# taz.de -- Gesundheitsmythen im Netz: Einmal Supplement gegen alles, bitte | |
> Sogenannte „Medfluencer_innen“ erobern Social-Media-Plattformen – und | |
> verdienen mit dem Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln viel Geld. | |
Etwa 6.376 Euro. So viel kostet es, seine Gesundheit „upzugraden“ – | |
zumindest wenn man dem Buch von Alina Walbrun „#Health Upgrade: 101 Hacks, | |
die dich sofort gesünder machen“ glaubt und jedes darin pauschal empfohlene | |
Produkt kauft. Und das möchte man im ersten Moment. | |
Immerhin ist Walbrun nicht nur Medfluencerin, also eine Influencerin mit | |
dem Schwerpunkt Medizin, sondern auch Medizinstudentin. Und die Mittelchen, | |
die sie anpreist, sollen angeblich bei Beschwerden wie Stress, | |
Gewichtsabnahme und vielem mehr helfen. Doch die sind teuer. Allein die | |
Nahrungsergänzungsmittel würden pro Jahr etwa 1.240 Euro kosten, die | |
Hautbehandlungen um die 1.600 Euro, Gerätschaften wie Laufbänder, | |
LED-Masken, Blutzuckertracker knapp 2.000 Euro. Das Problem: Walbruns Buch | |
weist wissenschaftliche Mängel auf. Und sie selbst wurde bereits vor der | |
Veröffentlichung stark kritisiert. | |
Bereits im Juni 2024, also vor dem Erscheinen des Buchs, [1][berichtete die | |
taz über die Medfluencerin]. Denn obwohl sie keinen Doktortitel hat, | |
bezeichnet sich Walbrun – damals wie heute – auf ihrem Instagram-Account | |
als „Doc“. Weitere Kritikpunkte: die Verwendung unzulässiger | |
Gesundheitsversprechen. Die teils unwirksamen, teils potenziell | |
gefährlichen Nahrungsergänzungsmittel, die sie auch heute noch unter ihrer | |
eigenen Marke „Onegevity“ anbietet. Und die an Verschwörungserzählungen | |
erinnernde Aussage, es liege im Interesse der sogenannten Schulmedizin, | |
Patient_innen krank zu halten. | |
[2][Nach einer SWR-Dokumentation über Medfluencer_innen, in der Walbrun | |
thematisiert wurde und die im Januar 2025 erschien,] folgte ein kleiner | |
Shitstorm in der Medizinszene. Und dennoch: Die Kommerzmaschine läuft | |
erfolgreich weiter. Walbrun hat neue Kooperationen mit Brands. Und nicht | |
nur die Zahl ihrer Follower_innen wächst, sondern auch die ihrer eigenen | |
Produkte. Seit der letzten taz-Recherche sind weitere Produkte zum | |
„Onegevity“-Katalog hinzugekommen. | |
Würde man die mittlerweile sechs Produkte im Abonnement bestellen, sodass | |
der angebliche tägliche Bedarf aller Produkte abgedeckt ist, wäre man im | |
Jahr 3.823,20 Euro los. Allein die Abos für ihre neuen Produkte „Collagen | |
One“ und „Much a Matcha“ kosten 1.536 Euro pro Jahr. Mittlerweile hat | |
Walbrun 305.000 Instagram-Follower_innen, an die sie Werbung richtet und | |
denen sie Gesundheitsmythen erzählt. | |
## Unspezifische Symptome | |
Müdigkeit, schlechter Schlaf, Gewichtszunahme, das sind nur ein paar der | |
Symptome, die viele Gesundheitsinfluencer_innen momentan dem Stresshormon | |
Cortisol zuschreiben, gegen das sie und ihre Follower_innen vorgehen | |
wollen, notfalls auch mit Nahrungsergänzungsmitteln, die oft – es soll | |
moderner, ansprechender für eine junge Zielgruppe klingen – „Supplements“ | |
genannt werden. Cortisol erlebt einen Negativ-Hype. Auch eines von Walbruns | |
Nahrungsergänzungsmitteln soll dagegen helfen. Tatsächlich können die | |
genannten Symptome von Cortisol stammen. | |
Aber nicht nur. „Das sind lauter Symptome, die vollkommen unspezifisch | |
