# taz.de -- Autorin Ira Peter über Russlanddeutsche: „Wir werden oft mit Put… | |
> Aussiedler:innen aus der früheren Sowjetunion haben mit vielen | |
> Vorurteilen zu kämpfen. Autorin Ira Peter über Diskriminierung und | |
> Wissenslücken. | |
Bild: Leben mit russlanddeutschem Migrationshintergrund: Spezialitätengeschäf… | |
taz: Frau Peter, warum wollen Sie über Russlanddeutsche sprechen? | |
Ira Peter: Weil wir eine der größten eingewanderten Gruppen in Deutschland | |
sind. Seit den 1990ern leben die meisten hier, und trotzdem existieren | |
viele Wissenslücken. Es wurde oft über uns gesprochen, aber selten mit uns. | |
taz: Mit welchen Vorurteilen hatten Sie zu kämpfen? | |
Peter: [1][Da gibt es viele, oft rassistisch motivierte.] In meiner Jugend | |
hieß es: „Du kommst doch aus Russland, du verträgst bestimmt viel Wodka.“ | |
Viele wissen nicht, dass die Sowjetunion nicht nur aus Russland bestand – | |
ich komme aus Kasachstan. Ein anderes Gerücht hält sich hartnäckig: | |
Russlanddeutsche hätten bei der Einwanderung hohe Geldsummen bekommen. In | |
Wahrheit gab es Eingliederungshilfen, vor allem für Menschen, die unter | |
Stalins Deportationen gelitten hatten. Aber 90 Prozent der | |
Russlanddeutschen haben diese großen staatlichen Hilfen nie erhalten. | |
taz: Haben Sie neben Alltagsrassismus auch strukturelle Diskriminierung | |
erlebt? | |
Peter: Ja. Ich sehe mich nicht als Opfer, aber strukturelle Benachteiligung | |
existiert. 90 Prozent der Russlanddeutschen erhielten keine Anerkennung | |
ihrer Berufsabschlüsse. Das hat Folgen: Jeder zweite ist im Rentenalter | |
armutsgefährdet. Viele arbeiteten schwarz, als Reinigungskräfte oder auf | |
dem Bau, obwohl sie Ärzt:innen, Ingenieur:innen oder Lehrer:innen | |
waren. Hätte man ihre Abschlüsse anerkannt, hätten sie ihre Fähigkeiten | |
nutzen können. | |
taz: Warum wählen so viele die AfD? | |
Peter: Früher wählten sie mehrheitlich die CDU, aus Dankbarkeit gegenüber | |
Helmut Kohl, der sich für Einwanderung von Russlanddeutschen ausgesprochen | |
hatte. Seit Jahren ist die AfD die Partei, die sich [2][besonders um | |
Russlanddeutsche bemüht] – leider mit aggressiver Propaganda. Sie schürt | |
gezielt Ängste vor Migration und Konkurrenz um soziale Ressourcen. Dieses | |
„Ich war zuerst hier“-Denken gibt es auch bei anderen Einwanderergruppen. | |
2017 haben 15 Prozent der Russlanddeutschen AfD gewählt, der | |
Bundesdurchschnitt lag bei 12,8 Prozent. Heute sind es 20 bis 25 Prozent. | |
taz: Gibt es stereotype Annahmen über Russlanddeutsche, die teilweise | |
zutreffen? | |
Peter: Jedes Klischee hat wahrscheinlich einen wahren Kern. Die Wahrnehmung | |
der Russlanddeutschen als verschlossene Gruppe stimmt schon teilweise. | |
Viele Ältere sind misstrauisch, weil sie in der Sowjetunion als Bürger | |
zweiter Klasse behandelt wurden. Politische Teilhabe ist für viele kein | |
Thema. Die wirtschaftliche Integration lief gut, aber auf emotionaler Ebene | |
gibt es noch Defizite in puncto Zugehörigkeit. | |
taz: Sind [3][Russlanddeutsche] anfällig für russische Einflussnahme? | |
Peter: Die Forschung geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der | |
Russlanddeutschen eine positive Haltung gegenüber Russland haben – ähnlich | |
wie in der Gesamtgesellschaft. Trotzdem werden wir in der medialen | |
Darstellung oft mit Putins Krieg in Verbindung gebracht. Das erzeugt einen | |
Rechtfertigungsdruck. Ich frage mich: Warum muss ich mich erklären? Frau | |
oder Herr Müller ohne Einwanderungsbiografie müssen das doch auch nicht. | |
taz: Viele Menschen mit Migrationshintergrund erleben diesen | |
Rechtfertigungsdruck. | |
Peter: Absolut. Eingewanderte werden oft als Sündenböcke herangezogen. | |
Ähnlich ergeht es den Ostdeutschen, die pauschal für die AfD-Ergebnisse | |
verantwortlich gemacht werden. Bei Russlanddeutschen geschieht das Gleiche | |
wie mit anderen migrantischen Bevölkerungsteilen, die sich für politische | |
Vorgänge aus ihrem Herkunftsland verantworten sollen. | |
taz: Haben Sie persönlich eine Identitätskrise zwischen den Kulturen | |
erlebt? | |
Peter: Nein. Ich war neun, als ich herkam und habe mich sofort assimiliert, | |
wollte nur deutsch sein. Für Ältere war das schwieriger, etwa für meine | |
Schwester, die mit 16 kam. Sie hatte mehr Bezug zur russischen Sprache, | |
lebte anfangs in einer Parallelgesellschaft. Die Forschung zeigt, dass sich | |
die meisten Russlanddeutschen zugehörig fühlen. Eine Rückkehr nach Russland | |
oder Kasachstan ist für fast niemanden eine Option. | |
29 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Dokumentation-im-SWR/!5867067 | |
[2] /AfD-Bundestagskandidatin-Olga-Petersen/!5798194 | |
[3] /Russlanddeutsche/!t5275173 | |
## AUTOREN | |
Esther Erök | |
## TAGS | |
Lesung | |
Lüneburg | |
Russlanddeutsche | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Diskriminierung | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Russlanddeutsche | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Museum für russlanddeutsche Geschichte: Jede Menge Schicksal | |
Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold ist einzig in | |
Deutschland. Der rote Faden ist Migration – mal freiwillig, mal unter | |
Zwang. | |
Gedenktag der Russlanddeutschen: Vereinnahmtes Gedenken | |
Am Mittwoch wird in Marzahn an die Deportation der Russlanddeutschen 1941 | |
erinnert. | |
Dokumentation im SWR: Mär der „bösen Russlanddeutschen“ | |
Der SWR zeigt eine Doku, die Stereotype über Russlanddeutsche verfestigt. | |
Mit anderen legt unsere Autorin Beschwerde beim Rundfunkrat ein. |