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# taz.de -- Gemeingut-Aktivisten über Abrisspläne: „Das SEZ gehört uns all…
> Das Sport- und Erholungszentrum wird 44 Jahre alt. Jorinde Schulz und
> Carl Waßmuth setzen sich gegen den Abriss ein und fordern die
> Wiedereröffnung.
Bild: Einzigartig, aber baufällig: Das SEZ in Berlin-Friedrichshain
taz: Wir stehen hier in Friedrichshain vor dem [1][Sport- und
Erholungszentrum], kurz SEZ, das zu DDR-Zeiten gebaut wurde und zur
Eröffnung 1981 in seiner Größe weltweit einzigartig war. Warum setzen Sie
sich gegen den Abriss ein, [2][den der Senat plant]?
Jorinde Schulz: Weil das SEZ uns allen gehört. Es ist Teil der öffentlichen
Infrastruktur Berlins. Es ist aber auch ein Schmuckstück der Architektur.
Und es stellt eine einzigartige Vision von öffentlicher Freizeit und
Erholung dar – das darf die Stadt nicht verlieren. Dazu kommt, dass das
Ganze in einem Zustand ist, in dem man es sehr gut sanieren könnte.
Carl Waßmuth: Das SEZ ist ja nicht nur ein Schwimmbad. Es ist ein
multifunktionaler Gebäudekomplex für Sport und Unterhaltung. Dort konnte
man eislaufen, Sport treiben, es haben Konzerte und Modeschauen
stattgefunden. Etwas Vergleichbares haben wir nicht im Kiez. Wir haben hier
an dieser Ecke von Landsberger Allee und Danziger Straße nur viel Verkehr
und Wohnen, sonst nichts.
taz: Was ist das größte Hindernis für den Erhalt?
Schulz: Dass SPD-Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler und die
landeseigene WBM, die ja eigentlich zugunsten der Berliner:innen
handeln sollten, gerne abreißen und neu bauen möchten, ohne jegliche
Debatte. Das ist [3][ökologisch und sozial eine Katastrophe]. Es sieht so
aus, als seien ihnen die Interessen der Baulobby näher als die der
Berliner:innen.
taz: Friedrichshain hat bekanntermaßen kein Schwimmbad.
Schulz: Deswegen wäre es dringend, das SEZ wieder aufzumachen. Doch
stattdessen gibt es hier einen Schulterschluss von landeseigener
Wohnungsbaugesellschaft, SPD- und CDU-Baulobby, die ihr ewiges Programm vom
umweltschädlichen Abriss und Neubau weiter verfolgen will. Wir wissen alle,
[4][dass Neubau überhaupt keinen bezahlbaren Wohnraum schafft], wie hier
versprochen wird. Im Gegenteil steigen dadurch die Mieten in der Umgebung.
Und wir denken …
taz: … wir, das ist der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand?
Schulz: Ja. Es ist eine Situation entstanden, wo Grundbedürfnisse wie
„Wohnen für alle“ gegen „Erholung und Sport für alle“ ausgespielt wer…
Beides muss möglich sein, für beides hat die öffentliche Hand zu sorgen.
Deshalb ist es ein Skandal, dass die WBM der Öffentlichkeit den Zugang zum
SEZ verwehrt. Wir fordern, dass es geöffnet wird, für alle.
taz: Sind da nicht längst alle Messen gesungen?
Schulz: Die Messen sind nicht gesungen. Es gibt einen Bebauungsplan für das
Areal. Der wurde aufgestellt, um die Abrisspläne des ehemaligen
Eigentümers, der das SEZ für einen Spottpreis von 1 Euro übernommen hatte,
einzugrenzen. Und so ein Bebauungsplan kann jederzeit aktualisiert werden.
Jetzt hat die Stadt das SEZ samt Gelände auf dem Rechtsweg zurückgewonnen,
weil der Investor kein Schwimmbad eröffnet hatte. Es wäre vollkommen
logisch, nun das SEZ zu sanieren und wieder zu öffnen.
taz: Es wäre also noch möglich?
Waßmuth: Das ist nicht nur möglich, sondern bei Weitem die kostengünstigste
Variante, um unsere soziale- und Sport- und Erholungsinfrastruktur in
Berlin und speziell in Friedrichshain wieder zu ertüchtigen.
taz: Sie sind Bauingenieur, wie schätzen Sie den Zustand ein?