sind“, sagt [3][Julia Fischer]. Sie ist Wissenschaftsjournalistin, | |
studierte Medizinerin und ebenso wie Walbrun Medfluencerin. Aber statt | |
Produkte verkaufen zu wollen, klärt sie über Gesundheitsmythen auf – auch | |
über den Hype um Cortisol. „Eine Masse an Dingen kann zu den genannten | |
Symptomen führen. Eisenmangel. Vitamin-D-Mangel. Schlechter Schlaf. Doch | |
alles wird dem Cortisol zugeschrieben“, sagt sie in einem Gespräch mit der | |
taz. | |
Cortisol ist ein Stresshormon, ohne das man Aufgaben, die einem wichtig | |
sind, nicht erledigen könnte. Aber ein erhöhter Cortisolspiegel kann auch | |
schädlich sein. „Diese Mythen haben oft einen wahren Kern“, so Fischer. | |
Dennoch werde die Wirkung des Hormons überinterpretiert – womöglich mit der | |
Intention, dass sich so viele Menschen wie möglich angesprochen fühlen. | |
„Damit verknüpft man dann das Versprechen: ‚Wenn du meine Supplements | |
nimmst, wird es dir besser gehen. Sie kosten auch nur 50 Euro im | |
Monatsabo‘.“ | |
50 Euro kostet auch Walbruns „Cortisol One“. Es soll dabei helfen, „die | |
innere Balance zu bewahren“ – eine schwammige Formulierung. Konkrete, | |
gesundheitsbezogene Werbeaussagen zu den Inhaltsstoffen sind laut | |
EU-Regulation nicht zugelassen. Hinzu kommt, dass besonders ein | |
Inhaltsstoff mit Risiken verbunden ist: Ashwagandha. [4][Tatsächlich rät | |
das Institut Risikogruppen dazu, auf Ashwagandha zu verzichten.] Laut | |
Fischer hat es „in einigen Fällen zu Leberstörungen und Leberschäden | |
geführt“. Warnungen auf der „Onegevity“-Seite findet man dazu nicht. | |
## Wie im Wilden Westen | |
Es gibt diverse Regelungen, die Mediziner_innen davon abhalten sollen, ihre | |
Tätigkeit mit einem Verkaufsinteresse zu kreuzen, etwa das | |
Heilmittelwerbegesetz oder das Fremdwerbeverbot. Letzteres untersagt es | |
Ärzt_innen, im Rahmen ihrer Tätigkeit für eigene oder fremde Produkte zu | |
werben. Da Alina Walbrun aber Medizinstudentin und nicht praktizierende | |
Ärztin ist, greift bei ihr das Fremdwerbeverbot nicht. Doch selbst wenn es | |
sich bei den Medfluencer_innen um behandelnde Ärzt_innen handelt, ist es | |
komplex, die Regelung durchzusetzen. Dieses Phänomen ist auch Thema der | |
aktuellen Ausgabe des [5][„ZDF Magazin Royale“]. | |
Denn wer genau dafür verantwortlich ist, die Verstöße zu beobachten und | |
abzumahnen, ist in Deutschland nicht in jedem Fall geklärt. Vieles davon | |
übernimmt die Verbraucherzentrale. „Im Moment ist es im Internet wie im | |
Wilden Westen“, sagt Gesa Schölgens. Sie leitet [6][das Projekt | |
„Faktencheck Gesundheitswerbung“] der Verbraucherzentrale | |
Nordrhein-Westfalen. „Vergangenes Jahr sind bei uns 1.600 Beschwerden über | |
Inhalte eingegangen. In 21 Fällen haben wir daraufhin abgemahnt.“ | |
Wenn ein_e Medfluencer_in so eine Abmahnung nicht beachtet, kann es zu | |
einem Gerichtsverfahren kommen. Der Prozess kann mühselig sein, auch weil | |
die Verbraucherzentrale keine Kapazitäten hat, jeden eingehenden Fall zu | |
bearbeiten. Daher werden einige Anfragen an Behörden und andere zuständige | |
Stellen weitergeleitet, darunter die jeweiligen Ärztekammern, | |
Medienanstalten oder Bezirksämter. „Da spielen wir ganz schön | |
Behörden-Pingpong“, fasst Gesa Schölgens von der Verbraucherzentrale NRW | |
zusammen. | |
