| # taz.de -- Kabarettist Alfons über Demokratie: „Für Diktatur gibt es keine… | |
| > Emmanuel Peterfalvi ist Alfons. Aber statt Leute zu befragen, erzählt er, | |
| > wie er deutscherer wurde. Und von seiner Oma, die Auschwitz überlebt hat. | |
| Bild: Emmanuel Peterfalvis Eindeutschung fand 2017 statt. Mittlerweile ist er n… | |
| taz: Herr Peterfalvi, hatten Sie mal Probleme mit Ihrem Nachnamen? | |
| Emmanuel Peterfalvi: Nur in Deutschland. Da hatte ich immer Mühe, den | |
| Leuten klar zu machen, dass es wirklich mein Nachname ist, ich also nicht | |
| Peter Falvi heiße, sondern wirklich Peterfalvi. Deswegen [1][habe ich es | |
| irgendwann ganz gelassen und mich Alfons genannt.] | |
| taz: Dann bleiben wir wohl am besten auch dabei. Wie sind Sie denn nach | |
| Deutschland geraten? | |
| Alfons: Das war eher ein Zufall. In Frankreich gab es die Möglichkeit, | |
| statt Militärdienst für eine französische Firma im Ausland zu arbeiten. | |
| Damals hatte ich bei Canal+ gejobbt, dem Pay-TV-Sender von Frankreich. Und | |
| die haben mir gesagt: Wenn du magst, wir haben viele Tochterfirmen im | |
| Ausland. Und ich, ja, super, gehe ich also nach Spanien oder in die | |
| Karibik. Und die so: Nee, nicht Karibik. Deutschland. | |
| taz: Och. | |
| Alfons: Na ja, [2][lieber 16 Monate Deutschland als 16 Monate Kaserne mit | |
| Panzer und Atombombe]. Deshalb war ich statt beim Militär bei Premiere, und | |
| mittlerweile sind aus 16 Monaten bislang 34 Jahre geworden. | |
| taz: Was hat denn Ihre Familie dazu gesagt? | |
| Alfons: Merkwürdig fanden das eher meine Freunde. Die konnten nicht | |
| glauben, dass ich das freiwillig mache. Meine Familie hat das eher | |
| hingenommen. | |
| taz: Und das, obwohl Ihre Eltern Kinder von Holocaust-Überlebenden waren? | |
| Alfons: [3][Darum genau geht es in meinem Stück] „Alfons – jetzt noch | |
| deutscherer“: Ich werde vor die Entscheidung gestellt, ob ich mich in | |
| Deutschland einbürgern lassen will – und frage mich, was hätte meine | |
| Großmutter dazu gesagt, die Auschwitz überlebt hat? | |
| taz: Bloß war sie seinerzeit schon gestorben? | |
| Alfons: Ja. | |
| taz: Also verhandelt das Stück eine Frage, die sie nie in Wirklichkeit | |
| hatte beantworten können? | |
| Alfons: Nein, sie hat sie beantwortet, und zwar mit Ja. Aber das wird man | |
| erst verstehen, wenn man das Stück sieht. | |
| taz: Können Sie ein bisschen mehr verraten …? | |
| Alfons: Na ja, meine Großmutter war nicht nur eine tolle Frau, sondern sie | |
| hatte auch die Begabung, die Deutschen nicht zu hassen. Was ich als Kind | |
| nicht verstanden habe. Ich habe sie immer gefragt: „Wie kann das sein? Es | |
| ist eigentlich nicht normal nach dem, was du erlebt hast. Es wäre normal, | |
| dass du die Deutschen hasst.“ Und sie hat mir immer gesagt: „Nein, ich | |
| hasse nicht die Deutschen. Jetzt bist du noch nicht so weit. Aber eines | |
| Tages werde ich dir das erklären. Das verspreche ich dir.“ | |
| taz: Aber …? | |
| Alfons: Sie ist gestorben, anscheinend ohne das erklärt zu haben, was für | |
| mich wirklich seltsam war: Wenn sie gesagt hat „Ich verspreche das“, dann | |
| war das nämlich nie einfach so daher gesagt. Das war etwas Großes. Sie hat | |
| immer alles eingehalten, was sie versprochen hat. Viele Jahre nach ihrem | |
| Tod hat sich gezeigt, dass sie auch dieses Versprechen eingehalten hat. Ich | |
| habe etwas gefunden, was sie bewusst so versteckt hatte, dass ihr klar war, | |
| ich würde es erst Jahre später finden. | |
| taz: … und Sie sind dann am Ende nicht nur deutsch, sondern deutscher als | |
| deutsch? | |
| Alfons: Deutscherer. Ich war schon ziemlich eingedeutscht, bin aber noch | |
| deutscherer geworden. | |
| taz: Hat dieser falsche Komparativ [4][eine besondere Bedeutung?] | |
| Alfons: Da kann sich jeder ein Bild machen. Es ist ein Fehler, aber ein | |
| netter Fehler. | |
