# taz.de -- Neuer München-„Tatort“: Krieg spielen in schräger Kulisse | |
> Leider hat dieser „Tatort“ einen tragischen Fehler: Er ist ein „Tatort�… | |
> Der übliche Ermittlerplot verträgt sich nicht gut mit dem interessanten | |
> Rest. | |
Bild: Szene aus dem Tatort „Charlie“ | |
Das ist doch mal was für den nächsten Partysmalltalk: Es gibt Leute, die | |
spielen Krieg – als Minijob. Auf bestimmten [1][Truppenübungsplätzen] | |
werden nämlich manchmal Personen gesucht, die während Kampfübungen in einem | |
Attrappedorf leben und dort die Zivilbevölkerung mimen. Keine Frage, dass | |
das nach einem Filmdrehbuch schreit. | |
Der Job heißt „Civilian on the Battlefield“, kurz COB, und Drehbuchautorin | |
Dagmar Gabler hat so was mal auf der US-Base Hohenfels in der Oberpfalz | |
mitgemacht. Inspiriert von der Erfahrung hat sie einen „Tatort“ | |
geschrieben, der in diese Parallelwelt mitnimmt. | |
Zwei COBs werden ermordet. Die eine Leiche liegt im Base-Gelände, die | |
andere draußen. Kommissar Batic (Miroslav Nemec) geht im Rollenspieldorf | |
undercover. Um ihn herum entfaltet sich eine Welt aus skurrilen Gestalten, | |
denen man ansieht, dass sie entweder hochschrullig oder aber hochgefährlich | |
sind. Als Set-up ist das außergewöhnlich, schräg und spannend. | |
Was motiviert Leute, sich für so was zu melden? Faszination für Gewalt? | |
Bewältigung? Spaß am Platzpatronenhagel? Sonst nichts im Leben, auf das man | |
sich freuen kann? | |
## Wochenlange Übung | |
Ja, alles das, sagt Gabler und bevölkert ihr Dörfchen mit Waffenfreaks, | |
Kontrollzwänglern, Spielsüchtigen und Kriegstraumatisierten. COBs kriegen | |
eine „neue Identität“ zugewiesen, die sie während der wochenlangen Übung | |
darstellen. | |
Sie sind also keine Statisten, die mal kurz für eine Szene in eine Rolle | |
schlüpfen. Die Chance auf ein ungesundes Maß an Identifikation ist groß. | |
Gefährlich, wenn etwa einem Choleriker die Rolle „Polizist“ zugeteilt wird. | |
In so einer klaustrophobischen Welt diesen angeknacksten Nerds dabei | |
zusehen, wie sie anfangen, einander immer mehr aufzureiben, bis der Drang | |
zur Gewalt sich Bahn bricht – das verspricht dieser „Tatort“. „Herr der | |
Fliegen“ trifft „Das Experiment“. Genuss aus Schütteln und Ekel. Oder ein | |
scheibchenweises Sezieren von Menschenbildern. | |
Leider hat der Film einen tragischen Fehler, nämlich dass er ein „Tatort“ | |
ist. Kreuz und quer zu dieser Handlung funkt nämlich der übliche | |
Ermittlerplot. Jedes Mal, wenn die Szenen im COB-Dorf gerade | |
klaustrophobische Spannung und Endzeitgrusel entwickeln, schalten wir nach | |
draußen, wo irgendein KTU-Bericht gehört oder Zeuge befragt werden muss: zu | |
einem Mord, den es nun mal braucht, weil es ja ein „Tatort“ ist, der aber | |
so egal wirkt, dass man mehrfach vergisst, wer nun eigentlich noch mal tot | |
war. Im deutschen Fernsehen muss ein Film, der kein Liebesfilm und keine | |
Komödie ist, ein Krimi sein. | |
Und so fantasievoll das COB-Drama zusammengesetzt ist, so pflichtschuldig | |
wirkt der Krimi da drumherumgestellt. Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) | |
kriegt eine steife Buddy-Comedy mit der US-Kollegin (Yodit Tarikwa). Die | |
dürfen sich dann zur Halbzeit in eine Ethikdebatte verwickeln, die | |
nirgendwo hinführt, während sich der Fall dank praktisch in die Landschaft | |
platzierter Hinweise von alleine löst. Am Ende bleibt für das | |
„Kriegs-Rollenspiel-Dorf“ fast kein Platz, für die Figuren keine Tiefe. | |
Alles versinkt knieflach im Hundsgewöhnlichen der „Tatort“-Rahmenhandlung. | |
Nun gibt es sicher genug Batic-Leitmayr-Fans, die es trotzdem gerne sehen, | |
wie die zwei sich hier in ihrem 96. Fall durch eine originelle neue | |
Szenerie brummeln. Für das Potenzial der Story dagegen fühlt sich der | |
„Tatort“-Rahmen an wie ein Knast. | |
2 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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