# taz.de -- Die Wahrheit: Wildwechsel mit Schrecken | |
> Rund um die Holzhütte hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen | |
> tief im Pfälzerwald treibt eine stolze Kreatur ihr röhrendes Unwesen. | |
Als jahrzehntelanger Bewohner der einen oder anderen Stadt habe ich die | |
„Achtung Wildwechsel!“-Schilder mit dem elegant im roten Dreieck | |
springenden Rehbock eher für Informationstafeln gehalten, die mich über die | |
erfreuliche Biodiversität der entsprechenden Landschaften in Kenntnis | |
setzen sollten. Das hat sich geändert. | |
Seit ich hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen eine Holzhütte | |
tief im Pfälzerwald bewohne, habe ich schon mehrere Attentatsversuche | |
dieser tückischen Viecher überlebt. Mit Vorliebe in der Dämmerung oder im | |
Nebel lauern sie im Dickicht am Rand der Landstraße, um rudelweise gerade | |
dann die Straße zu queren, wenn ich mit dem Moped vorbeifahre. Hin und | |
wieder verharren sie auch auf dem Mittelstreifen und ergötzen sich an | |
meinen panischen Brems- und Ausweichmanövern. | |
Ähnlich zudringlich benahm sich bisher auch der Rehbock, der die Wildnis | |
rings um meine Hütte bewohnt. Das Tier erhob offenbar territoriale | |
Ansprüche auf das dornröschenschlafende Wochenendgebiet, tänzelte | |
aufreizend furchtlos über die Schotterstraßen, graste seelenruhig in den | |
verwilderten Gärten ringsum, groß wie ein kleines Pony, nur bedeutend | |
graziler. Als jahrzehntelanger Stadtbewohner war ich anfangs entzückt, | |
beinahe verzaubert von der zwanglosen Gegenwart einer so stolzen Kreatur. | |
Mein Nachbar Gernold allerdings winkte ab und warnte: „Do musche uffbasse, | |
dass des Böck’sche dir ned alles wegfrisst und vollkackt.“ Zwar griff mich | |
der Rehbock bisher nicht an. Allerdings erschreckte er mich in Dämmerung | |
und Nebel beinahe zu Tode mit seinem „Schrecken“. So nennt man, erklärte | |
mir Gernold, die Imponiergeräusche dieser Tiere. Es klingt, als würde ein | |
sehr großer und sehr schlecht gelaunter Mann kleine Kinder anblaffen: „Wää! | |
Wäääää!“ | |
Seit dem Oktober vorigen Jahres aber habe ich das „Böck’sche nimmi gesieh�… | |
also nicht mehr gesehen. Vielleicht, dachte ich, hat ihn der Wolf geholt, | |
der sich hier auch schon herumtreibt. Oder, Katzen traue ich alles zu, der | |
Luchs. Vielleicht auch der Goldschakal, der sich zum Fuchs verhält wie AMG | |
zu Mercedes. | |
Realistischerweise, fürchtete ich, war er vor die Flinten der Jäger | |
gelaufen, die im vorigen Herbst hier ihre jährliche Treibjagd veranstaltet | |
hatten. Da bellten die Bluthunde, fielen Schüsse und tropfte Blut von den | |
Ladeflächen der Allradfahrzeuge von Subaru mit Kennzeichen aus ganze | |
Südwestdeutschland. Es muss ein Gemetzel gewesen sein. | |
Gernold aber winkte wieder ab: „Ach was! ’s Böck’sche kennt sich hier au… | |
Das ist sein Revier! Der stellt sich in e’ Garage odder e’ Schuppe und | |
wartet, bis die Schießerei vorbei ist!“ | |
Gernold hatte natürlich recht, wie immer. Gestern am Morgen ertappte ich | |
das Böckchen, wie es im Schuppen die Füllung aus der Sitzbank meines Mopeds | |
zupfte und verspeiste. | |
27 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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