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# taz.de -- Serien auf der Berlinale 2025: Serien ohne Sektion
> Die Berlinale zeigt „The Narrow Road to the Deep North“ und „De Menor�…
> Während die eine im Krieg verharrt, fordert die andere die Justiz heraus.
Bild: William Costa und Taziana Bastos in der Serie „De Menor“
Die Berlinale war das erste Filmfestival unter den ganz großen, das eine
eigene Sektion für Serien eingeführt hatte. Keine zehn Jahre hielt das
Versprechen, es kamen Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen – die „Berlinale
Series“ wurden 2023 abgeschafft. Eine eigene Sektion gibt es nicht mehr,
aber ganz ohne Serien kommt die Berlinale trotzdem nicht aus.
Eine der Serien, die auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte, ist
„The Narrow Road to the Deep North“ des australischen Regisseurs Justin
Kurzel. Darin spielt der Hollywood-Schönling der Stunde, Jacob Elordi, den
australischen Militärarzt Dorrigo Evans, der nur Dorrigo genannt und von
seiner Vergangenheit heimgesucht wird. Die Miniserie basiert auf dem
gleichnamigen Buch von [1][Richard Flanagan, das mit dem Booker Prize
ausgezeichnet] wurde.
Dorrigo ist ein Aufreißer, der Bücher dazu nutzt, Frauen ins Bett zu
kriegen. Im Jahr 1940, bevor er in den Zweiten Weltkrieg geschickt wird,
taucht er mit Büchern in der Hand auf einer High-Society-Party auf, weil er
die Eltern der reichen Ella (Olivia DeJonge) umwerben will, die er später
heiraten wird. Kurze Zeit danach bringt er seltsamerweise ein Buch von zu
Hause mit in eine Buchhandlung, wo er mit der Frau seines Onkels flirtet,
die viel zu jung für diesen Onkel ist. Und sie flirtet zurück.
Wiederum fünfzig Jahre danach ist er immer noch mit Büchern beschäftigt.
Und mit Frauen. Diesmal hält er eine Rede bei der Veröffentlichung eines
Skizzenbuches, das ein Kriegskamerad gezeichnet hat. Dorrigos Onkel ist
wahrscheinlich schon lange tot, also schläft er jetzt mit der Frau eines
guten Freundes und Kollegen. Seine eigene Frau, Ella, hat sich inzwischen
an seine Seitensprünge gewöhnt.
## Elordi schaut mysteriös und süß
Und was passiert zwischen den beiden Zeitsträngen? Nun, da ist diese
„Narrow Road to the Deep North“, die schmale Straße in den tiefen Norden.
Diese Straße ist eine Eisenbahnlinie im schwül-heißen Thailand, die Dorrigo
als Kriegsgefangener des japanischen Kaiserreichs unter Zwang in einer Art
Arbeitslager bauen muss. Dort, tief im Dschungel, gibt es keine Frauen, mit
denen man schlafen kann, sondern autoritäre japanische Soldaten, die auch
gern mal ihr Katana zücken, um kranke Arbeiter zu enthaupten. Und die
anderen Gefangenen mit ihren welkenden Körpern, die mit Cholera und Malaria
infiziert sind.
Was hat die eine Geschichte mit der anderen zu tun? Diese Frage bleibt nach
zwei Episoden, die es bei der Berlinale zu sehen gab, offen. Und es bleibt
eine gewisse Gleichgültigkeit darüber, was die Antwort auf diese Frage sein
wird. Weil Elordi nicht überzeugt und oft damit beschäftigt zu sein
scheint, mysteriös oder süß auszusehen, statt zu spielen. Weil Dorrigo mehr
von seinen Affären geplagt ist als von einer kriegsbedingten,
posttraumatischen Belastungsstörung.
Die Gleichgültigkeit erstreckt sich sogar auf den Teil, in dem er als
Kriegsgefangener in Thailand ist. Vielleicht, weil man mit Männern, die –
und das wird in einer Zeit, in der Krieg dank der vielen männlichen
Kriegstreiber wieder zur Normalität wird – an ihrem Leid selbst schuld
sind, einfach kein Mitleid mehr haben kann. Wieder eine Kriegsgeschichte
über Männer, mal schwach, mal heldenhaft, mal verführerisch, in der Frauen
nur als Randfiguren vorkommen. Innovativ ist an „The Narrow Road to the
Deep North“ nichts, außer dass in der Serie eine australische Perspektive
auf den Zweiten Weltkrieg stattfindet.
