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# taz.de -- Minenräumung: Helden mit Spürnase
> Landminen töten jährlich tausende Menschen. Die Räumung verseuchter
> Gebiete ist langwierig, teuer und gefährlich. Aber die Minensuchratte
> hilft dabei.
Bild: Eine Ratte mit Mission: Mit ihren feinen Spürnasen können die Tiere TNT…
Wie und wozu erschreckt man eine Babyratte? Mit lautem Autohupen, damit sie
Leben rettet. Rattentrainerin Cindy Fast erzählt, wie sie junge Tiere auf
die Motorhaube eines Autos setzt, den Motor startet und hupt. Sie
wiederholt das so oft, bis die Nager ihre Furcht verloren haben, ihre
Backen nicht mehr drohend aufplustern und den Fluchtreflex verlieren. Das
Ziel: die Ratte für ihr künftiges Berufsleben fit machen. Als
Minensuchratte soll sie später Antipersonenminen aufspüren.
[1][Rund 110 Millionen nicht explodierte Minen und andere Sprengkörper]
sollen nach Schätzungen des Internationalen Zentrums für humanitäre
Minenräumung in Genf (GICHD) als Folge von Kriegen und Konflikten weltweit
vergraben sein. Es gibt etwa 600 verschiedene Minenarten, manche aus
Plastik und kaum größer als ein Smartphone. Kinder verwechseln sie oft mit
einem Spielzeug. Mit fatalen Folgen.
Spätestens seit dem Vietnamkrieg ist bekannt, dass etwa ein Drittel der
Minen und abgeworfenen Bomben nicht explodieren. In der [2][Ukraine gilt
ein Gebiet von der Fläche Österreichs] als mit Minen und anderen
Kampfmitteln verseucht. Räumungskosten werden auf mehrere Milliarden Euro
geschätzt.
Wir treffen die US-amerikanische Wissenschaftlerin Cindy Fast während ihres
Arbeitsbesuches im kambodschanischen Siem Reap. In Tansania leitet sie das
Training afrikanischer Riesenhamsterratten (Cricetomys gambianus) der
„Apopo“-Ausbildungs- und Forschungszentrale an der
Sokoine-Agraruniversität.
Seit Langem erforscht sie die kognitiven Fähigkeiten und die Intelligenz
von Nagetieren. Wie sie ihre Umgebung kennenlernen, wahrnehmen und
empfinden. Was Cindy Fast heute professionell auf höchstem Niveau macht,
hat Wurzeln in ihrer Kindheit. Schon damals dressierte sie Kaninchen, Vögel
und Enten.
## Minimaler Einsatz: Streicheln und Futter
Irgendwann kommt bei den Ratten der Moment, in dem sie den Lärm der
Autohupe ignorieren und neugierig die Motorhaube erkunden, sagt Cindy Fast.
„Dann sind sie bereit für die weitere Ausbildung.“ Nach durchschnittlich
neun Monaten des Übens können die Ratten vergrabene TNT-Sprengstoffe
aufspüren.
Das Training soll jungen Tieren helfen, allmählich Selbstvertrauen und
Widerstandsfähigkeit aufzubauen. „Wir sehen in den Ratten wertvolle Partner
und trainieren sie mit wissenschaftlichen Methoden. Dabei stehen ihre
außergewöhnlichen sensorischen Fähigkeiten im Zentrum.“
Die Riesenhamsterratte wird von Kopf bis Schwanz bis zu etwa 75 Zentimeter
lang, wobei der Schwanz allein um die 40 Zentimeter misst. Sie verhalte
sich entweder ängstlich, kämpferisch und schutzsuchend oder sie sei
neugierig.
„Angst steht der Neugier im Weg. Unser Training nimmt ihnen die natürliche
Angst vor neuen Umgebungen, damit sie neugierig bleiben und lernen,
vergrabene Landminen zu identifizieren.“ Finden sie eine Mine, gibt’s eine
Futterbelohnung, in der Lernpsychologie nennt man dies Konditionierung.
Dies alles dient dem Ziel, dereinst ohne Stress zu arbeiten.
Das Rattentraining besteht aus mehreren Schritten. Der erste bildet die
Grundlage für alles weitere. Cindy Fast: „Ist das Tier etwa einen Monat alt
und hat es seine Augen geöffnet, fängt die gemeinsame Arbeit bereits an.
Wir beginnen, es in den Händen zu halten, zu streicheln, herumzutragen. So
gewöhnt es sich an Menschengeruch, lernt, dass wir nicht bedrohlich sind
und ihm nie etwas Schlimmes geschehen lassen. Allmählich akzeptiert es uns
als eine Art Mutter.“
Am Ende steht der Job als Lebensretterinnen. Wie funktioniert das? Einfach
so aufs Feld, das geht nicht. Dem Ratteneinsatz voraus gehen Befragungen
von Menschen in betroffenen Gebieten, das Sammeln aller greifbaren
Informationen. Der sogenannte Landfreigabeprozess beginnt bei geringsten
Anzeichen einer Minenverseuchung.
