# taz.de -- Fehlende Inklusionsplätze in Kitas: Hamburg behindert Kinder | |
> Hamburgs Sozialbehörde baut bei der Förderung behinderter Kinder in der | |
> Kita zu viele Hürden auf. Das kritisieren zwei Wohlfahrtsverbände. | |
Bild: Personal gesucht: Eine Inklusionshelferin spielt mit einem schwer behinde… | |
Hamburg taz | Schon seit Jahren sind in Hamburg [1][Kita-Plätze] für Kinder | |
mit drohenden Behinderungen rar. Doch seit Sommer 2024 baue die Stadt | |
zusätzliche Hürden auf, [2][kritisieren die Wohlfahrtsverbände]. „Erste | |
Einrichtungen fühlen sich dem nicht gewachsen und überlegen, ob es weiter | |
leistbar ist, inklusive Plätze anzubieten“, sagt Kai Fieguth, | |
Jugendreferent beim Alternativen Wohlfahrtsverband Soal. | |
Konkret aufgefallen war ihm die neue Praxis in einer Kita in Billstedt, die | |
schon viele Jahre auch eine Betriebserlaubnis für die sogenannte | |
„Eingliederungshilfe“ (EGH) hat. Dazu muss man wissen: In Hamburg gibt es | |
[3][ein „Kita-Gutscheinsystem“], das heißt, die Kitas bekommen ihr Geld nur | |
über Gutscheine, die die Eltern von der Stadt bekommen und vor Ort | |
einlösen. | |
Von Behinderung bedrohte Kinder haben einen Anspruch auf frühe Förderung in | |
der Kita, um eine Entwicklungsverzögerung zu vermeiden oder die Folgen | |
einer Behinderung zu mildern. Sie bekommen den „EGH-Gutschein“, der je nach | |
Bedarf noch bis zu fünf „Zuschlagstufen“ enthält. | |
Jene Kita hatte ein Kind im Jahr zuvor schon betreut, und zwar mit der | |
Zuschlagstufe vier. Doch im Juni 2024, als das Kind einen | |
Anschlussgutschein erhielt, teilte die Sozialbehörde mit, die Abrechnung | |
sei nicht möglich. Der Kita fehle für die Zuschlagstufe die nötige | |
Betriebserlaubnis. | |
## Kita arbeitet erst mal ohne Geld | |
Früher hätte hier eine Ausnahmegenehmigung gereicht, berichtet Fieguth. Nun | |
sei diese abgelehnt worden. Die Kita sollte stattdessen eine neue | |
Betriebserlaubnis für EGH mit Zuschlagstufen beantragen. Die Kita habe das | |
Kind weiter betreut und die nötige Frühförderung und Therapie erbracht – | |
erst mal, ohne dafür Geld von der Behörde zu sehen. „Hätte sie das nicht | |
getan, hätte das Kind die Einrichtung verlassen müssen“, ärgert sich | |
Fieguth. | |
Doch nur etwa jede dritte Kita hat laut Soal überhaupt eine Erlaubnis für | |
EGH. Und die Zahl der von Behinderung bedrohten Kinder ist in Hamburg stark | |
gestiegen: von 2.221 im Jahr 2017 auf 3.119 im Jahr 2023. | |
Dass Plätze hier rar sind, zeigt auch, dass sich diese Eltern am häufigsten | |
hilfesuchend an die Stadt wenden. „Allein im Jahr 2024 konnten bis zu 40 | |
Kinder keinen Kita-Platz finden“, schreibt Soal. Da sich nicht alle | |
Familien in offizielle Wartelisten eintrügen, dürfte die Dunkelziffer höher | |
sein. Die lange und mitunter erfolglose Suche sei für das Kind und seine | |
Familie „häufig eine Katastrophe“, heißt es in einem [4][offenen Brief des | |
Soal], der rund 180 Kitas vertritt. | |
Auch anderen Verbänden brennt die Sache auf den Nägeln. „Die Behörde hat | |
eine neue Rechtsauffassung zum Bestandsschutz bei Betriebserlaubnissen“, | |
sagt Tom Töpfer, [5][Kita-Bereichsleiter beim Paritätischen | |
Wohlfahrtsverband], dem in Hamburg über 300 Kitas angehören. | |
„Es gibt bei uns Einrichtungen, die bisher mit Ausnahmegenehmigung ein, | |
zwei EGH-Kinder betreuen. Da heißt es dann: Jetzt gilt das nicht mehr, ihr | |
braucht eine Betriebserlaubnis, um diese Kinder zu betreuen“, berichtet | |
Töpfer. Doch das sei dann mit bürokratischen und baurechtlichen Hürden | |
verbunden, die viele Träger nicht ad hoc stemmen könnten. „In einigen | |
Fällen droht, dass diese Kinder ihren Kita-Platz verlieren.“ | |
## Behörde drückt noch mal ein Auge zu | |
Das Thema sei „komplex“, sagt Töpfer. Die Schwierigkeit beginne oft beim | |
