| # taz.de -- Die Wahrheit: Radikale Kuschellektüre | |
| > Die Zeiten sind spannend genug. Da bietet die Literatur lieber | |
| > irgendetwas Paratherapeutisches mit Hasen als Schmusetiere für die Seele. | |
| Mir kommen die geilsten Ideen immer im Schlaf. Zuletzt träumte ich das | |
| Exposé für einen augenzwinkernden Thriller, in dem ein harmloser | |
| Familienvater sich bei Sicherheitskontrollen am Flughafen immer wieder zum | |
| Gespött seiner Familie macht, weil er versehentlich Taschenmesserchen oder | |
| Gläser voller Erdnussbutter mit sich führt – in Wahrheit aber gar nicht | |
| schusselig ist, sondern radikalisiert. | |
| Seit Jahren versucht er wirklich, einen schrecklichen Anschlag zu begehen. | |
| Fertig ist der Schmunzelkrimi für Diogenes, Titel: „Die tickende | |
| Thermoskanne“ oder „Der Mann, der warten konnte“, 220 Seiten, 22 Euro, | |
| Verfilmung mit Oliver Masucci oder Moritz Bleibtreu. | |
| Es schadet nicht, wenn der Autor ein ansehnlich gebräunter Grandseigneur | |
| mit Einstecktuch im Jackett ist und wirkt, als schriebe er aus purem Ennui | |
| und reiner Menschenliebe die Summe seiner Lebenserfahrung mit dem | |
| Edelfüller auf die Serviette eines Grand Hotels in Genf. Oder die Autorin | |
| eine volltätowierte Kreuzbergerin mit Kontakten in die Theaterwelt ist, der | |
| auf dem Weg zum lesbischen Tête-à-Tête erstmals dämmert, dass seit Jahren | |
| schon pittoreske Junkies in ihrem Hausflur wohnen. Man müsste dafür ein | |
| Genre erfinden. Wie wär’s mit … „Berlinroman“? | |
| Wobei das zu spannend sein könnte. Die Zeiten sind selbst schon spannend | |
| genug. Derzeit wollen sich die Leute von ihren Lektüren lieber zärtlich in | |
| den Arm genommen, über den Scheitel gestreichelt und sanft gewiegt fühlen. | |
| Irgendwas Paratherapeutisches mit Hasen. Oder Autofiktionales über alte | |
| Apfelsorten und bretonischen Nebel, der die zuvor angedeuteten Problemchen | |
| des Alltags (Krebs, Care-Arbeit, kein Geld) gnädig verhüllt. Mit gesummten | |
| Binsen über das Leben und der Botschaft, die Gegenwart sei gar nicht so | |
| spannend und eigentlich ganz in Ordnung, hach. Bestenfalls Bücher, die | |
| eigentlich nur kuscheln wollen. | |
| Auch für dieses Segment habe ich bereits eine Idee geträumt. Alternder | |
| Dichter kauft mit letztem Geld dem kranken Mario seinen klapprigen Eiswagen | |
| ab, um damit über die Dörfer zu tingeln und mit dem goldenen Glöckchen zu | |
| klingeln. Erst kommen die Kinder gelaufen, dann, aus Neugier, auch die | |
| Erwachsenen. Statt Schokolade, Erdbeer oder Stracciatella gibt’s Sonette, | |
| Balladen oder Epigramme. Anfängliche Skepsis weicht rasch der Begeisterung | |
| für den herzensguten und lebensweisen Poeten, der stets die richtigen Worte | |
| und bald auch eine neue Liebe findet: „Mit Glöckchen und Gefühl – ein | |
| Dichter auf Eisreise“ oder „Verse und Vanille – ein Sommer voller Poesie�… | |
| 199 Seiten bei Rowohlt. Verfilmung fürs ZDF mit Heiner Lauterbach und | |
| Christine Neubauer. | |
| Bevor mir für meine „wunderbar schrulligen“ Figuren und „herrlich | |
| lakonische“ Sprache dann auch noch alle Literaturpreise nachgeworfen | |
| werden, wache ich meistens auf. Schweißgebadet, versteht sich. | |
| 25 Apr 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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