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# taz.de -- Die Wahrheit: Bizarre Zungen
> Die wahren und letzten Sprach-Freaks greifen auf wirklich alte
> Kommunikationssysteme zurück wie Keltisch, Baskisch oder sogar Sanskrit.
Als Schüler hat es mich immer gekränkt, wenn meine erste Fremdsprache als
„mausetot“ bezeichnet wurde. Nun ist das Lateinische zwar nicht gerade
alive and kickin’, wie der angetrunkene Angelsachse sagt. Immerhin aber
kann ich mühelos einer vorkonziliarischen Messe folgen, beiläufig
Inschriften auf antiken Grabsteinen entziffern, Warnungen („Cave canem!“)
oder Ratschläge („Carpe diem!“) aussprechen.
Überdies fliegen mir romanische Sprachen nur so zu. Wenn also Spanier,
Italiener oder Franzosen so richtig loslegen, lege ich wissend den Kopf
schief und verstehe jedes – oder doch jedes fünfundzwanzigste – Wort.
Die wahren Nerds auf meiner Schule lernten Griechisch. Also nicht diesen
neumodischen Dialekt, mit dem man im Urlaub auf dem südlichen Balkan seinen
Ouzo, Tsatsiki oder Moustaki bestellt. Sondern echtes Altgriechisch, mit
dem diese Schüler früher schon Homer im Original gelesen haben und heute
als die Ärzte, die sie inzwischen allesamt geworden sind, komplizierte
Hautkrankheiten mit leichter Zunge beim Namen nennen können.
Dem größten Geck auf meinem Gymnasium war selbst das Altgriechische nicht
abseitig genug. Er studierte dann später Gälisch, das schwarze Schaf in der
keltischen Sprachfamilie. Keine Ahnung, wo man damit was genau bestellen
kann.
Als der Apostel Paulus sich im Jahr 55 hinsetzte, um seinen mahnenden Brief
an die damals noch in Anatolien herumlungernden Galater zu schreiben („In
Zukunft mache mir niemand weiter Mühe!“), tat er das im seinerzeit noch
quicklebendigen Altgriechisch. Immerhin waren sie extrem wanderlustig,
diese Galater oder Gallier oder eben Kelten. Spielt Celtic Glasgow gegen
Galatasaray Istanbul, spielen sie gewissermaßen heute noch gegen sich
selbst.
Super-Nerd und Zauselphilosoph Arthur Schopenhauer stürzte sich aus purer
Eitelkeit auf eine noch ältere Sprache. So alt, dass selbst automatische
Übersetzungsprogramme sie nicht mehr kennen. Sagt auf Youtube in einem
Video über Yoga jemand das Wort „Sanskrit“, erscheint es im Untertitel
zuverlässig als „Tanzcrew“. Ein Jammer.
Alle Welt huldigt der spirituell angehauchten Verrenkungsgymnastik, die
zugehörige Sprache aber beherrschen auf der ganzen Welt weniger Leute, als
beispielsweise in Walldorf oder Wiesloch leben. Dabei haben wir diesem
linguistischen Oldie zwar nicht die Luftpumpe, immerhin aber den Atem
(„atman“) oder das Rad („ratha“) zu verdanken.
Der wahre Grönlandhai unter den europäischen Sprachen ist übrigens das
Baskische. Es könnte, wie Angeber auf Altgriechisch sagen, wirklich
au-tochthon sein. Kein Mensch weiß, woher das kommt, womit es verwandt ist
und wieso es seinerzeit dem Hype ums Indogermanische nicht erlegen ist. Und
so greifen wir alle, wenn wir den gegenwärtigen Zustand der Welt auf den
Punkt bringen wollen, heute noch täglich zu einem baskischen Adjektiv:
„bizarr“.
28 Feb 2025
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Fremdsprachen
Antike
Linguistik
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