Übergang von der [6][Krippe in den Elementarbereich]. Ab drei haben Kinder | |
mit drohender Behinderung den Anspruch auf den EGH-Gutschein. Hier kann es | |
passieren, dass Kinder, die in der Krippe bereits betreut und gefördert | |
werden, aus rechtlichen Gründen nicht bleiben können. | |
Für den Fall in Billstedt gab es nach „monatelangem Hin und Her“ kurz vor | |
Weihnachten noch eine Regelung. Das Kind konnte bleiben und die Kita das | |
ausgelegte Geld bekommen. Da wurde noch mal eine Ausnahme gewährt, sagt | |
Fieguth. Die Behörde habe zugesagt, das Problem zeitnah im Grundsatz zu | |
regeln. | |
In dem offenen Brief schreiben Fieguth und seine Kollegin Susanne Stemmer, | |
sie sähen im Behördenverhalten eine „strukturelle Gefährdung des | |
Kindeswohls“. Es gebe keinen juristisch triftigen Grund für das „rigide | |
Verhalten“ der Behörde. Ein Kita-Wechsel aus solchen Gründen sei unzumutbar | |
und durch den Platzmangel fast unmöglich. | |
Die Kita-Träger bräuchten eine zugewandte und unterstützende Verwaltung. | |
Kurzfristig sollten alle bisherigen Inklusionskitas auch als solche mit | |
allen Zuschlagstufen anerkannt werden. Und die Behörde müsse das Personal | |
der Kita-Aufsicht vorrangig mit der Bearbeitung dieser Erlaubnisse und | |
Schaffung neuer Frühförderplätze beauftragen. | |
Zumindest das sichert die Sozialbehörde zu. Diese Anträge würden | |
priorisiert bearbeitet. Die Behörde habe mehr Personal für diesen Bereich | |
der Kita-Aufsicht gewonnen, berichtet ihr Sprecher Wolfgang Arnhold. Dass | |
für eine Erweiterung der Leistungsarten die Betriebserlaubnis geändert | |
werden müsse, schreibe nun mal das Gesetz vor. Es sei auch nicht passiert, | |
dass Kinder, für die es schon eine Ausnahmegenehmigung gab, nicht mehr | |
betreut werden konnten. | |
Vielmehr habe die Behörde den Träger geraten, die Erweiterung ihrer | |
Betriebserlaubnisse zu beantragen, damit sie künftig eine flexible | |
Grundlage hätten. Es gebe hier eine einstellige Zahl von Anträgen. Zu den | |
Forderungen des Soal sagt Arnhold, die Behörde arbeite momentan an einer | |
Vereinfachung des Regelwerks für Betriebserlaubnisse, auch bei EGH. Zudem | |
solle die Kita-Frühförderung in den nächsten Jahren neu organisiert werden. | |
„Wir hören seit zehn Jahren, der Bereich soll reformiert werden“, sagt | |
Soal-Chefin Sabine Kümmerle. „Mir fehlt das Vertrauen, dass das bald | |
passiert.“ Tom Töpfer sagt, er vermisse ein tragfähiges Konzept, wie die | |
Stadt die flächendeckende Versorgung mit Inklusionsplätzen sicherstellen | |
wolle. „Durch das aktuelle Behördenhandeln werden eher EGH-Plätze | |
abgebaut.“ | |
Das Thema beschäftigt auch die Politik. „Wir haben den Brief erhalten“, | |
sagt die grüne Kita-Politikerin Britta Herrmann. Man müsse Engpässen bei | |
den EGH-Plätzen unbedingt entgegenwirken. Zentral sei die Beschäftigung von | |
Heilpädagogen. Hier müsse die Ausbildung attraktiver werden. Grünes Ziel | |
sei, „dass jede Kita in Hamburg eine Inklusionskita ist“. Die | |
CDU-Politikerin Silke Seif mahnt, Hamburg hätte längst sein Gutscheinsystem | |
evaluieren müssen. Jetzt brauche man für die Kinder schnell eine | |
unbürokratische Lösung. | |
13 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Demo-fuer-mehr-Kita-Personal-in-Hamburg/!6032906 | |
[2] https://www.soal.de/aktuelles/kitakinder-mit-behinderungen-hamburg-riskiert… | |
[3] /Kinderbetreuung-in-Hamburg/!6035772 | |
[4] https://admin.soal.de/assets/beitraege_material/2025-02-26_Offener%20Brief%… | |
[5] https://www.paritaet-hamburg.de/fachbereiche/fruehe-bildung-betreuung-und-e… | |
[6] /Exklusion-in-der-Kita/!5233535 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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