# taz.de -- Migration und Flucht – nicht das Gleiche: Die Lösung, nicht das … | |
> Im Wahlkampf geht es ständig um Abschiebungen und Einreisestopps. Es wird | |
> übersehen, wie sehr wir Zuwanderung brauchen. Und Migration ist nicht nur | |
> Flucht. | |
Bild: In den Räumen des Sozialunternehmens Frauenalia in Berlin-Neukölln | |
Berlin taz | Begoña de la Marta steht in einer zum Büro umfunktionierten | |
Neuköllner Wohnung und unterstreicht ihre Worte mit den Händen. „Die | |
Leistung von Migranten wird oft nicht gesehen“, sagt sie. Energisch fügt | |
die Spanierin hinzu: „Deswegen betone ich immer, welchen großen Beitrag wir | |
zu Wirtschaft und Gesellschaft leisten.“ | |
De la Marta lebte schon lange in Deutschland, als sie sich das erste Mal | |
als Migrantin begriff. „Nachdem ich Mutter geworden bin, spürte ich auf | |
einmal die ganze Last der Migration“, sagt sie. Als spanische Anwältin mit | |
sehr guten Deutschkenntnissen brachte sie zwar beste Voraussetzungen mit. | |
Doch weil sie Mutterschaft und Beruf unter einen Hut bringen wollte, war | |
das gar nicht so leicht mit dem Job. Auch für sie passende | |
Beratungsangebote fand sie nicht. Also gründete sie kurzerhand selbst, was | |
sie brauchte. Ihr gemeinnütziges Unternehmen [1][Frauenalia] berät und | |
unterstützt seit 2016 migrantische Frauen auf Jobsuche und beim Gründen. | |
Wie schwer der Weg in den Arbeitsmarkt für Migrant:innen sein kann, weiß | |
de la Marta aus eigener Erfahrung. Denn in Deutschland ankommen, das ist | |
nur der erste Schritt. Sogar hochqualifizierte Migrantinnen haben mitunter | |
Schwierigkeiten, beruflich Fuß zu fassen. Das liegt etwa an hohen | |
sprachlichen Anforderungen oder fehlender Anerkennung ausländischer | |
Abschlüsse. De la Marta betont noch einen weiteren Aspekt: „Ich sehe oft | |
Frauen mit großem Potenzial, aber sie haben immer diesen Stempel als | |
Migrantin. Und sie selber denken, dass sie hier nicht viel wert sind oder | |
dass sie mit den Deutschen nicht konkurrieren können.“ Bevor es bei | |
Frauenalia konkret um Bewerbungen oder die Hürden der deutschen Bürokratie | |
geht, ist es darum laut de la Marta wichtig, dass „die Frauen an sich | |
selbst glauben“. | |
## Bis zu fünf Millionen Fachkräfte bis 2030 | |
Dabei sind im Land [2][Arbeitskräfte] dringend gebraucht. Schon heute sind | |
Hunderttausende Stellen unbesetzt und die große Rentenwelle der | |
berüchtigten Boomer-Generation steht noch bevor. Bis zu fünf Millionen | |
Fachkräfte könnten deshalb bis 2030 fehlen. Noch unter Kanzlerin Angela | |
Merkel (CDU) beschloss der Bundestag 2019 das | |
[3][Fachkräfteeinwanderungsgesetz,] die Ampel weitete es 2023 aus. In jenem | |
Jahr kamen lediglich 68.000 Menschen als Arbeitskräfte von außerhalb der EU | |
nach Deutschland – ein Bruchteil dessen, was nötig wäre, um Sozialsysteme, | |
Wirtschaftlichkeit und Arbeitsmarkt stabil zu halten. Das Institut für | |
Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) rechnete schon vor Jahren vor, dass | |
es pro Jahr eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen brauche. | |
Doch der Ton, mit dem die großen Parteien gerade über Zuwanderung nach | |
Deutschland sprechen, ist rau. Begrenzen, abschieben, Härte zeigen – | |
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will gar einen „faktischen | |
Einreisestopp“. Die schrecklichen Anschläge und die Reaktionen darauf | |
fokussieren alle Aufmerksamkeit auf Asyl. Dabei hat Zuwanderung viele | |
Facetten. Flucht ist nur eine, wenn auch besonders prekäre und | |
existenzielle Variante davon. Die sogenannte Erwerbsmigration ist eine | |
weitere. | |
Das Sozialunternehmen Frauenalia von Begoña de la Marta richtet sich | |
speziell an Frauen und will Netzwerke zwischen ihnen schaffen. Alia – das | |
steht im Lateinischen für Gemeinschaft. Dafür organisieren de la Marta und | |
ihr Team Coachings und Gruppenseminare für ihre Klientinnen. Das | |
gemeinnützige Unternehmen wird gefördert von Land und Bund und hat seit | |
seiner Gründung über 1.300 Frauen beraten. Frauen seien eher auf | |
Unterstützung angewiesen als Männer, da zumeist sie es sind, die die | |
Care-Arbeit leisten, begründet de la Marta den Fokus ihrer Arbeit. Studien | |
hätten die negativen Auswirkungen dieser Doppelbelastung wiederholt | |
nachgewiesen. Immer wieder erlebe sie, wie Frauen wieder Selbstbewusstsein | |
sammelten, nachdem sie im Arbeitsleben Fuß gefasst hatten, sagt de la | |
Marta. | |
## Zwischen Arbeitsmigration und Flucht unterscheiden | |
Selbstwert und Würde durch Arbeit – das ist auch Ziel des Berliner | |
Restaurants [4][Kreuzberger Himmel]. Andreas Tölke, der Macher dahinter, | |
schmiss sein Leben 2015 um und richtete es auf die Unterstützung | |
Geflüchteter aus. Tölke wünscht sich eine positive Sicht auf Migration. Er | |
sehe darin eine Lösung – und nicht das Problem, sagt er. Dennoch schließt | |
auch er Abschiebungen nicht aus. „Manche von denen, die hierherkommen, | |
verwirken ihr Recht zu bleiben. Auch das gehört zum Rechtsstaat“, sagt | |
Tölke. | |
Trotzdem frustriert ihn, wie stark die Herkunft der Täter im Fokus steht. | |
Man müsse zwischen Arbeitsmigration und Flucht unterscheiden und offensiv | |
vertreten, dass wir auch aus gesellschaftlichem Eigennutz auf Migration | |
angewiesen seien. Dass einige Linke diese Strategie als Verwertungslogik | |
ablehnen, kann er nicht nachvollziehen: „Es müssen Gesellschaften überzeugt | |
werden, nicht Plena.“ | |
Grund zum Verzweifeln sieht Tölke aber nicht. Die AfD sei eine Minderheit | |
in Deutschland. Und er selber glaube an die Kraft von Vielfalt, sagt er. | |
„Es ist genau diese Kraft, die wir dem Destruktiven und Spalterischen der | |
AfD entgegensetzen müssen.“ | |
23 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.frauenalia.com/ | |
[2] /Ueber-Fachkraeftemangel-und-Einwanderung/!6036582 | |
[3] /Fachkraeftezuwanderungsgesetz/!t5532045 | |
[4] https://kreuzberger-himmel.de/index.html | |
## AUTOREN | |
Robert Saar | |
Defne Arslan | |
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