# taz.de -- Tierschutz in der Uckermark: Wenn das Pferd weg muss | |
> Familie Strathmann betreibt eine Babyklappe für Pferde, die einzige in | |
> Brandenburg. Über 100 Tiere konnten schon gerettet werden. | |
Bild: Angy Strathmann (rechts) und die ehemalige Pferdetrainerin Maidi Langendo… | |
Templin taz | Was ist der Unterschied zwischen einer Babyklappe und einer | |
für Pferde? „Im Prinzip gibt es da keinen“, sagt Henry Strathmann. Der | |
46-Jährige ist Tierarzt und betreut mit seiner Frau Angy die einzige | |
Pferdeklappe in Brandenburg. „Abgesehen natürlich davon, dass Pferde zu | |
groß für eine Babyklappe sind!“ Die Pferdeklappe sei aber genauso wie für | |
nicht gewollte Babys die letzte Hoffnung – nur eben für nicht mehr gewollte | |
Pferde. | |
Und davon gibt es überraschend viele in Deutschland: Das Problem sei | |
riesengroß. | |
Amanda zum Beispiel, die jetzt seit drei Monaten auf dem Dorettenhof in der | |
Uckermark lebt. Die zwölfjährige Stute war eines Abends vor dem Hof | |
angebunden worden, „20 Euro und ihre Papiere im Briefkasten“, erinnert sich | |
Angy Strathmann, die den ganzen Laden schmeißt. Oder Piri, eine dunkelgraue | |
Pferdedame, die schon 20 Jahre alt ist. Tief in der Nacht sei sie hier | |
abgestellt worden. „Hätte der Hund nicht angeschlagen, wir hätten es gar | |
nicht bemerkt.“ Aktuell leben mehr als 50 Pferde auf dem Hof der Familie | |
Strathmann in der Uckermark, die Hälfte davon verstoßen von ihren | |
ehemaligen Besitzer:innen. | |
„Gründe, ein Pferd loswerden zu wollen, gibt es viele“, sagt Angy | |
Strathmann, eine ausgebildete Landwirtin. „Es gibt Leute, die zu alt werden | |
für ihr Pferd und überfordert sind. Es gibt Menschen, denen nicht klar war, | |
wie viel Arbeit es bedeutet, sich ein Pferd zum Partner zu machen. Es gibt | |
welche, die ihren Job verloren haben und sich ein Pferd nicht mehr leisten | |
können.“ Das Futter, die Hufpflege, halbjährlich ein Zahnarzt, Medikamente | |
und natürlich die Betreuung im Stall – auf dem Dorettenhof bei Templin | |
kalkulieren sie mit 500 Euro pro Monat und Pferd. | |
„Das ist günstig“, sagt Maidi Langendorf, die früher einmal Pferdetrainer… | |
war. „Im Umland von Berlin kostet das locker doppelt so viel.“ Irgendwann | |
konnte die junge Trainerin den Drill an den Tieren nicht mehr ausstehen und | |
kündigte. Seitdem arbeitet sie mit den Strathmanns für die Pferdeklappe. | |
Auf dem Hof stehen auch zwei ihrer eigenen Pferde, denn das ist ein Teil | |
der Finanzierung dieser Pferdeklappe: „Einsteller“, wie in der Branche | |
Pferde heißen, die nicht bei einem Besitzer leben, sondern auf einem | |
Pferdehof gegen eine Gebühr betreut werden. Auch diesen Dienst bietet der | |
Dorettenhof. | |
## Nur begrenzte Kapazität | |
„Fünf bis zwölf Anrufe bekommen wir jede Woche“, sagt Angy Strathmann. Da… | |
die Mailanfragen oder die per SMS: Meistens müsse sie den verzweifelten | |
Pferdebesitzern absagen. Zu groß sei der Andrang, zu gering die Finanzen. | |
„Manchmal steht dann anonym, aber trotzdem genauso ein Pferd vor dem Hof, | |
wie es uns zuvor beschrieben wurde.“ Natürlich gebe es Notfälle, wenn eine | |
Besitzer:in verstorben ist zum Beispiel und die Nachkommen nie etwas mit | |
Pferden zu tun hatten oder es gar keine Nachkommen gibt. „Aber auch wir | |
haben nur eine begrenzte Kapazität.“ Angy Strathmann meint damit | |
Stellplätze, Kraft zur Betreuung und vor allem auch Geld. | |
Um das Gnadenbrot der nicht gewollten Pferde aufzutreiben, kümmert sich ein | |
Verein, der aktuell gerade einmal 30 Mitglieder hat. Wobei Henry Strathmann | |
diesen Begriff überhaupt nicht mag. „Wir sind dezidiert kein Gnadenhof, wir | |
sind ein Tierschutzhof!“ Die abgegebenen Schützlinge würden aufgepäppelt, | |
könnten gesunden und auf den Weiden ihr Sozialverhalten wieder ausleben. | |
„Wo es geht, suchen wir neue Besitzer für die Tiere“, sagt der Tierarzt. | |
Amanda zum Beispiel habe gute Chancen auf ein neues Heim, die Stute ist mit | |
ihren 12 Jahren erstaunlich zutraulich und zugewandt. | |
Über einhundert Pferde hat die Pferdeklappe schon an neue Halter | |
vermittelt. Allerdings werden die juristisch gesehen nicht Besitzer, | |
sondern zahlen dem Verein eine Gebühr. So soll unmöglich werden, dass die | |
