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# taz.de -- Angst vor dem Girokonto: Die freundliche Bänkerin und der innere S…
> Ein unerwarteter Anruf im Zug lässt unseren Kolumnisten über seine Angst
> vor seinem Bankkonto nachdenken. Doch damit scheint er nicht allein zu
> sein.
Bild: Kontostand gucken? Lieber nicht
Letztens sitze ich im Zug und eine unbekannte Nummer ruft mich an.
Natürlich überlege ich in einem deutschen Zug zweimal, ob ich ans Telefon
gehe. Ich vergewissere mich kurz, dass ich nicht im Ruheabteil sitze und
gehe auf volles Risiko.
Eine freundliche Frauenstimme begrüßt mich mit akkurater Aussprache meines
Nachnamens, womit sie mich quasi schon gewonnen hat, ganz egal, was sie von
mir will. Meine Gesprächspartnerin stellt sich als Mitarbeiterin meiner
Bank vor und informiert mich darüber, dass ich mich derzeit im Minus
befinde, dass das aber überhaupt kein Problem sei und sie mir einen Kredit
anbieten könne, natürlich zu hervorragenden Konditionen, damit ich gut
durch diese schwierige Zeit komme.
Kurz freue ich mich über das selbstlose Angebot. Dann überkommen mich
Zweifel: Was, wenn ich gar nicht im Dispo bin? Was, wenn die Betrüger, die
mir immerzu per SMS versichern, dass sie meine Kinder seien und sich in Not
befänden, jetzt dazu übergegangen sind, mich anzurufen? Und wie kann es
eigentlich sein, dass diese offenbar nicht türkeistämmige Person meinen
Nachnamen korrekt ausspricht? Einfach so!? Also fange ich an, Gegenfragen
zu stellen: Woher haben Sie meine Nummer? Wie weit befinde ich mich denn im
Minus? Und warum soll ich Ihnen vertrauen?
„Aber Sie müssen doch wissen, wie Ihr Kontostand ist?“, antwortet die Frau
darauf nur, jetzt in einem genervten Ton, was sie dann doch wieder
authentisch erscheinen lässt. „Wieso muss ich das denn wissen? Ich kenne
meinen Kontostand doch nicht auswendig“, antworte ich mit voller
Schlagkraft. Das Setting unseres Gesprächs, eine Zugfahrt im ICE von
Hamburg nach Berlin, muss ich da kurz vergessen haben, denn ein
Mitpassagier muss mich freundlich ermahnen, nicht so laut zu telefonieren.
Weil das Gespräch nicht zu retten ist, lege ich auf. Doch das Ende des
aufreibenden Telefonats bildet den Beginn einer ehrlichen
Auseinandersetzung.
## Kopf in den Sand statt Blick aufs Konto
Denn die Frau hat einen wunden Punkt getroffen: Ich habe Angst vor meinem
[1][Kontostand]. „Viele Menschen meiden es, auf ihr Konto zu schauen. Statt
sich der befürchteten schlechten Nachrichten zu stellen, putzen sie lieber
ihr Badezimmer“, lese ich dazu etwa in der [2][Pharmazeutischen Zeitung].
Ich bin erleichtert darüber, dass das sogar einen Namen hat, worunter ich
leide: „Straußeneffekt“ nennen es die Verhaltensökonomen.
Lieber den Kopf in den Sand stecken, statt sich unangenehmen Zahlen auf dem
eigenen Bankkonto auszusetzen. Mein Leben als Strauß hat mich früher immer
wieder in Schwierigkeiten gebracht. Die Angst war damals auch berechtigter.
Seitdem ich ein regelmäßiges Gehalt beziehe, halten sich böse
Überraschungen in Grenzen.
Die Angst ist geblieben. Während andere notorische Kontostandsvermeider
offenbar zu impulsiven Käufen neigen und damit [3][alles nur noch schlimmer
machen], profitiere ich aber auch von meinem kulturellen Hintergrund: Als
schwäbisch sozialisierter Mensch lebe ich sparsamer, wenn ich mich latent
im Notstand wähne, im gewählten Unwissen das Schlimmste befürchte.
Manchmal kommt es trotzdem zu Überraschungen: Die freundliche Frau von der
Bank wollte wirklich helfen, ich hatte mein Konto tatsächlich überzogen.
Bis ich das herausfand, ist eine Weile vergangen. Dafür durfte ich mich
einmal mehr über ein blitzeblankes, strahlend glänzendes Bad freuen.
23 Apr 2025
## LINKS
[1] /Bankkonto/!t5046016
[2] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/der-putz-trick-gegen-die-konto-angst…
[3] /Schwerpunkt-Armut/!t5007647
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
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