Waßmuth: Ich habe mir das Tragwerk mehrfach angesehen. Das ist in einem
super Zustand. Das SEZ ist alles andere als einsturzgefährdet. Was
vernachlässigt ist, das sind die Randbereiche drum herum, die Müllecken.
taz: Aber das ist kein Abrissgrund?
Waßmuth: Wenn hier Müll liegt, muss man den wegräumen. Das SEZ ist ein
intaktes, solides Gebäude, das erhebliche Kapazitäten hat. Und wenn wir das
abreißen, würde das Jahre dauern und riesige CO2-Emissionen hervorrufen.
Wie soll hier sozialer Wohnungsbau entstehen, das wäre dadurch viel zu
teuer.
taz: Das ist ja auch gar nicht geplant.
Waßmuth: Hier sollen Stadtvillen und auf 20.000 Quadratmetern Gewerbe
entstehen. Das ist nicht im Sinne der Menschen, die ringsum wohnen. Und
dann kommt noch der Denkmalschutz dazu.
taz: Das SEZ steht nicht auf der Denkmalliste des Landes, das würde den
Abriss unmöglich machen.
Waßmuth: Aber das SEZ ist ein Denkmal! Es muss unter Denkmalschutz gestellt
werden, künstlerisch, städtebaulich, historisch, wissenschaftlich. Alle
Kriterien sind erfüllt. Deshalb haben wir eine Petition gestartet. Beim
Denkmalamt heißt es, sie bewerten rein fachlich. Wenn das stimmt, dann
können sie ihre Bewertungen auch öffentlich machen, und alle können prüfen,
ob das fachlich richtig war oder Fehler gemacht wurden. Bisher sieht es
aber so aus, als ob Bausenator Gaebler die Vorgabe macht: „Das ist kein
Denkmal“. Das wäre autokratisch.
taz: Sie glauben also, dass das SEZ bewusst nicht unter Denkmalschutz
steht?
Waßmuth: Der Denkmalschutz hat eine starke West-Ost-Schieflage. Das
Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg ist eine Ausnahme, während im
Westen vieles unter Denkmalschutz steht. Das SEZ ist ja nicht nur ein
architektonisch bedeutsames Bauwerk, es ist auch das letzte seiner Art und
hat eine historische Bedeutung. Die DDR hat es auch mit Blick auf
Westdeutschland gebaut, nach dem Motto: Wir zeigen, was wir den Leuten
alles bieten können. Deshalb gab es hier eine Kraft-Wärme-Kopplung, die die
Abwärme von der Eisbahn dem Schwimmbad zuführte. Das war hocheffizient.
taz: Und würde das noch funktonieren?
Waßmuth: Das ist heute noch hochmodern und könnte wieder in Betrieb
genommen werden. Die Fassade ist ein weiteres Beispiel, diese
lichtdurchbrochenen Öffnungen im Dach, das alles ist modern und
wärmeeffizient.
taz: Das müsste man natürlich sanieren.
Waßmuth: Ja, so wie man jedes Schwimmbad alle 20, 25 Jahre sanieren muss.
Das SEZ ist jetzt 44 Jahre alt, klar, da ist manches zu machen. Aber das
war im Stadtbad Tiergarten auch so – und das wurde gemacht. Hier in
Friedrichshain aber will der Senat das den Menschen verweigern. Das wollen
wir nicht zulassen.
taz: Wie viel würde die Sanierung kosten?
Waßmuth: Zwischen 30 und 50 Millionen Euro, je nach Standard. Wenn man das
SEZ heute neu bauen würde, würde das wohl 250 bis 350 Millionen Euro
kosten. Der Abriss wird wahrscheinlich 50 oder 80 Millionen Euro kosten.
Aber die Zeit, wo wir einfach alles plattmachen können, ist vorbei. Nur
Bausenator Gaebler hat es noch nicht mitbekommen. Und offensichtlich der
Chef der WBM, der ja von der Deutschen Wohnen kommt.
taz: Was glauben Sie, warum das SEZ nicht der Allgemeinheit offen steht?
Waßmuth: In ganz Berlin gibt es kein Erlebnisbad mehr. Aber rings um Berlin
sind in den 1990er Jahren etliche Spaßbäder eröffnet worden und viele
fahren jetzt 50 oder 100 Kilometer weit bis in die nächste Therme nach
Brandenburg. Es gab also auch ökonomische Gründe, warum das SEZ
kleingehalten wurde.
taz: Es gab [5][zahlreiche Zwischennutzungen] bis zuletzt …
Schulz: Die Berliner:innen hatten sich das Gebäude angeeignet. Und
plötzlich taucht ein ominöses Schadstoffgutachten auf, wo von drei
Asbestfasern die Rede ist …
Waßmuth: … an einem Türschloss im Keller. Denn ansonsten ist das Gebäude
nämlich asbestfrei. Das hat den Verantwortlichen offensichtlich leidgetan,
dass sie hier nicht den Asbesthammer wie beim Palast der Republik schwingen
können.