Pferde ein zweites Mal traumatisiert werden. Tierschutzhof eben, der | |
Leitfaden der Strathmanns. | |
Über die vielen verschiedenen Schicksale der Tiere, die über die | |
Pferdeklappe zu ihnen kamen, davon könnten die Strathmanns ein Buch | |
schreiben. „Zum Beispiel wurde ein Pony abgegeben, das mindestens ein | |
halbes Jahr lang mit einer gebrochenen Hüfte leben musste“, sagt Angy, die | |
eine Zeit lang mal als Sozialarbeiterin arbeitete. Ein anderes Tier wurde | |
mit einer so schlimmen Kolik abgegeben, dass es drei Tage später | |
eingeschläfert werden musste. | |
„Die härteste Entscheidung ist die über Leben oder Tod“, sagt Ehemann | |
Henry. Wobei es manchmal besser sei, ein Pferd zum Abdecker zu bringen: | |
Obwohl nicht häufig, gibt es auch heute noch Pferdeschlachtereien in | |
Deutschland, die Wurst aus den Tieren machen. Ausdrücklich sagt die | |
Fachgruppe Pferd der Tierschutzrechtlichen Vereinigung, dass eine | |
Schlachtung im begründeten Fall dem Tier viel Leid ersparen kann. | |
Leid ist auch auf Dorettenhof ein Thema. Wenn es bei den gelieferten Tieren | |
einen Verdacht auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gibt, wird eine | |
Strafanzeige gestellt. Das habe auch schon zu Verurteilungen der vorherigen | |
Halter geführt. | |
## Zu DDR-Zeit eine LPG | |
Angy hat ihren Mann auf einem Pferdehof kennengelernt, vor zehn Jahren | |
haben sie den Dorettenhof bei Templin übernommen. Zu DDR-Zeiten war der | |
eine LPG mit Schweinezucht, an manchen Stellen sieht er auch noch so aus, | |
über fehlende Arbeit können die Stratmanns sich nicht beklagen. Und dann | |
leben ja auch noch fünf Kinder, Gänse und Hunde auf dem Hof. Wenn es grün | |
und Frühling wird, ist hier sicherlich ein Idyll vorstellbar. Jetzt im März | |
sieht alles aber nur nach hartem Tagwerk aus. | |
Ihr größtes Problem? „Wo soll ich anfangen?“, fragt Angy Strathmann. Es | |
gebe zu viele Pferdehalter, die sich leichtfertig ein Tier zugelegt haben, | |
zu viele Besitzer, denen ihr Pferd über den Kopf wächst, zu viele, die sich | |
ihr Tier wieder entledigen wollen. „Deshalb war ich auch zuerst gegen ein | |
Gespräch mit der taz.“ Denn ihre Erfahrung sei: Nach jedem Zeitungsartikel | |
steigt die Zahl der Babyklappen-Pferde sprunghaft an. „Es gibt nicht so | |
viele Einrichtungen wie unsere. Aber es gibt sehr viele Pferdebesitzer, die | |
sich in Not fühlen.“ | |
Andererseits sei es aber dringend notwendig, sich um die ausgestoßenen | |
Tiere zu kümmern. Dafür, so Angy Strathmann, fehle aber dringend Geld, um | |
die Zukunft des Hofes und seine Arbeit sicherzustellen. „Für Piri haben wir | |
zum Glück einen Paten gefunden, jemanden, der die Unkosten deckt.“ 20 Jahre | |
ist die Stute alt, zwar noch nicht vermittlungsunfähig, aber es sei doch | |
schon sehr unwahrscheinlich, einen geeigneten Halter zu finden. 25 bis 30 | |
Jahre werden Pferde im Schnitt alt. | |
Piri ist zur Arbeit genauso wenig geeignet wie zum täglichen Ausritt. Zwar | |
gibt es eben noch Pferdeabdeckereien, die aus dem Fleisch von aussortierten | |
Gäulen Wurst machen. Aber dagegen kämpfen sie auf Gut Dorettenhof heftigst | |
an. Dank des Paten stellt sich die Frage auch gar nicht mehr – Piri kann | |
bleiben und ist mit bei der Ü20-Herde, deren Tiere über die Weide trotten | |
und die sowieso nicht mehr zu vermitteln sind. | |
„Leider haben wir zu wenig Paten“, sagt Angy Strathmann. Dabei könnten | |
diese das Tier vor Ort kennenlernen und treffen – und sich selbst | |
aussuchen, wie hoch ihr Förderbetrag ist. „Leider haben wir auch zu wenige | |
Freiwillige“, ergänzt sie. Menschen, die anpacken, wenn es darum geht, die | |
neue Koppel zu umzäunen, den Stall auszumisten oder die Pferde zu | |
striegeln: „Wir haben zu wenig Hände für die viele Arbeit.“ | |
Vor allem aber gebe es zu wenig Bewusstsein für das Schicksal der nicht | |
mehr gewollten Pferde, sagt die 42-Jährige: „Wenn es mehr Aufklärung in der | |
Gesellschaft gebe, bliebe vielen Tieren sehr viel Leid erspart.“ | |
Der Verein „Gut für Tiere“ finanziert sich über Spenden, Tierpatenschaften | |
und Mitgliedsbeiträge. Information: [1][dorettenhof.de] | |
29 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://dorettenhof.de/ | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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