| # taz.de -- Digitalpolitik: Radikal digital! | |
| > Europa muss seine digitale Souveränität verteidigen und in disruptive | |
| > Technologien investieren. Fünf Vorschläge, wie das gelingen kann. | |
| Bild: Europa sollte jetzt konsequent digital aufrüsten, um mit den USA mithalt… | |
| Europa lebt heute digital zur Untermiete: Unser Vermieter sind die | |
| Vereinigten Staaten von Amerika [1][und Plattformen], deren Eigentümer im | |
| Silicon Valley in Kalifornien sitzen. Sowohl die USA als auch die digitalen | |
| Superfirmen ändern derzeit radikal die Spielregeln. Europa sollte jetzt | |
| konsequent digital aufrüsten und sein Gesellschaftsmodell verteidigen. Die | |
| Digitalisierung wird zur Voraussetzung politischer Souveränität. | |
| Digitale Dienstleistungen waren in den letzten 20 Jahren der wichtigste | |
| Treiber für Wachstum und Wohlstand weltweit. Mit einem Überschuss von fast | |
| 300 Milliarden US-Dollar bei den Services gehören die USA und ihre | |
| [2][Tech-Konzerne] zu den größten Gewinnern dieser Entwicklung. Der Faktor | |
| der digitalen Services spielte bei der Berechnung der Strafzölle jedoch | |
| keine Rolle und wurde von der Trump-Administration schlicht ignoriert. Die | |
| EU sollte bei ihren Gegensanktionen auch die digitalen Dienstleistungen der | |
| großen US-Konzerne berücksichtigen und diese endlich spürbar besteuern. | |
| Laut einem Bericht der Welthandelsorganisation (WTO) könnte das reale | |
| Wachstum des Welthandels durch KI-bedingte Produktivitätsfortschritte bis | |
| 2040 um fast 14 Prozentpunkte steigen. Während die USA zunehmend auf | |
| [3][staatliche Regulierung verzichten] und auf Selbstregulierung setzen, | |
| hat die EU mit dem AI Act den weltweit ersten gesetzlichen Rahmen für | |
| künstliche Intelligenz geschaffen. Dieses Gesetz fördert Innovation und | |
| schafft Rechtssicherheit für Entwickler und Unternehmer. Die EU darf dem | |
| wachsenden Druck von US-Regierung und Tech-Unternehmen gegen den Digital | |
| Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA), die Plattformen | |
| sicherer, transparenter und fairer machen sollen, nicht nachgeben. | |
| Deutschland hinkt in Europa und weltweit [4][digitalpolitisch weit | |
| hinterher] – so der Zwischenbericht einer Expertenkommission des | |
| Bundespräsidenten. Für Andreas Voßkuhle, den früheren Präsidenten des | |
| Bundesverfassungsgerichts, hat Deutschland die Digitalisierung „völlig | |
| verschlafen“. Der Sachverständigenrat Gesundheit sprach unmittelbar nach | |
| der Coronapandemie in einem Gutachten zur „Resilienz im Gesundheitswesen“ | |
| von einem „Schönwettersystem“. Teuer, langsam und wenig erfolgreich. | |
| Deutschland kann sich seine selbstverschuldete digitale Lähmung nicht | |
| länger leisten. Ziel muss sein, Deutschland zu einem der drei wichtigsten | |
| Innovationsstandorte der Welt zu machen. Dazu fünf Vorschläge: | |
| Erstens: Leistungsfähige digitale Verwaltung. Die digitale Verwaltung ist | |
| das Rückgrat des digitalen Staates. Das Serviceangebot der deutschen | |
| Verwaltung ist im europäischen Vergleich nur mäßig entwickelt und wenig | |
| nutzerfreundlich. Vorhandene Angebote sind kaum integriert. Statt einmal | |
| erhobene Daten für lebenslagenbezogene Services zu nutzen, müssen Bürger | |
| häufig selbst den Datenaustausch zwischen Behörden übernehmen. Ziel muss | |