## Ein Tennisplatz in 30 Minuten
Das Minenräumteam schreitet das umgepflügte Feld mit Metalldetektoren ab
und sorgt erst mal für schmale, sichere Gehwege. Die Gefahrenzone neben den
Pfaden wird mit Schnüren in Raster eingeteilt. Erst jetzt betritt eine
eingeschirrte Minenratte die Szene. Auf den sicheren Wegen auf jeder Seite
des Rasterquadrates steht ein Mensch, mit einer dünnen Leine sind sie mit
der Ratte verbunden. Geführt vom Minenteam läuft das Tier systematisch hin
und her.
Erschnüffelt es Sprengstoff, der von der Minenräummaschine nicht erfasst
worden ist, beginnt es mit seinen Vorderfüssen zu scharren und markiert so,
wo Sprengstoff im Boden lauert. Die afrikanische Riesenbeutelratte schafft
in einer halben Stunde etwa eine Fläche von der Größe eines Tennisplatzes.
Nach dem Scharren kommt quasi das Schnurren, denn nach jedem Fund gibt es
zur Belohnung einen Leckerbissen.
Meist liegen die Blindgänger in weniger als fünfzig Zentimeter Tiefe. Ist
das Feld „abgeschnüffelt“, macht sich das Suchteam mit Metalldetektoren und
Minensuchhunden einen letzten Durchgang. Wenn die nichts mehr finden, gilt
das Land als sicher. Je nach Größe und Art des Blindgängers, wird er vor
Ort entschärft oder anderswo zur Explosion gebracht.
Die GICHD, das Internationales Zentrum für humanitäre Minenräumung, weist
darauf hin, dass es für das Aufspüren und Räumen von Landminen,
Streumunition und anderen nicht explodierten Kampfmitteln keine für alles
gültige Methode gibt. Sie hänge ab von der Art der Kampfmittel, vom
Gelände, in welcher Tiefe sie liegen, ob die Munition in einer Stadt oder
in einem Wald vergraben sei.
Das häufigste Suchinstrument ist der Metalldetektor. Sein Nachteil: Er kann
nicht zwischen sprengstoffhaltigem und gewöhnlichem Schrott unterscheiden.
Ganz im Gegensatz zur Ratte. Sie lokalisiert nur Gegenstände, die TNT oder
einen anderen Sprengstoff enthalten, auf den sie trainiert ist. Andere
Materialien ignoriert sie. Deshalb eignen sich Ratten vor allem für
spärlich kontaminierte Gebiete. Cindy Fast: „Eine Ratte kann jeglichen
Sprengstoff aufspüren, egal ob er in Plastik-, Holz- oder Metallhüllen
steckt.“
Bei Tieren wiederum bestimmen Umwelteinflüsse mit. Ist es allzu heiß und
die Sonne brennt, verweigern die von Natur aus nachtaktiven Wesen den Job.
Einer der Hauptvorteile der afrikanischen Riesenhamsterratte: Sie kann mit
ihrem geringen Gewicht von höchstens 1,8 Kilogramm keine Explosion
auslösen.
Minenratten arbeiten am besten in Regionen, die klimatisch ihrer
afrikanischen Herkunft gleichen – einer der Gründe, weshalb sie in der
nördlichen Hemisphäre nicht oder kaum zum Zug kommen. Im Einsatz sind sie
aktuell in Kambodscha, Angola und Aserbaidschan. In Aserbaidschan mit
seinen Wintertemperaturen von 5 bis 7 Grad können die Tiere nur von März
bis November aktiv sein, nachts sind sie drinnen untergebracht.
[3][„Apopo]“ prüft aber gegenwärtig sowohl in der nördlichen als auch in
der südlichen Hemisphäre neue Einsatzmöglichkeiten.
Männlein und Weiblein sind übrigens „gleichberechtigt“, es gibt keine
geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Arbeit. Von den 66
Minensuchratten, die derzeit Blindgänger suchen, sind 29 weiblich. Ebenso
sind von den neun Ratten, die kürzlich ihre Ausbildung abgeschlossen haben
und jetzt auf ihren Einsatz warten, fünf weiblich. Bis ein Nager eine
zertifizierte Sprengstoff-Profischnüfflerin ist, vergeht bis zu einem Jahr.
Das kostet bis zu sechstausend Euro.
## Minen suchen oder Tuberkulose erkennen
„Nicht alle schaffen es“, sagt Trainerin Cindy Fast im „Apopo’s Visitor
Centre“ in Siem Reap. Hier ist auch eine interessante Ausstellung über die
Arbeitsfelder der Ratten zu sehen. „Tiere, die sich nicht zur Minensuche
eignen, sind oft fürs Erkennen von Tuberkulose tauglich.“ Die
Riesenhamsterratte kann in Sputumproben den Geruch des
Tuberkulosebakteriums wahrnehmen. Viele Krankheiten haben nämlich einen
eigenen Geruch, auf den sich Tiere konditionieren lassen.