| taz: Ein Alfons-Fehler: Warum ist es wichtig, dass die Figur so hilflos | |
| sein muss? | |
| Alfons: Ich weiß nicht, ob Alfons als Figur hilflos ist. Ich glaube noch | |
| nicht einmal, dass er überhaupt eine Figur ist: Das bin ich selbst. | |
| taz: Wenn Sie mit Puschelmikro in der Fußgängerzone mit starkem Akzent | |
| mühselig von Zetteln Fragen abgelesen haben, die sie scheinbar nicht | |
| verstehen – das soll nicht hilflos wirken? | |
| Alfons: Es war aber nicht gespielt: Es war einfach so, dass ich teilweise | |
| gar nicht weiter wusste. Dann haben die Leute das Ruder übernommen, mich | |
| manchmal regelrecht beschimpft. Das ist aber keine Maske, um die eigenen | |
| Macken zu verstecken. Was ich gemacht habe, war: Ich habe meine Fehler | |
| offen gelegt und eher noch vergrößert. Und das hat dazu geführt, dass die | |
| Leute eben auch nicht versucht haben, besonders intelligent und kritisch zu | |
| wirken. Das ist ja, was sonst eben passiert, wenn man mit der Kamera kommt. | |
| Das sieht man jeden Tag in jeder Sendung – und es ist furchtbar langweilig. | |
| taz: Sie wollten sie unverstellt? | |
| Alfons: Ja: Ich habe mich immer gefragt: Also die Leute reden einfach | |
| anders, im Fernsehen, als wenn ich auf dem Wochenmarkt bin oder an der | |
| Wurstbude, aber genau das möchte ich filmen. Wie mache ich das? Und dann | |
| habe ich rumprobiert und mit Puschelmikrofon und Trainingsjacke hat es | |
| funktioniert. Aber diese Naivität, die ist nicht nur gespielt. Die habe ich | |
| in mir. Ich habe die Fragen gestellt, weil ich neugierig auf die Antworten | |
| war. Irgendwann hatte ich diese Neugier nicht mehr und habe das nicht mehr | |
| machen wollen, sondern mich entschieden, wie jetzt eben Geschichten zu | |
| erzählen. | |
| taz: Ihre Geschichte. | |
| Alfons: Ja. Aber durch diese Umfragen habe ich Menschen gefunden, die sich | |
| geöffnet haben. Die haben teilweise Furchtbares gesagt. Aber allein dafür, | |
| dass sie sich geöffnet haben, habe ich sie gemocht. | |
| taz: Gemocht?! | |
| Alfons: Ja. Weil ich das Gefühl hatte, die erlauben uns zu sehen, wie ein | |
| Mensch ist oder denkt. Und am Ende sind wir alle Menschen. Wir haben alle | |
| Scheißteile in uns drin. | |
| taz: Sie gehen mit Ihrem Deutscherer-Programm auch an Schulen … | |
| Alfons: Fast: Es gibt ein Schulprojekt rund um „Jetzt noch deutscherer“. | |
| Wir versuchen Klassen den Besuch des Stücks zu ermöglichen, und danach | |
| komme ich an die Schule und spreche mit den Jugendlichen – aber nicht über | |
| das Stück. Wir sprechen da über Demokratie. Ich versuche, aus Ihnen | |
| herauszukitzeln, was sie an Demokratie schätzen – ob sie die Demokratie | |
| überhaupt schätzen. Und dann versuche ich ihnen klarzumachen, dass es kein | |
| Spiel ist. Wenn man sich mal kurz eine Diktatur wünscht, dann geht die | |
| nicht von selber wieder weg: Für Diktatur gibt es keine Schnupperstunde. | |
| taz: Und warum eignet sich die Figur Alfons besonders dafür, darüber zu | |
| sprechen? | |
| Alfons: Das bin ich. Ich trenne das nicht. Das ist keine Figur, und sie ist | |
| auch nicht besonders geeignet für irgendetwas. Das ist keine Strategie, es | |
| ist auch keine Rolle: Ich bin Alfons, die kennen mich als Alfons, sie | |
| sprechen mich auch an als Alfons, und ich möchte mit ihnen darüber reden, | |
| weil es mir wichtig ist. Und weil ich daran glaube. | |
| 29 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://tuttle.taz.de/!1167751&s=Peterfalvi&SuchRahmen=Print// | |
| [2] https://tuttle.taz.de/!486613&s=force+de+frappe&SuchRahmen=Print// | |
| [3] https://alfons-fragt.de/buehne/alfons-jetzt-noch-deutscherer | |
| [4] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Friedrich_R%C3%BCckert_-_Grammatische… | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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