| eine vollständig elektronische Vorgangsbearbeitung (eAkte) in der | |
| öffentlichen Verwaltung sein. | |
| Zweitens: Digitaler Föderalismus und Bundesstaat. Über ein digitales | |
| Bürgerportal kann jeder Bürger mit einem persönlichen Konto seine Daten | |
| verwalten, öffentliche Leistungen online beantragen oder die | |
| Steuererklärung digital einreichen. Bürgerportal und -konto stärken die | |
| digitale Souveränität, Selbstbestimmung sowie Teilhabe und Mitbestimmung | |
| durch nutzerfreundliche Open-Data-Angebote. | |
| Drittens: Stärkung der Resilienz. Europa muss auf zukünftige Pandemien, | |
| Kriege und Krisen besser vorbereitet sein. Resilienz (Widerstandsfähigkeit) | |
| muss daher Teil einer umfassenden digitalen Sicherheitspolitik werden. Dazu | |
| gehören kritische Infrastrukturen wie Gesundheits-, Telekommunikations- und | |
| Energiewesen sowie Gesellschaften, die auch in Krisen funktionieren und | |
| nicht auf Falschinformationen hereinfallen. Lettland hat ein | |
| Unterrichtsfach „Verteidigung“ eingeführt, in dem Schüler lernen, sich zu | |
| schützen, gesund zu leben und sich zu bewegen. Schweden setzt auf das | |
| Konzept der „total defence“. Europa braucht eine schlagkräftige Armee – | |
| nicht 20, von denen keine einzige einsatzfähig ist. Bei kritischen | |
| Rohstoffen muss Europa unabhängiger werden und eine echte europäische | |
| Außenwirtschaftspolitik betreiben, die auf industrielle Partnerschaften | |
| setzt. | |
| Viertens: Massive Investitionen in Zukunftstechnologien. [5][KI], | |
| Kernfusion, Biotechnologie, Robotik und [6][Quantencomputing] sind die | |
| disruptiven Innovationsbranchen der Zukunft. Europa hinkt hier – wie der | |
| Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit im vergangenen Jahr zeigte – bei | |
| den Investitionen in Forschung und Entwicklung deutlich hinterher. | |
| Fünftens: Abbau von Bürokratie. Europaweit steigt die Belastung für | |
| Unternehmen durch Berichtspflichten. Die Kosten stiegen in den letzten fünf | |
| Jahren von 50 auf fast 70 Milliarden Euro. Laut einer Studie des | |
| Ifo-Instituts betragen die Bürokratiekosten für deutsche Unternehmen rund 6 | |
| Prozent. In Deutschland arbeiten heute über 5,4 Millionen Menschen im | |
| öffentlichen Dienst – fast 10 Prozent der Erwerbstätigen und damit 400.000 | |
| mehr als zur Jahrtausendwende. In wenigen Jahren wird der Staat | |
| demografiebedingt jeden dritten Beschäftigten verlieren. | |
| Der britische Technikjournalist Jamie Bartlett sah in seinem 2018 | |
| erschienenen Buch „The People vs Tech“ in einem Endspiel: „In den kommend… | |
| Jahren wird entweder die Technologie, die Demokratie und die soziale | |
| Ordnung, wie wir sie kennen, zerstören – oder die Politik wird der | |
| digitalen Welt ihre Autorität aufzwingen.“ Das Ergebnis wird auch davon | |
| abhängen, ob die Bürger Europa und seinen politischen Vertretern wieder | |
| Vertrauen entgegenbringen. Die neue Bundesregierung sollte sich die Reform | |
| Europas als prioritäres Ziel setzen. Der Titel des [7][Koalitionsvertrags] | |
| sollte lauten: „In Freiheit und Frieden leben. Deutschland mit Europa | |
| sicher in die Zukunft führen.“ | |
| 3 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Dettling | |
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