| # taz.de -- Hass und Verachtung: Wir brauchen einen neuen Chor | |
| > An Alice Weidel denken heißt an Plötzensee denken. Sie ist eine Bedrohung | |
| > für alles, was die Bundesrepublik lebenswert macht. | |
| Bild: Blick auf die frühere Hinrichtungsstätte in der Haftanstalt Berlin-Plö… | |
| Sehe ich diesen weißen Rollkragenpullover, verbunden mit diesem eisigen | |
| Lächeln, das gleichzeitig eine gewisse Gefährlichkeit und Blödigkeit hat, | |
| fällt mir Plötzensee ein. Die Hinrichtungsstätte [1][Plötzensee], die Kälte | |
| der Urteile, die Todeswerkzeuge und das Leid der Hingerichteten. Der | |
| Schrecken dieses Ortes, der nun nicht mehr vergangen, sondern gegenwärtig | |
| erscheint. | |
| Dieser Ort steht hinter der Figur dieser Frau, die wie aus einem Bilderbuch | |
| einer nur scheinbar abgeschlossenen Zeit heraus eine Fahne schwenkt. Dazu | |
| der Chor, der ihren Namen ruft, der sich als Rausch auf ihrem Gesicht | |
| spiegelt, das eine Maske ist. Eine Maske der Bosheit. Ihre Verachtung, ihr | |
| Hass. Ihre Sprache, die Menschen verletzt, isoliert und beschädigt. Ihre | |
| Kleidung hat sie sich ausgeborgt. Sie scheint einen ganzen Vorrat von | |
| Insignien der Macht zu haben. | |
| Einen Schrank mit weißen Rollkragenpullovern, auf denen man jeden Fleck | |
| sieht. Die Perlenkette aus der Vitrine der bürgerlichen Ehefrau, die den | |
| mütterlichen Tisch deckt und die Parolen mit dem lang gezogenen R übt. Das | |
| Einstecktüchlein und die Anzugjacke von Ribbentrop, dem Außenminister des | |
| Deutschen Reiches, das sie zu beleben gedenkt. Mutter, Rittmeisterin, | |
| Wächterin und Gouvernante, die dem deutschen Volk nun wieder Zucht, | |
| Ordnung, Kontrolle und Verachtung beibringt. | |
| Ich sehe sie kurz vor Weihnachten mit dem Rücken zum [2][Magdeburger] Dom. | |
| Ich höre die heiseren Rufe der Menge. Und dieser Chor, verbunden mit der | |
| Figur, die auf der Bühne steht mit einer neuen Verkleidung, einer Art | |
| Jägerhut, einer Jagdkleidung, macht mir Angst. Ich fürchte um die | |
| Schutzlosen, die sich in ihrem Jagdgebiet aufhalten. Mit einer Art | |
| Tropenhelm und Militärkutte, früher Bundeswehrparka, bemächtigt sie sich | |
| der Toten und Verwundeten, mit denen sie sehr wohl verbunden ist, da der | |
| Mörder ihre Worte als das [3][Werkzeug seines Denkens] zitiert hat. | |
| Ein Untergebener stellt sie vor als Doktor. Die sie umgebende, geschlossene | |
| Männerwelt macht ihrem vermeintlichen Charisma den Hof, ihrer Intelligenz. | |
| Sie haben ihre Klassensprecherin gewählt, die sie nun bei allen Anlässen | |
| vertritt. Sie sind gekommen, ihr künftiges Land zu trainieren. Zur | |
| Begrüßung skandiert die Menge „Abschieben!“ als vorweihnachtlichen Gruß. | |
| „Alice für Deutschland!“, schreit der Chor. Sie schreit mit dem Gestus | |
| eines kalten Messers, mit sich überschlagender Stimme und hat Schnupfen – | |
| oder simuliert sie Trauer mit einem Taschentuch? Das Telefongespräch mit | |
| einem Mann, der in ihr Spektrum gehört. Das irre, devote und irgendwie | |
| sexuelle Lachen, als hätte der Mensch mit dem ebenfalls gefrorenen Gesicht | |
| ihre wächserne Haut berührt. Die entgleiste und aus jedem Kontext, aus | |
| jedem Sinn, aus jeder Geschichte herausgestürzte Sprache, unterbrochen von | |
| diesem Lachen, das aus einer Region kommt, die ich nicht näher beschreiben | |
