| # taz.de -- Nach dem Rechtsruck in Argentinien: Protest gegen Mileis Kettensäge | |
| > Argentiniens Bevölkerung leidet unter den harten Sparmaßnahmen ihres | |
| > Präsidenten und geht auf die Straße. Für Milei-Faszination hat sie kein | |
| > Verständnis. | |
| Bild: Junge Menschen in Buenos Aires protestieren gegen Präsident Milei | |
| Buenos Aires taz | Florencia Wortman glaubt an die Kraft von Protesten. | |
| Zumindest wenn es um das öffentliche Bildungssystem geht. Zehntausende | |
| ArgentinierInnen gingen für die universidad pública, die kostenlose | |
| staatliche Universität, auf die Straße. Lachend erzählt die argentinische | |
| Anthropologiedozentin und Erziehungswissenschaftlerin: „Die Regierung bekam | |
| dann ein bisschen Angst – und plötzlich gab es Verbesserungen bei der | |
| Finanzierung.“ | |
| Wortman lehrt an der Universidad Nacional de San Juan (UNSJ) im Westen | |
| Argentiniens. Wie viele Institutionen in dem zweitgrößten südamerikanischen | |
| Land ist die UNSJ vollständig auf staatliche Mittel angewiesen. Doch genau | |
| diese Gelder hat Präsident Javier Milei massiv gekürzt. | |
| [1][Anarchokapitalismus] nennt er seine Politik. | |
| Die Folgen sind dramatisch für die argentinische Bevölkerung. Milei | |
| schaffte die Hälfte der Ministerien ab, 100.000 Menschen verloren ihre Jobs | |
| in Bibliotheken, bei der Post und der Ferrocarriles Argentinos, der | |
| argentinischen Eisenbahn. Und zwar von heute auf morgen. So ist die Rate | |
| der indigencia, der Bedürftigkeit, schon nach einem Jahr mit Milei als | |
| Präsident um 7 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass mittlerweile fast ein | |
| Fünftel der argentinischen Bevölkerung notleidend ist und sich nicht mehr | |
| selbst ernähren kann. Jedoch wurde auch die Unterstützung für soziale | |
| Organisationen, die bis dahin viele Suppenküchen in Argentinien betrieben | |
| haben, vom amtierenden Präsidenten gekürzt. | |
| „Nicht nur die Armutsrate ist gestiegen. Alles wird immer teurer. Die Löhne | |
| werden nicht der Inflation angeglichen. Es wird immer schwieriger, | |
| überhaupt bis ans Ende des Monats zu kommen“, sagt Pilar Rüger Alonso, | |
| argentinische Studentin, Lehrerin und Filmemacherin. Fehlende Subventionen | |
| ließen vor allem die Preise für Strom, Wasser und öffentliche | |
| Verkehrsmittel explodieren. | |
| ## Jüngere ziehen wieder bei den Eltern ein | |
| Weil das Geld knapp ist, ziehen viele junge Menschen wieder bei ihren | |
| Eltern ein. Oder ziehen gar nicht erst aus – auch mit Anfang dreißig noch | |
| nicht. Probleme haben auch RentnerInnen. Bei vielen reicht die gekürzte | |
| Mindestrente kaum noch zum Leben. Vor allem die fehlende Finanzierung von | |
| Medikamenten schockiert viele. In Córdoba, Argentiniens zweitgrößter Stadt, | |
| übergoss sich ein Rentner im Dezember 2024 aus Protest sogar mit Benzin, um | |
| sich anzuzünden. | |
| Präsident Milei kümmert das offenbar wenig. Während in der Hauptstadt | |
| Buenos Aires Tausende RentnerInnen gegen die Kürzungen demonstrierten, | |
| veranstaltete er im Präsidentensitz Casa Rosada einen pompösen Grillabend. | |
| Eingeladen waren 87 Parlamentsabgeordnete, die ihr Veto gegen ein Gesetz | |
| zur Rentenerhöhung eingelegt hatten. | |
| Zehntausende Menschen treibt es nun auf die Straße. Sie protestieren gegen | |
| die drastischen Sparmaßnahmen – und wollen vor allem auch das öffentliche | |
| Bildungswesen erhalten. „Die universidad pública hat die Kraft, soziale | |
| Strukturen aufzubrechen“, sagt Rüger Alonso. „Selbst Menschen, deren | |
| Familien seit Generationen in Armut leben, hatten durch die kostenlose | |
| Bildung zumindest theoretisch eine Chance auf sozialen Aufstieg.“ | |
| ## Gespaltene Gesellschaft | |
| [2][Mileis radikale Sparpolitik], vor allem der Kahlschlag im öffentlichen | |
| Sektor, trifft die Bevölkerung hart und verschärft die soziale Spaltung. | |
| „Aber das ist gar nicht neu in Argentinien, diese Polarisierung ist | |
| historisch“, sagt Wortman. Auf der einen Seite werden die umfangreichen | |
| Kürzungen als notwendiges Zurückstutzen eines wild wuchernden Staates | |
| interpretiert. Die andere Seite sieht Mileis Politik als besorgniserregende | |
| Zerstörung des Sozialstaats, bei der große Teile der argentinischen | |
| Bevölkerung durchs Raster fallen. Die Frage, ob der Staat für Bildung und | |
| soziale Absicherung verantwortlich ist, spaltet das Land. | |
| Auch Deutschland wird zunehmend als polarisiertes Land beschrieben. | |
| Besonders während des Wahlkampfs sorgen Debatten über Sozialausgaben und | |
| Bürokratieabbau für einen hitzigen Schlagabtausch. Einige Politiker | |
| fasziniert sogar Mileis Kettensägenmetaphorik – allen voran | |
| Ex-Finanzminister Christian Lindner. Dafür haben Wortman und Rüger Alonso | |
| keinerlei Verständnis, denn mehr Milei zu wagen sei keine gute Idee. | |
| Lindner hat mit dem Kettensägenvorstoß bislang wenig Erfolg: Seine FDP | |
| kämpft derzeit um den Wiedereinzug in den Bundestag. | |
| ## Die Proteste gehen weiter | |
| [3][Der Widerstand in Argentinien ebbt nicht ab]. Am 8. März, dem | |
| Internationalen Frauentag, sind erneut landesweite Proteste angekündigt. | |
| Hier wird der Kampf für Gleichstellung mit dem Protest gegen den | |
| Anarchokapitalisten Milei verbunden werden. So schließen sich an diesem Tag | |
| RentnerInnen, Studierende und Beschäftigte des öffentlichen Diensts | |
| feministischen AktivistInnen an. Schon im vergangenen Jahr gingen an diesem | |
| Datum Zehntausende auf die Straße. Auch diesmal dürften es nicht weniger | |
| werden. | |
| 19 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Jansen | |
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