Aber manche Behörden haben keinen direkten Zugriff auf Instagram oder | |
andere Social-Media-Plattformen, sodass sie umständlich mit Screenshots | |
versorgt werden müssen. Mails seien schon verloren gegangen oder man müsse | |
mehrmals nachhaken, so Schölgens. Zudem habe es Fälle gegeben, in denen | |
sich keine der angeschriebenen Stellen verantwortlich sieht. „Durch diesen | |
Dschungel der Zuständigkeiten muss man sich immer erst mal durchwühlen.“ | |
## Schärfere Regeln in Frankreich | |
Um dem bürokratischen Durcheinander ein Ende zu setzen, fordert die | |
Verbraucherzentrale von der Politik eine gesammelte bundesweite | |
Meldestelle, bei der Beschwerden zu Gesundheitswerbung eingehen und zentral | |
bearbeitet oder den zuständigen Stellen zugewiesen werden können. | |
Zudem will sie, dass die Regeln, denen Medfluencer_innen unterliegen, | |
verschärft werden. Dabei bezieht sich die Verbraucherzentrale auf das | |
sogenannte „Influencer-Gesetz“, das 2023 in Frankreich in Kraft getreten | |
ist. Es verbietet zum Beispiel Werbung für medizinische oder chirurgische | |
Schönheitsbehandlungen und andere Maßnahmen. Zudem müssen sie | |
KI-generierte oder retuschierte Bilder deutlich kennzeichnen. | |
Influencer-Werbung werde in Frankreich somit viel stärker eingeschränkt als | |
in Deutschland, sagt Schölgens. „Bisher findet wenig Regulierung und | |
Aufsicht statt. Im Grunde ist es eine Einladung für viele Influencer_innen, | |
so weiterzumachen.“ | |
Ob die Forderungen umgesetzt werden, ist unklar. Bis dahin müssen sich | |
Nutzer_innen weitestgehend selbst schützen. Dafür braucht es vor allem | |
Bewusstsein für die Sache. Werfe jemand ein Problem auf und wolle direkt | |
eine produktbezogene Lösung verkaufen, solle man vorsichtig sein, rät | |
deswegen die Wissenschaftsjournalistin Fischer. „Die Leute würden dir das | |
Blaue vom Himmel versprechen, wenn es ihnen hintenrum Geld brächte.“ Auch | |
wenn ein Produkt als Wundermittel gegen verschiedenste Beschwerden beworben | |
werde, solle man die Finger davon lassen, „auch wenn wir oft lieber | |
einfache Antworten auf komplizierte Probleme hätten“. | |
Fischer nennt aber auch Merkmale, anhand derer man guten, gesundheitlichem | |
Content auf Instagram erkennen könne. Verwende jemand etwa vorsichtige | |
Formulierungen wie „Das könnte helfen, aber möglicherweise hat es auch | |
diese und jene Nebenwirkungen“, gelte das als Qualitätsmerkmal. Auch wenn | |
der Instagram-Algorithmus das nicht bevorzuge. | |
Julia Fischer sagt: „Videos von Medfluencer:innen fangen oft an mit | |
dem Satz ‚DAS sagt dir dein Arzt nicht‘.“ Und tatsächlich stelle man sich | |
daraufhin die Frage, warum der Arzt so was vor einem verberge. „Meistens | |
lautet die Antwort: ‚Weil es Bullshit ist‘.“ | |
Mitarbeit: Pia Kollmann | |
14 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Medfluencer-auf-Instagram/!6019613 | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/vollbild-recherchen-die-mehr-zeigen/gesun… | |
[3] https://www.instagram.com/dr.juliafischer/?hl=en | |
[4] https://www.bfr.bund.de/cm/343/ashwagandha-schlafbeeren-praeparate-mit-moeg… | |
[5] https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-14-maer… | |
[6] https://www.verbraucherzentrale.de/digitaler-health-style-markt | |
## AUTOREN | |
Valérie Catil | |
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