Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tiktok: Beef um türkische Identität
> Seit Wochen streiten türkische und deutsche Türkinnen auf Tiktok. Es geht
> nicht nur um das richtige Make-up, sondern um angeblich richtiges
> Türkisch sein.
Bild: Mehr oder weniger, das ist auf Tiktok hier die Frage
Alles begann damit, dass sich die Türkin Meri über die Schminkkünste der in
Deutschland lebenden Türkinnen lustig machte. Almancı kızlar – also
Türkinnen aus Deutschland – würden zu viel Bronzer und Blush benutzen,
immer künstliche Wimpern tragen und „nicht wie echte Türkinnen“ aussehen.
Meris Video [1][ging auf Tiktok viral] und zettelte einen Streit zwischen
türkischen Türkinnen und deutschen Türkinnen an, der weit über einen
oberflächlichen Kommentar über Make-up hinausgeht. Es löste einen
Identitätskonflikt zwischen türkischen und deutschen Türkinnen aus, der
beiden Seiten nur schadet.
## Symbol eines tieferliegenden Konflikts
Das Thema Make-up offenbart sich eigentlich nur als Symbol für die
tieferliegenden Konflikte der Streitparteien. Die türkischen Türkinnen
wollen die deutschen Türkinnen nicht als „richtige Türkinnen“ anerkennen,
die deutschen Türkinnen machen sich über die türkischen Türkinnen lustig
und negieren dabei deren Lebensrealität. Und dabei wird generalisiert und
diskriminiert. Außerdem versucht sich die eine Gruppe von der anderen
abzugrenzen. Diese Konflikte existieren bereits seit Generationen.
Der Begriff Almancı wird nicht als neutrale Bezeichnung für die Herkunft
genutzt, sondern als Abwertung gegenüber der türkischen Diaspora in
Deutschland. Dieser wird vorgeworfen, ihr gehe es „zu gut“ im Ausland. Dass
viele Türk:innen [2][in Deutschland unter Rassismus leiden] und, weil
viele als sogenannte „Gastarbeiter:innen“ nach Deutschland kamen, [3][auch
unter Klassismus], wird dabei nicht beachtet.
Häufig leben sie zwischen zwei Welten: In der Türkei gelten sie als zu
deutsch, in Deutschland als zu türkisch. Dabei gibt es eine eigene
deutsch-türkische Kultur, die sich seit Generationen in der türkischen
Diaspora entwickelt hat. Der Begriff Gurbetçi – eine Person, die ein Leben
außerhalb ihrer Heimat in der Fremde führt – würde dementsprechend besser
passen, kommentieren einige Tiktok-Nutzer:innen.
## Wer ist Türkisch genug?
Meris Video befeuert also diesen generationenalten Konflikt, indem sie in
Deutschland lebenden Türkinnen das Türkisch-Sein abspricht. Das lassen sich
diese allerdings nicht gefallen und antworteten mit weiteren Videos auf
Tiktok, in denen sie die Schminkgewohnheiten der Türkinnen in der Türkei
beleidigen.
Mittlerweile hat der Streit auch andere migrantische Communities in
Deutschland erreicht: Einige in Deutschland lebende Albanerinnen stellten
sich auf die Seite der Deutsch-Türkinnen. Sie kennen diesen
Identitätskonflikt ebenfalls nur zu gut. Nur leider geht die
Konfliktspirale so weiter, denn auch diese Seite beachtet die
Lebensrealität der türkischen Türkinnen nicht: Junge Menschen in der Türkei
leiden sehr unter der hohen Inflation und Perspektivlosigkeit in einer
aufsteigenden Autokratie.
Der Streit hat dazu auch noch eine rassistische Seite. Indem die
Deutsch-Türkinnen als Afghaninnen oder Araberinnen bezeichnet werden – was
als Beleidigung gemeint ist –, [4][wird Colourism reproduziert]. Dies ist
eine Form des Rassismus, die sich auf die Diskriminierung aufgrund der
Hautfarbe bezieht. Je dunkler die Haut, desto stärker die Diskriminierung.