Schulz: Und das war der Vorwand, um die Zwischennutzer:innen
rauszukicken. Die Öffentlichkeit wird bewusst aus dem SEZ rausgedrängt,
damit sich niemand ein Bild davon machen kann, wie gut der Zustand ist und
auch, was für ein fantastisches Gebäude das ist. Nicht mal die
Parlamentarier:innen, die darüber entscheiden sollen, kommen da im
Moment rein.
taz: Wann waren Sie das letzte Mal drin?
Waßmuth: Vor einem Jahr. Ich bin sehr gespannt, wie es inzwischen aussieht,
denn bis Ende des Jahres, das haben viele Zwischennutzer:innen
berichtet, waren die Räume noch in einem zauberhaften Zustand und wurden
gerne genutzt. Wir haben Sorge, dass da drin Unfug getrieben wird. Ein
weiterer Grund, warum wir die Öffnung fordern.
taz: Was sind Ihre nächsten Schritte?
Waßmuth: Anlässlich des SEZ-Geburtstages, der am 20. März ist, laden wir zu
einem ersten runden Tisch. Das soll ein regelmäßiges Gremium sein. Im
Moment wird das Gespräch vom Senat noch verweigert. Wieso? Wenn der Abriss
eine so tolle und wichtige Sache ist, dann kann der Senat uns das ja
erklären.
taz: Wer kommt alles zum Runden Tisch?
Waßmuth: Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, Bausenator Christian
Gaebler und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey haben leider keine Zeit.
Aber der Bezirk schickt Stadtrat Andy Hehmke.
taz: Allerdings ist der Bezirk in Sachen SEZ völlig machtlos.
Waßmuth: Der Senat hat das Verfahren an sich gezogen, es wäre gut, wenn das
SEZ in die Zuständigkeit des Bezirkes zurückginge. Aber der Bezirk kann
schon noch was machen, zum Beispiel das Landesdenkmalamt auffordern, das
Gebäude unter Schutz zu stellen.
taz: Deswegen gibt es neben dem runden Tisch auch eine Demo.
Waßmuth: Am 22. März gibt es hier am SEZ eine Kundgebung, um den
politischen Druck weiter zu erhöhen.
Schulz: Und wir feiern den 44. Geburtstag. Spätestens zum 45. sollten wir
die Wiedereröffnung feiern.
taz: So vehement wie Sie beide für das SEZ streiten, haben Sie einen
emotionalen Bezug?
Schulz: Ich bin in Dänemark aufgewachsen. Das Land hat eine Tradition für
ambitioniert geplante, wunderschöne, großzügige öffentliche Einrichtungen.
Solche kostenlosen beziehungsweise erschwinglichen Angebote sind
entscheidend für die Lebensqualität von Stadtbewohnern. Es geht dabei nicht
nur um Schwimmbäder, das können Bibliotheken, öffentliche Plätze, Parks
sein. Insofern geht es hier beim SEZ überhaupt nicht um Nostalgie.
taz: Emotional besetzt ist das Thema dennoch.
Schulz: Klar. Das SEZ ist für viele ein Stück ihrer Geschichte, das nun
einfach vernichtet werden soll – im Rahmen eines revisionistischen Feldzugs
gegen die sozialistische Moderne. Aber es ist auch brandaktuell. Wir haben
in den letzten 30 Jahren miterlebt, wie städtische Räume zunehmend
privatisiert werden und sich verteuern. Da brauchen wir dringender denn je
öffentliche Einrichtungen, wo man sich für wenig Geld erholen kann. Und die
Kinder müssen schwimmen lernen können.
taz: Und haben Sie, Herr Waßmuth, einen persönlichen Bezug zum SEZ?
Waßmuth: Ich wohne ganz in der Nähe des SEZ, seit ich hier 1999 hergezogen
bin. Ich war dort noch Schlittschuh laufen. Ab 2016 haben ich mich mit
anderen Anwohnern dafür eingesetzt, dass Berlin sich das SEZ vor Gericht
zurückholt.
20 Mar 2025
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## AUTOREN
Andreas Hergeth
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