Andere Ratten wiederum, die nicht zu hundert Prozent treffsicher sind,
treten in Siem Reap als Touristenmagnet auf – als attraktive Botschafter
für die Minenthematik. Vor allem aber ist Siem Reap ein Ausgangspunkt für
Kambodschas Touristen-Hotspot Nummer eins, Angkor Wat. Die Tempelanlagen
gelten als weltweit größtes religiöses Monument mit jährlich
Hunderttausenden von Besuchenden.
Auch wir machen einen Abstecher zu den Graubepelzten und beobachten, wie
sie schnell über ein nachgebildetes Minenfeld hoppeln. Mitten im Feld ragt
ein Metallstück aus dem Boden – eine Minenattrappe. Ein Wärter setzt eines
der Tiere auf den ausgestreckten Arm des Reporters, es trippelt mit seinen
kleinen Füßchen eilig auf die Schultern, dreht den Kopf in alle Richtungen.
Bevor das Tierchen weiterklettert, müssen Besucher Hände und Arme waschen.
„Sonnenschutz- und Insektenspray könnten die Tiere krank machen“, sagt die
Rattentrainerin.
Vielleicht ergeht’s nach dieser intimen Begegnung dem einen oder anderen
Bekletterten so wie Cindy Fast: „Sie sind für mich zu echten Freunden
geworden, denen ich vertrauen kann. Weil sie so schlau sind, neugierig und
individuelle Persönlichkeiten.“
Dank dieser Eigenschaften sind Ratten für lebensrettende Aufgaben geeignet.
Im Versuchsstadium sei etwa die Arbeit in eingestürzten Gebäuden. Nach
Erdbeben und anderen Naturkatastrophen warten weitere lebensrettende
Einsätze. „Die Ratte kann in sehr enge Räume schlüpfen und nach Opfern
suchen“, erzählt Cindy Fast. „Sie kommt dorthin, wo Suchhunde zu groß sin…
Eine Livekamera mit eingebautem Mikrofon auf dem Rücken der Ratte erlaubt
uns, mit verschütteten, noch lebenden Opfern zu sprechen.“
Und es werden immer neue Einsatzmöglichkeiten entdeckt. Eine neue Studie
unter der Leitung von Forschern von „Apopo“ verkündete im vergangen
November, dass die Riesenhamsterratte darauf trainiert werden könne,
Wildtierprodukte zu erkennen. Man hofft, dass der neue „Rattenberuf“ einst
an Grenzen und in Häfen den Wildtierhandel bekämpfen kann.
Weshalb überhaupt können Tiere Blindgänger aufspüren? Shimshon Belkin,
emeritierter Professor der Hebräischen Universität in Jerusalem, erklärt
gegenüber der taz: „Antipersonenminen und andere Munition sind offenbar
nicht absolut dicht versiegelt. Deshalb entweichen Sprengstoffgerüche, die
sich im Boden anreichern.“ Nicht explodierte Munition setzt ständig
gasförmige Spuren frei, ein Abbauprodukt des Sprengstoffs TNT.
Ein Team rund um Belkin forscht an einer weiteren, ziemlich spektakulären
Detektionsmethode – mit Kolibakterien. Diese werden genetisch mit natürlich
leuchtenden Meeresbakterien verändert und in Kügelchen verpackt, die über
potenziellen Minenfeldern ausgebracht werden können.
Kommen sie mit Sprengstoffspuren in Kontakt, beginnen sie schwach zu
leuchten und markieren so die gefährlichen Standorte. Die Methode ist erst
im Versuchsstadium. In Zukunft könnten Drohnen die Bakterien aussetzen;
Menschen müssten dann auf der Suche nach Blindgängern nicht mehr in die
Nähe gefährlicher Fundorte.
## Ein Orden für Magawa
Rekordverdächtig oft im Einsatz hingegen war eine Ratte namens Magawa. 2020
wurde dem 70 Zentimeter langen und 1,2 Kilo schweren Tier, als weltweit
erster Ratte sogar ein Orden verliehen. Großbritanniens prominente
Tierschutzorganisation PDSA ehrte die „Heldenratte“ mit einer Goldmedaille.
„Für ihre lebensrettende Tapferkeit und Hingabe an die Pflicht.“ Der
Tierorden gilt als vergleichbar mit dem Georgskreuz, der höchsten zivilen
Auszeichnung für Tapferkeit im Vereinigten Königreich.
In seiner Karriere habe Magawa mehr als hundert Landminen und andere
Sprengstoffe gefunden und damit wahrscheinlich vielen Menschen das Leben
gerettet. Nach einem halben Jahrzehnt im Dienste der „Apopo“ ging Megawa am
5. Juni 2021 in Pension. Als er 2022 starb, nahm [4][Apopo auf seiner
Webseite] mit den Worten Abschied: „Wir alle trauern um Magawa und sind
dankbar für die unglaubliche Arbeit, die er geleistet hat.“
10 Mar 2025
## LINKS
[1] https://frieden-sichern.dgvn.de/abruestung/minenbekaempfung
[2] https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/ukraine-russland-krieg-ei…
[3] https://apopo.org/
[4] https://apopo.org/latest/in-loving-memory-of-magawa/
## AUTOREN
Peter Jaeggi
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