Durch das zu dunkle Make-up seien Deutsch-Türkinnen keine richtigen
Türkinnen, heißt es. Ihnen soll so ihre kulturelle Identität abgesprochen
werden. Auch über den deutschen Akzent vieler Deutsch-Türkinnen, wenn sie
Türkisch sprechen, wird sich lustig gemacht. Die türkischen Türkinnen
erheben somit den Anspruch auf das „richtige“ Türkisch-Sein.
## Kurdische Stimmen sehen Gemeinsamkeiten
Zu dem Diskurs äußerten sich auch einige Kurd:innen. Sie kritisieren, dass
beide Gruppen versuchen, sich voneinander abzugrenzen, obwohl sie viele
Dinge eint. Besonders der Rassismus gegenüber der kurdischen Minderheit in
der Türkei wird in dem Kontext genannt. Die kurdische Kultur wird in der
Türkei seit der Gründung der Republik unterdrückt. Kurd:innen sind also
die Minderheitengruppe, die besonders stark Ausgrenzung erlebt, und das
sowohl von türkischen als auch deutschen Türk:innen.
Als wäre das alles nicht genug, zeigt sich in dem Konflikt auch Sexismus.
Indem sie das Aussehen der anderen abwerten, zeigt sich auch die
internalisierte Misogynie bei beiden Parteien. Auch einige Männer bei
Tiktok nehmen sich die Deutungshoheit, bewerten zu dürfen, welche der
beiden Gruppen schöner sei, während sich die beiden Frauen-Gruppen
gegenseitig heruntermachen.
## Solidarität statt Beef
Mit gegenseitigen Zuschreibungen, die Klischees reproduzieren und tief
verankerte Diskriminierungen aufzeigen, wird im Konflikt nicht gespart. So
lautet ein Kommentar unter einem kritischen Video zu dem Streit: „Menschen
aus der Diaspora erleben Kultur anders – das ist kein Makel, sondern Teil
ihrer Realität. Sie wachsen zwischen verschiedenen Einflüssen auf und
entwickeln ihre eigene Art, Identität zu leben.“
„Statt Spaltung braucht es mehr Verständnis dafür, dass Vielfalt innerhalb
einer Herkunftsgemeinschaft normal ist. Niemand verliert dadurch seine
Wurzeln – sie wachsen einfach in verschiedenen Richtungen.“ Sonst schadet
der Beef nur allen Parteien.
6 May 2025
## LINKS
[1] https://www.tiktok.com/@helalgossip/video/7494270070223539479
[2] /Rassismus-im-Alltag/!6081524
[3] /Leistungsdruck-bei-Arbeiterkindern/!6021020
[4] /Feminismus-und-Schoenheit/!5994359
## AUTOREN
Ayşe Yıldız
## TAGS
Gesellschaftskritik
Türkei
Migrationshintergrund
Türkische Gemeinde in Deutschland
TikTok
Social Media
Sexismus
Misogynie
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Kolumne Starke Gefühle
Ausstellung
Kolumne Postprolet
## ARTIKEL ZUM THEMA
ARD will Radiosender Cosmo abschaffen: Sound der Welt vor dem Aus
Sparpläne der ARD bedrohen den Radiosender Cosmo, der sich an ein junges,
migrantisches Publikum richtet. Prominente kämpfen für seinen Erhalt.
Rassismus im Alltag: Was soll ich meinem Sohn sagen?
Wir dürfen nicht zulassen, dass „Ausländer raus“-Rufe wieder Alltag werde…
sagt unser Autor. Er wünscht sich ein anderes Deutschland für seinen Sohn.
Ausstellung mit Fotos von Nuri Musluoğlu: Kein Change in Deutschland
Künstlerin Pınar Öğrenci arbeitet für eine Hamburger Schau das Archiv von
Fotograf Nuri Musluoğlu auf. Er kam 1965 aus der Türkei nach Deutschland.
Leistungsdruck bei Arbeiterkindern: Der Fluch des besseren Lebens
Ihr sollt es mal besser haben als ich, sagen Arbeitereltern zu ihren
Kindern. Und schicken sie auf eine Reise, bei der die Kinder nie ankommen
können.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.