Anders dagegen ist „De Menor“. Die Regisseurin Caru Alves de Souza feierte
mit dem Film „Mein Name ist Baghdad“, der von einer 14-jährigen Skaterin
aus São Paulo handelt, Premiere bei der Berlinale 2020. Fünf Jahre später
kehrt sie zurück – mit einer Serie. Die handelt vom brasilianischen
Rechtssystem und wird, genau wie der Film vor fünf Jahren, in der Sektion
„Generation14plus“ gezeigt. Einer Sektion, die sich an ein jüngeres
Publikum richtet. Das macht auch „De Menor“. Das verrät schon der Titel,
der so viel wie „Minderjährig“ bedeutet.
## Jede Folge mit eigenem Genre
Sechs Folgen gibt es, jede Folge dreht sich um eine Gerichtsverhandlung,
bei der je eine minderjährige Person angeklagt ist. Jede Folge hat zudem
ihr eigenes Genre: Einmal ist die Gerichtsverhandlung ein Theaterstück in
drei Akten, dann ein Podcast, ein Gespräch beim Abendessen oder sie findet
in einem virtuellen Gaming-Raum statt. Oder der Prozess ist eine trashige
Talkshow à la Jerry Springer, mit der Richterin in der Rolle der
Talkshow-Host, so gewählt, um an der oft sensationalistischen
Öffentlichkeit Kritik zu üben.
Die Prozesse bleiben dabei fiktional, auch wenn alle reale Probleme der
brasilianischen Justiz thematisieren. So prangert jede Episode einen
allgemeinen Missstand an, eine Ungerechtigkeit, die der marginalisierten
brasilianischen Jugend durch das Gesetz widerfährt.
Folge 1 handelt von „100.000“, so lautet der Name des Angeklagten, weil
sein Schicksal von vielen Brasilianer_innen geteilt wird. 100.000 ist
Schwarz und wird von der Polizei beim Kiffen mit Freunden erwischt. Der
Polizist belastet den Jungen bewusst falsch, indem er ihm Drogen
unterschiebt und 100.000 wird verhaftet.
Dann beginnt der Prozess, der nun noch offensichtlicher als die vorherigen
Szenen auf einer Theaterbühne stattfindet. Die Beteiligten sitzen um einen
Tisch auf Regiestühlen mit Beschriftungen wie „Angeklagter“, „Richter“…
„Anwalt“. Immer wieder unterbricht die Stenografin die Verhandlung, um die
vierte Wand zu durchbrechen. So sagt sie direkt in die Kamera: „60 Prozent
der Insassen im Jugendgefängnis sind Schwarz. Dagegen sind es nur 12
Prozent der Richter_innen in Brasilien. Auch der Richter in diesem Prozess
hat seine Zweifel an der Unschuld von 100.000, was er in einer
abschließenden Musiknummer kurz vor der Urteilsverkündung zum Ausdruck
bringt.
## Polizeiproblem
Es sind immer dieselben sechs Schauspielerinnen und Schauspieler, die alle
Rollen in „De Menor“ besetzen. Und alle sind, wenn nicht minderjährig, so
doch sehr nah dran, selbst wenn sie die Mutter des Angeklagten, eine alte
Nachbarin oder den strengen Richter spielen.
Manchmal tauschen sie auch von Akt zu Akt die Rollen, dann sieht man sie in
der Maske oder plötzlich die Kameraleute, die die Prozessszene filmen. All
diese Stilmittel [2][erinnern stark an Brechts Theater]. Nicht nur formal,
sondern mit dem gesellschaftskritischen Stoff auch inhaltlich.
Nach der Vorstellung an diesem 19. Februar, bei der auch einige
Schauspielerinnen und die Regisseurin von „De Menor“ anwesend sind,
ergreift eine Moderatorin das Wort und erinnert daran, dass eine ungerechte
Justiz und eine korrupte Polizei nicht nur ein brasilianisches Problem
sind. Sie verliest die Namen der Menschen, die vor fünf Jahren in Hanau von
einem rechtsextremen Täter ermordet wurden. Bis heute wurde die Rolle der
Polizei darin nicht aufgearbeitet. [3][Bis heute hat es keinen einzigen
Prozess zum Terror in Hanau] gegeben. Im Gegensatz zu „De Menor“ – da ist
es meist ein Verfahren zu viel.
21 Feb 2025
## LINKS
[1] /Man-Booker-Prize-2014/!5030992
[2] /Theaterfestival-in-Augsburg/!5990663
[3] /5-Jahre-nach-Hanau-Anschlag/!6066756
## AUTOREN
Valérie Catil
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