| # taz.de -- Die Wahrheit: Schuss mit Pansen und Lebertran | |
| > Beim Carpainting im Sauerland scheiden sich die Geister. Eine neue | |
| > Jugendbewegung gegen rasende Autos mit durchschlagend bunter Wirkung. | |
| Bild: Typische Carpainterin bei der Jagd auf schnelle Autos | |
| Ein verheißungsvoller Montagmorgen bricht im Hochsauerlandkreis an. Über | |
| den Auen der Ruhr hängen noch Nebelschwaden, doch hinter dem Turm der | |
| St.-Marien-Kirche geht bereits eine rote Aprilsonne auf. Auf den ersten | |
| Blick wirkt alles wie in einem Werbespot für Sauerlandromantik. Doch schon | |
| auf den zweiten Blick sieht die dörfliche Idylle hier in Antfeld ganz | |
| anders aus. | |
| Da sieht man hinter der Bushalte des 800-Seelen-Ortes Jonas liegen. Und | |
| neben dem 17-jährigen Gesamtschüler eine Art Schießgewehr: eine dieser | |
| Druckluftwummen, wie sie im Paintball eingesetzt werden. Dazu jede Menge | |
| Munition: von Jonas eigenhändig befüllte Gelatinebeutel. Mit einem | |
| stinkenden Gemisch aus Katzennassfutter, Sonnenmilch und einem lilafarbenen | |
| Farbpigment, das Jonas aus Ostereierfärbepulver gewinnt. | |
| „Lila ist halt meine Farbe“, grinst er, während er durch einen Spalt in der | |
| Rückwand des Wartehäuschens späht. „Man soll ja sehen, wer’s war.“ | |
| Der Asphalt der Dorfstraße vibriert. Ein schwarzer Audi nähert sich der | |
| Bushalte in der Ortsmitte – deutlich schneller als erlaubt: Die | |
| Geschwindigkeitsanzeige, die von der Gemeinde aufgestellt wurde, blinkt | |
| rot: „77 kmh“. Jonas spannt den Hahn seines Drucklufters. Neben ihm huschen | |
| zwei weitere Jugendliche aus der Deckung: Marie, 16, die ein | |
| Munitionsgemisch aus Sheba Thunfisch, Penatencreme und rosa Farbpulver | |
| bevorzugt, und Tarek, 21, der in den Lauf seiner Knarre „Spritze 3000“ | |
| geritzt hat. Er schießt am liebsten mit einem Mix aus Pansensud, Niveasalbe | |
| und Neongrün. | |
| ## Reifen quietschen | |
| Und dann geht alles ganz schnell. Klatsch, flatsch, platsch! Drei | |
| Farbbeutel treffen den Audi in voller Fahrt. Reifen quietschen. Der Audi | |
| bremst abrupt. Ein Mann mittleren Alters springt aus dem Wagen, mit | |
| hochrotem Kopf, sein Handy im Anschlag: „Stehnbleim!“ | |
| Doch die drei Carpainter sind bereits halb die Böschung runter. Aber der | |
| Audi-Typ ist flink. Er erwischt Tarek fast am Rucksack. „Ich ruf die | |
| Bullen, ihr Schweine!“ Seine Stimme überschlägt sich: „Das ist ein | |
| gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr!“ Tarek kichert: „Ein | |
| gefährlicher Eingriff ist höchstens der in deiner Unterhose.“ | |
| Und dann passiert, was sie in Antfeld „den finalen Paint“ nennen: Marie, im | |
| Davonrennen, dreht sich blitzartig um, zielt und feuert. Ihre prall | |
| gefüllte Gelatinekugel trifft den Audi-Driver direkt an der Brust. Ein | |
| sattes „Plopp“, ein Schwall rosa-braune Pampe, und der Mann bleibt wie | |
| angeschossen stehen. Für einen Moment scheint selbst sein vor sich hin | |
| wummernder Audi zu schweigen. | |
| Zwei weitere Kugeln folgen. Jonas und Tarek feuern aus vollem Lauf. | |
| Innerhalb von Sekunden ist der Mann vollgesaut, sein Anzug mit buntem | |
| Schleim überzogen, sein Gesicht getupft in Lila, Rosa und Knallgrün. Ein | |
| strenger Geruch nach Dosenfutter breitet sich aus. „Jetzt siehste aus wie | |
| dein Auto“, ruft Tarek im Weglaufen. | |
| Ein paar Minuten später werden drei Striche auf einer Liste gezogen. Denn | |
| so funktioniert Carpainting: Wer die meisten Treffer macht, bekommt Ruhm, | |
| Ehre – und einen Eintrag in der Antfelder Painter-Tabelle. Die hängt im | |
| Schützenhaus neben dem Defibrillator. | |
| ## Pendler hupen | |
| Hier wurde Carpainting erfunden. Beim Jugendfasching, Ende Januar, nachdem | |
| überraschend Höchsttempo 30 auf der das Dorf durchquerenden Bundesstraße | |
| genehmigt wurde. Seitdem ließen die Berufspendler immer ihre Hupen | |
| erschallen, wenn sie durch den Ort zuckelten. Um sich so bei den Anwohnern | |
| zu bedanken: dass sie jetzt nur wegen deren Ruhebedürfnis zwanzig Sekunden | |
| früher losmussten zur Arbeit. | |
| Natürlich nervte das Gehupe. Aber statt zu lamentieren oder auf | |
| gelegentliche Polizeikontrollen zu vertrauen, beschlossen ein paar | |
| Antfelder Jungschützen zurückzuhupen – mit Farbkugeln. „Seitdem herrscht | |
| Ruhe“, erzählt ein schlaksiger Junge, der nur als „Björn, 22, Autohasser�… | |
| zitiert werden möchte. Aber gepaintet wird das Geschwindigkeitsgesindel | |
| weiterhin, wie sie in Antfeld jene Kfzler nennen, die immer noch zu laut | |
| unterwegs sind. | |
| Was als anarchistischer Lärmschutz im Sauerland begann, ist mittlerweile | |
| zur bundesweiten Bewegung geworden. Überall gründen sich | |
| Autopaintergruppen. In Bielefeld nutzen sie ein Gemisch aus Leberwurst, | |
| Lebertran und verdorbenem Spinat. Offiziell ist Carpainten | |
| selbstverständlich nicht erlaubt. Aber längst streiten die Juristen | |
| darüber, ob es sich nicht auch um Kunst handeln könnte. | |
| Am nächsten Morgen wieder an der Bushalte. Noch zwei Stunden bis zum | |
| Schulbus nach Brilon. Jonas ärgert sich über ein paar eingetrocknete | |
| Farbspritzer auf seinem Ärmel. Marie lädt frische Munition in ihren Lufter. | |
| Tarek zeigt stolz sein Wackel-Selfie mit dem Audi im Hintergrund. Dann | |
| schießt der nächste Wagen heran. „Ein Dreifachtreffer, geil“, sagt er. Ein | |
| grauer BMW. Eindeutig zu schnell. | |
| 13 May 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Fritz Tietz | |
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