| möchte. | |
| ## Mord und Gewalt | |
| Ich denke, sobald ich diese Frau sehe, deren Namen ich nicht wiederholen | |
| möchte, nicht in diesem Text, an die Wächterinnen und Zuchtmeisterinnen | |
| deutscher Gefängnisse. Ich denke bei dieser weiblichen Figur einer | |
| Wiedergängerin an Mord und Gewalt. Der weiße Pullover täuscht mich nicht. | |
| Unter dieser Wolle wohnt ein besessener Mensch, der nachts, die Zähne | |
| zusammengebissen, alles säubert, was nicht in sein Weltbild gehört. Auf den | |
| Knien und mit der Wut der Verbissenen kämpft sie gegen die Menschen, die | |
| nicht in ihre Begrenzungen passen, die genährt sind aus den Parolen eines | |
| preußischen Reiches und dem Hass auf alles Fremde, das in ihrem kalten | |
| Gehirn die Leitzentrale bildet. | |
| Möglicherweise hat sie als Kind die Bücher ihres Großvaters gelesen. Die | |
| Urteile eines Menschen [4][ihrer unmittelbaren Familie], einem Anwalt der | |
| NS-Justiz, bilden offenbar ihr inneres Leitbild. Menschenverachtend und | |
| reaktionär. Ich sehe, wie sie auf den Knien mit einem Lappen aus ihrem | |
| weißen Wollpullover die so lebendige Gesellschaft, die immer wieder durch | |
| die Tür ihres Badezimmers strömt, wegputzen, reinigen, säubern und | |
| vernichten will. Sie trainiert vor dem beschlagenen Spiegel ihre Worte. | |
| Dann sitzt sie im Fernsehen und räkelt sich in ihrer Siegerpose und ihrer | |
| von Gewalt durchtränkten Sprache. Man möchte ihr in die Haare greifen, die | |
| Perlenkette zerreißen, ihr den Mund mit Wolle verschließen und sie in einem | |
| Bergsee versenken. | |
| Aber die Ungeheuerin, die alles hasst, was sich eine Gesellschaft nach 1945 | |
| erringen musste, taucht wieder auf. Nun geht sie als entfesselte Riesin | |
| durch das Land und reißt Windräder nieder. Ständig verwechselt sie etwas, | |
| bringt alles durcheinander. Mörder, Diktatoren, Verbrechen, der Wind, alles | |
| eins. Ihr Weltbild ist ungeheuerlich, böse und verletzend. Sie ist eine | |
| Mörderin des Lebens, der Demokratie und der Solidarität. Wir haben die | |
| Menschen vor ihr zu beschützen, die sie täglich kränkt und entfernen | |
| möchte. Jeder Schlag in das Gesicht eines anderen, jede Verletzung der | |
| Würde eines anderen ist mit ihrem Aufruf zur Gewalt verknüpft. | |
| Wir müssen uns diesem Ungeheuer entgegenstellen. Wir müssen den Chor | |
| vergrößern. Wir müssen den Chor der Menschlichkeit vergrößern. Ich denke an | |
| Sara, Benjamin, Esther, Miriam und Lea, die ihren geplanten Mord | |
| überlebten, der von ebendiesem Deutschland ausging. Sie würden sich zu Tode | |
| erschrecken und ihre Vermutung bestätigt finden, wenn sie sie sähen. Denn | |
| ihr Auftritt ist eine Inszenierung aus einem Geschichtsraum, der dem | |
| Faschismus huldigt. Und darum denke ich an Plötzensee, die Henker, die | |
| Todeswerkzeuge und die Namen der Hingerichteten. | |
| All das bringt dieses Ungeheuer mit. Sie bedroht mich und dich, bedroht | |
| alle, die wir zu beschützen haben. Wir brauchen einen neuen Chor. | |
| Christina Friedrich ist Schriftstellerin und Regisseurin. Letzten Herbst | |
| kam von ihr der Film [5][„Zone“] in die Kinos. | |
| 23 Feb 2025 | |
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| Christina Friedrich | |
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