| # taz.de -- Mord an Ukrainern in Murnau: Tödliche Melange aus Politik und A… | |
| > Erst zechte er mit ihnen, dann erstach er sie: Das Landgericht München | |
| > verurteilte einen Russen, der im April 2024 zwei Ukrainer umgebracht hat. | |
| Bild: Blumen am Tatort Ende April: Die ukrainischen Soldaten waren zur Rehabili… | |
| München taz | Ging es um Politik oder um Alkohol? So wirklich will sich | |
| Thomas Bott auf diese Frage, die die [1][zentrale in diesem Prozess] vor | |
| dem Landgericht München zu sein schien, gar nicht einlassen. In jedem Fall, | |
| so der Vorsitzende Richter, sei es ein „sinnloses Gemetzel“ gewesen. Am | |
| Freitagnachmittag verurteilt das Gericht Iouri J., der im vergangenen Jahr | |
| in Murnau zwei Ukrainer erstochen hat, zu lebenslanger Haft. Außerdem | |
| stellt es die besondere Schwere der Schuld fest; somit kommt eine | |
| vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren auf Bewährung nicht in Betracht. | |
| Iouri J., grauer Rauschebart, hellblaues Hemd, schwarzes Blouson, hört sich | |
| die Urteilsbegründung scheinbar ungerührt an. Nur sein wippendes Bein und | |
| das nervöse Spiel mit einer kleinen Gebetskette deuten auf eine besondere | |
| Anspannung. | |
| Oberstaatsanwalt Maximilian Laubmeier hat zuvor in seinem Plädoyer noch | |
| einmal geschildert, [2][was am 27. April 2024 in Murnau geschehen war]: | |
| Demnach sitzt der Russe Iouri J. an diesem Nachmittag schon gut zwei | |
| Stunden lang mit den beiden Ukrainern Volodymyr K. und Viacheslav B. vor | |
| dem Einkaufszentrum zusammen und – man kann es schwer anders sagen – säuft, | |
| als die Situation offenbar eskaliert. Die beiden Ukrainer, 36 und 23 Jahre | |
| alt, sind Soldaten und in der Unfallklinik Murnau wegen Kriegsverletzungen | |
| behandelt worden. | |
| Schließlich verlässt der Russe die Runde und geht in seine nur 500 Meter | |
| entfernte Wohnung. Dort holt er sich ein Outdoor-Messer, kommt zu den | |
| beiden anderen Männern zurück und sticht auf sie ein. Zwischen 17.15 und | |
| 17.16 Uhr, so lässt sich später konstruieren, findet die Tat statt, dauert | |
| nicht einmal eine Minute. | |
| K. trifft er viermal mit dem Messer, vermutlich ist es schon der erste | |
| Stich, der die Halsschlagader durchtrennt und tödlich ist. Auf B. sticht | |
| der Täter noch mindestens fünfmal ein, zwei Hiebe durchbohren den Hals. Als | |
| der Notarzt um 17.27 eintrifft, ist K. bereits tot, B. stirbt kurz darauf | |
| in der Klinik. Die Polizei muss nur einer Blutspur vom Tatort zur Wohnung | |
| des Russen folgen, um ihn dort kaum mehr als eine Stunde nach der Tat | |
| festzunehmen. | |
| ## Russische Flagge auf die Brust tätowiert | |
| Dass Iouri J. die beiden Männer umgebracht hat, daran besteht kein Zweifel, | |
| auch der 58-Jährige selbst hat die Tat gestanden. Nur: War es eine geplante | |
| Tat aus politischen Motiven oder eine Affekthandlung im Rausch? | |
| Für Laubmeier ist die Sache klar. „Der russische Angriffskrieg hat | |
| Deutschland erreicht“, beginnt er sein Plädoyer. Die beiden Männer „musst… | |
| sterben, weil sie Ukrainer waren“. Die drei seien wegen des Ukraine-Kriegs | |
| in Streit geraten. Iouri J. hänge [3][einem übersteigerten russischen | |
| Nationalismus] an und hasse Ukrainer, besonders Soldaten. Dies sei sein | |
| „Leitmotiv“ gewesen, getriggert noch dadurch, dass die beiden anderen | |
| Männer ihn als „Scheißrussen“ bezeichnet hätten. | |
| Die Staatsanwaltschaft beruft sich bei ihrer Einschätzung etwa auf einen | |
| Bewährungshelfer des bereits mehrfach vorbestraften Russen, der im Prozess | |
| als Zeuge ausgesagt hat. Ihm zufolge hat sich Iouri J. über die vergangenen | |
| Jahre zunehmend radikalisiert. Als Russland den Krieg begonnen habe, habe | |
| er geradezu euphorisch reagiert. | |
| Noch kurz nach seiner Festnahme habe er außerdem gegenüber Polizisten | |
| gesagt, er hasse Ukrainer, und die beiden Opfer als „Ukrainer-Nazis“ | |
| bezeichnet, führt Laubmeier in seinem Schlussvortrag weiter aus. Auch dass | |
