber gestritten.
Es hat wahnsinnig lang gedauert, bis ich aus dieser Konstellation
ausbrechen konnte. Ich bin auch deshalb geblieben, weil ich wusste, dass
die Reaktionen in meinem Umfeld sehr negativ sein würden, wenn ich mich
trenne. Und so war es: Dass ich nach all der Zeit endlich zu meiner
Identität und sexuellen Orientierung stand, wurde nicht als
Befreiungsschlag, sondern als Scheitern bewertet – allen voran durch meine
Mutter.
Dabei war diese Trennung so empowernd für mich. Ich habe schon seit dem
Kindesalter geahnt, dass ich lesbisch bin, aber ich habe es nie geschafft,
dazu zu stehen. Mit dem Vater meiner Kinder war ich lange in einer offenen
Beziehung und hatte Affären mit Frauen oder Flinta*-Personen, aber ich habe
mir selbst immer eingeredet, dass ich nicht mit einer Frau zusammen sein
könnte. Ich habe gar nicht gemerkt, wie stark ich mir in die Tasche lüge.
Erst jetzt fange ich an, mir das zu aufzubauen, was ich als familiäres
Ideal empfinde. Es gibt das schöne Sprichwort „Um ein Kind zu erziehen,
braucht es ein ganzes Dorf“. Dieses Dorf habe ich mir jetzt ermöglicht.
Drei meiner besten Freundinnen wohnen im selben Wohnhaus wie ich. Sie sind
für meine Kinder da, passen auf sie auf und kochen ihnen Essen. Das ist
jetzt meine Familie, mein erweitertes Dorf.
Der Vater meiner Kinder hat eine neue Partnerin. Sie wird von der
Gesellschaft selbstverständlich als Elternperson angenommen, aber meine
Freundinnen nicht. Warum? Ich persönlich habe mehr Vertrauen darin, dass
diese engen Freund*innenschaften bestehen bleiben, als romantische
Beziehungen. Noch komplizierter wird das, wenn sich Menschen entscheiden,
zu viert ein Kind zu bekommen. Ich wünsche mir, dass diese starren Gerüste
aufgebrochen werden.
Meinen Kindern probiere ich vorzuleben, dass es nicht nur eine Normativität
gibt, sondern, dass Menschen facettenreich sind und sie sich nicht
gesellschaftlichen Erwartungen anpassen müssen. Ich gehe nicht davon aus,
dass meine Kinder cis-normativ oder heterosexuell sind, oder, dass sie
später einmal Kinder haben werden. Mir ist wichtig ihnen zu vermitteln:
Eure Identität gehört euch. Lasst euch nicht vorschreiben, wer ihr sein
sollt. Das kostet sehr viel Energie, aber genau diese Haltung hätte ich mir
gewünscht.“
9 May 2025
## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
Muttertag
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Regierungsbildung
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