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# taz.de -- Internationale Strafverfolgung: Ein Schlag gegen das Völkerrecht
> Mit Ungarn ist das erste Land Europas aus dem Internationalen
> Strafgerichtshof ausgetreten. Nun sind alle Augen auf Deutschland
> gerichtet.
Bild: Benjamin Netanjahu und Viktor Orbán am 3. April
Eigentlich hätte er ihn festnehmen müssen. Doch statt den israelischen
Premier Benjamin Netanjahu an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)
auszuliefern, rollte sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán ihm am
vorvergangenen Donnerstag [1][den roten Teppich aus] und kündigte an, die
Mitgliedschaft Ungarns im IStGH aufzuheben. Der Gerichtshof sei ein
„politisches Gericht“ geworden, so Orbán. Mit diesem Schritt wird Ungarn
zum einzigen Land der EU, das das Römische Statut nicht mehr unterstützt.
Das Römische Statut ist die vertragliche Grundlage des IStGH mit Sitz in
Den Haag.
Der Chefankläger des Gerichts, Karim Khan, hatte im November 2024 einen
internationalen [2][Haftbefehl gegen Netanjahu] und den ehemaligen
israelischen Verteidigungsminister Joav Galant erlassen; zudem gegen den
palästinensischen Hamas-Führer Mohammed Deif, der den Angriff der
radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober maßgeblich geplant haben
soll. Deif wurde wohl im Juli vergangenen Jahres in Gaza getötet, seinen
Tod bestätigte die Hamas erst im Januar. Der Vorwurf gegen Netanjahu:
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in dem Krieg, der
auf den Angriff der Hamas auf Israel folgte.
Netanjahu wird innerlich jubiliert haben, als Orbán den Austritt aus dem
IStGH verkündete. Zu Hause versinkt der israelische Premier in einem ganzen
Sumpf an Skandalen. Nur zwei Beispiele: Innenpolitisch wird er zunehmend
durch die Affäre bedrängt, die derzeit unter dem Namen „Katar-Gate“ die
israelische Presse bestimmt. Zwei seiner engen Mitarbeiter sollen
Bestechungsgelder angenommen und dafür positive Nachrichten über Katar
verbreitet haben. Indes steht Israels Armee unter heftiger internationaler
Kritik für die Kriegsführung in Gaza. Zuletzt sorgte ein Angriff
israelischer Soldaten auf einen Krankenwagen und ein Feuerwehrauto, bei dem
15 Menschen getötet wurden, international für Entsetzen.
Nichts davon hielt Netanjahu davon ab, sich vier Tage Zeit für seine Reise
nach Ungarn zu nehmen, begleitet von seiner Frau Sara. Er spazierte mit
Orbán an der Donau entlang und fand einen Verbündeten im Chef der
rechtspopulistischen [3][Fidesz-Regierung] – deren immer wieder
aufkommenden antisemitischen Rhetorik zum Trotz. Der Tag, an dem Orbán aus
dem IStGH ausstieg, war für Netanjahu „ein bewegender Tag“, sagte dieser in
der gemeinsamen Pressekonferenz.
## Es geht nicht nur um Netanjahu
Der Austritt Ungarns aus dem IStGH ist nicht der erste Schlag, den das
internationale Recht in jüngster Zeit erfährt. Anfang Februar ordnete
US-Präsident Donald Trump Sanktionen gegen das Gericht und seine
Mitarbeiter an. Das Gericht habe „seine Macht missbraucht“, indem es
„unbegründete Haftbefehle“ gegen den israelischen Ministerpräsidenten und
den damaligen israelischen Verteidigungsminister erlassen hat.
Alexander Schwarz ist Co-Leiter des Programmbereichs Völkerstraftaten und
rechtliche Verantwortung beim European Center for Constitutional and Human
Rights – und er ist denkbar besorgt. Für ihn steht fest, dass der Streit
über den Haftbefehl gegen Netanjahu hinausreicht. Es gehe nicht nur um
einen Mann, sondern um eine Ordnung, die illiberale Staaten wie Ungarn und
die USA als Bedrohung ihrer Macht begreifen. „Der IStGH steht für
Rechenschaft, für universelle Normen, für die Idee, dass niemand über dem
Recht steht“, sagt Schwarz. „Genau das ist es, was sie delegitimieren
wollen – in dem Moment, in dem es ihnen politisch unbequem wird.“
Dabei betont Schwarz, dass die internationale Strafjustiz auch ein Erbe der
Nürnberger Prozesse gegen NS-Verbrecher ist. Diese beeinflussten die
Entstehung der Völkermordkonvention, die 1948 von der UN-Generalversammlung
verabschiedet wurde. Im gleichen Atemzug forderte sie einen internationalen
Gerichtshof, um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
international ahnden zu können. Erst 2002 wurde die Forderung mit der
Gründung des IStGH in die Tat umgesetzt – während des Kalten Kriegs war das
Vorhaben am Widerstand von USA und Sowjetunion gescheitert.
## Die Augen sind auf Deutschland gerichtet
Wenn nun die internationale Strafgerichtsbarkeit angefochten wird, steht
laut Schwarz auch die europäische Nachkriegsordnung auf dem Spiel. Genau
wie er fordern jetzt Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty
International, dass die EU sich – wie sie es bislang getan hat – klar zum
IStGH positioniert. Konkret hieße das etwa, ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten, was für das Land zu
Strafzahlungen führen könnte.
Indes fürchten die Verfechter des internationalen Rechts einen
Schneeballeffekt von Ungarns Schritt auf andere Länder. Eigene ausführende
Organe, um sein Mandat durchzusetzen, hat der IStGH nicht, er ist dabei auf
die Mitgliedstaaten angewiesen. Und da wackelt es in Bezug auf Netanjahu.
Zwar haben einige Länder unmissverständlich angekündigt, dass sie den
israelischen Premier verhaften würden, darunter Irland, Spanien und die
Niederlande. Andere EU-Länder äußern sich jedoch weniger eindeutig.
Frankreich hat bereits angekündigt, dass Netanjahu bei einem Besuch nicht
verhaftet werden würde. Da Israel nicht Mitglied des IStGH sei, sollte
Israels Premier immun gegen Strafverfolgung sein, hieß es im November aus
dem französischen Außenministerium.
Diesem Argument steht entgegen, dass Palästina Mitglied des Gerichtshofs
ist und Nichtmitglieder laut Römischem Statut auch dann belangt werden
können, wenn sie Verbrechen auf dem Boden eines Mitgliedsstaates begehen.
Wobei die entscheidende Frage dann lautet, wer Palästina als Staat
anerkennt. Die Augen sind nun auch auf Deutschland gerichtet.
Der Kanzler in spe, Friedrich Merz, steckt in einem Dilemma. Noch am
Wahlabend im Februar hatte er Netanjahu am Telefon versichert, er werde
Mittel und Wege finden, damit dieser Deutschland ohne Festnahme besuchen
könne. Es sei eine „abwegige Vorstellung, dass ein israelischer
Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann“. Ein
juristisches Schlupfloch gibt es für Merz nicht, so Schwarz. Es wäre
schlichtweg ein eklatanter Völkerrechtsverstoß, würde Deutschland in einer
Reihe mit illiberalen Staaten dem internationalen Recht weiter Schaden
zufügen.
12 Apr 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Judith Poppe
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