| der Angeklagte sich auf die linke Brust die Flagge der russischen | |
| Föderation habe tätowieren lassen, wertet die Anklage als Indiz für ein | |
| politisches Indiz. | |
| ## Verteidiger sieht nur Totschlag | |
| Gänzlich anders beschreibt J.s Verteidiger Uwe Paschertz die Hintergründe | |
| der Tat in seinem Plädoyer. So sei es in dem Streit nur um Alkohol | |
| gegangen. Und natürlich sei auch der alkoholisierte Zustand seines | |
| Mandanten verantwortlich für dessen enthemmtes Handeln gewesen. Die | |
| Ukrainer hätten sich nicht bedankt, als der Russe ihnen je eine Dose Bier | |
| spendiert habe, ihm eine Flasche Schnaps weggenommen und ihn dann auch noch | |
| beleidigt. Mit dem Messer habe Iouri J. die beiden anderen lediglich | |
| einschüchtern und bedrohen wollen, um den Schnaps zurückzufordern. | |
| In seiner Argumentation stützt sich der Verteidiger im Wesentlichen | |
| allerdings auf die Aussage des Angeklagten. Dessen Einlassung, die der | |
| Anwalt selbst zu Beginn des Prozesses verlesen hat, sei widerspruchsfrei, | |
| nachvollziehbar und glaubwürdig. Außerdem sei es nicht erklärbar, warum die | |
| drei schon oft „durchaus freundschaftlich“ an dem späteren Tatort | |
| zusammengesessen und gezecht hätten, wenn der Hass des Angeklagten auf | |
| Ukrainer – wie von der Staatsanwaltschaft behauptet – so groß sei, dass er | |
| ihnen das Lebensrecht abspreche. | |
| Anwalt Paschertz hat sogar ein Gutachten in Auftrag gegeben: Anhand von | |
| Haarproben der beiden Getöteten sollte festgestellt werden, ob sie | |
| Gewohnheitstrinker waren. Wenn ja, so Paschertz’ Gedanke, habe sie ihr | |
| übermäßiger Alkoholkonsum vielleicht gar nicht so sehr außer Gefecht | |
| gesetzt, wie es die Staatsanwaltschaft annimmt. Die Wehrlosigkeit eines | |
| Opfers ist eine Voraussetzung für das Mordmerkmal der Heimtücke. Das | |
| Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass beide Ukrainer offenbar sehr regelmäßig | |
| sehr große Mengen Alkohol konsumierten. | |
| Während die Staatsanwaltschaft für eine Verurteilung wegen zweifachen | |
| Mordes zu lebenslänglicher Haft und eine Feststellung der besonderen | |
| Schwere der Schuld plädierte, wollte die Verteidigung die Tat lediglich als | |
| Totschlag gewertet und mit maximal zehn Jahren Haft bestraft sehen. | |
| ## Zweiter Mord aus Verdeckungsabsicht | |
| Das Gericht folgte beim Strafmaß ganz der Staatsanwaltschaft. Nicht aber in | |
| der Argumentation. In einem übersteigerten Nationalstolz und dem von der | |
| Staatsanwaltschaft angenommenen Hass auf Ukrainer ein „handlungsleitendes | |
| Motiv“ zu sehen, vermöge man nicht, so Richter Bott. | |
| „Meinungsverschiedenheiten über den Ukraine-Krieg sind jetzt per se keine | |
| Seltenheit.“ Man könne lange darüber diskutieren, wie man die einzelnen | |
| Indizien gewichte und wo man sie nun „auf der politischen Skala nach rechts | |
| oder nationalistisch einsortieren“ müsse. | |
| Auslöser sei in jedem Fall ein Streit gewesen, wohl hätten auch | |
| Beleidigungen durch die Ukrainer eine Rolle gespielt. Und selbst wenn der | |
| Grund für das Blutbad nur die Flasche Schnaps im Wert von 4,89 Euro gewesen | |
| sei, sei dies ein nichtiger Anlass. Zumal dann auffällig sei, dass Iouri J. | |
| die Flasche am Tatort zurückgelassen habe. | |
| Die Vorstellung einer Tat im Affekt, also eines Totschlags, falle ihm auch | |
| deshalb schwer, weil dadurch, dass Iouri J. erst das Messer holte, eine | |
| Pause entstanden sei, in der der Mann wieder zu Sinnen hätte kommen können. | |
| Anders als die Staatsanwaltschaft wertete das Gericht auch das Motiv für | |
| den Mord an Viacheslav B. Auf diesen habe J. mit eindeutiger Tötungsabsicht | |
| eingestochen, um den Mord an Volodymyr K. zu verdecken. | |
| Anwalt Paschertz will noch prüfen, ob er Revision gegen das Urteil einlegt. | |
| 7 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
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