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# taz.de -- Der taz FUTURZWEI-Kommentar: Die fiktive Arbeiterpartei
> Mit populistischen „Mehr Netto“-Parolen will die SPD der Wirklichkeit
> trotzen und damit verlorene Wähler mobilisieren. Illusionär.
Bild: Olaf Scholz sieht rot: Der hilflose Populismus der SPD
[1][taz FUTURZWEI] | „Mehr für Dich – besser für Deutschland“ – „Me…
Sicherheit - mehr Netto“ - Mit Sicherheit – stabile Renten“ – „ Hier …
mehr netto für Dich drin“: So versprechen es Kandidat [2][Olaf Scholz] und
die [3][SPD] ihren potentiellen Wählern für deren Stimmen bei der
[4][Bundestagswahl am 23. Februar].
Jetzt ist die Frage: Welchen Wählern? Den Arbeitern? Nach einer jüngsten
Forsa-Studie wollen 29 Prozent der Arbeiter der [5][AfD] die Stimme geben,
38 Prozent wollen gar nicht wählen gehen. 1998 entschieden sich 51 Prozent
der wahlwilligen Arbeiter für die SPD, kurz vor dem 23. Februar sind es nur
noch 11 Prozent.
Die 160 Jahre alte und einem demokratischen Sozialismus verpflichtete SPD
hat sich schon seit dem Godesberger Programm 1959 immer weiter von ihren
Wurzeln einer Arbeiterpartei entfernt. Dadurch wurde die SPD zur
Volkspartei, offen für immer breitere Wählerschichten.
## Öffnung und Verlust
Aus dieser Öffnung in die ganze Gesellschaft hinein beruhten auch ihre
Wahlerfolge der Jahrzehnte nach Godesberg. Insbesondere Akademiker und
Angestellte strömten mit Willy Brandts Kanzlerschaft 1969 und in der Folge
der 1968er Studentenbewegung in die SPD. Sie bildeten schon bald die
Mehrheit der SPD-Mitglieder.
Sicher lag das auch daran, dass der traditionelle Arbeiter in der Workforce
mit dem technologischen Fortschritt und der steigenden Produktivität immer
weniger gefragt war, die absolute Zahl ist stark zurückgegangen.
Mit der erfolgreichen Bildungsrevolution in den 1960er und 1970er Jahren
und ihrer hohen Durchlässigkeit verließen die nun aufsteigenden
Arbeiterkinder den gesellschaftspolitischen Traditions- und Lebensraum
ihrer Eltern, das traditionell sozialdemokratische Arbeitermilieu. Mit dem
Aufstieg der [6][Arbeiterklasse] alten Zuschnitts ging der SPD die sichere
Wählerbasis verloren.
Die neuen, gebildeten Facharbeiter und Mittelschichten wandten sich den
[7][Grünen] und den Sozialliberalen, aber auch der [8][CDU] zu, während die
volatilen Unterschichten in der radikalen Rechten ihren neuen politischen
Ort gefunden haben. So beschreibt Forsa die [9][FPÖ] als die einzig übrig
gebliebene Arbeiterpartei Österreichs.
Die aktuell 15 Prozent für die SPD in den Vorwahlumfragen bilden diese
Entwicklung ab. Die potentiellen SPD-Wähler sind auf einen Kern von
Gewohnheitswählern geschrumpft. Das Versprechen im aktuellen Wahlkampf von
mehr Netto für alle ist eine nicht einlösbare populistische
Bankrotterklärung.
## Unumgehbare Tatsachen
Zwar ist die soziale Sicherheit, die soziale Marktwirtschaft mit
Mitbestimmung, und der Wohlfahrtsstaat mit allen seinen Segnungen nicht in
Gefahr. Das muss aber an die veränderten gesellschaftlichen und
technologischen Veränderungen angepasst werden. Dieser Prozess wird
unweigerlich zu höheren Belastungen führen, also zu weniger Netto.
So müssen, etwa, die demographischen Tatsachen – seit vielen Jahrzehnten
gibt es immer mehr Alte und weniger Junge - ins Rentensystem eingepreist
werden. Das aktuelle Umlageverfahren für die Rentner kann nur erhalten
werden, wenn die Alten länger arbeiten, die Jungen höhere Rentenbeiträge
zahlen, zusätzlich eine pflichtige, private Rentenvorsorge eingeführt wird
und alle Einkommensarten zur Finanzierung der Renten für alle herangezogen
werden.
Eine solche Reform wird für viele Jahre nicht zu mehr, sondern zu weniger
netto bei den privat verfügbaren Einkommen führen, könnte aber langfristig
stabile Renten garantieren.
Statt den Leuten in sozialdemokratischer Tradition ein erneuertes
Rentensystem als deren Beitrag zu ihrer zukünftigen Sicherheit zuzumuten,
wird ihnen mehr netto für den aktuellen Konsum versprochen. Die
berechtigten Sorgen vieler Bürger wegen unsicherer Renten in der Zukunft
werden ignoriert.
## Strategisches Missmanagement
Die Beispiele für dieses strategische Missmanagement der SPD ließen sich
beliebig verlängern. Es kann schlicht keine Transformation in die
nachfossile Gesellschaft ohne allgemeine Anstrengungen geben, die auch alle
Bürger durch klug organisierten Konsumverzicht mitfinanzieren müssen.
Es kann keine Sicherheit für die freien Demokratien des Westens und keinen
verlässlichen Frieden ohne systematische Verteidigungsfähigkeit geben.
Diese Aufrüstung kann nicht auf Pump finanziert werden. Auch dazu müssen
alle privaten Einkommen durch möglicherweise höhere Steuern herangezogen
werden.
Aus „Brüder zur Sonne zur Freiheit“ hat die SPD in diesem Wahlkampf „mehr
Sicherheit - mehr Netto“ gemacht. Zu glauben, sie könnte damit ihre, an die
AfD verlorenen Wähler oder die von geistloser Politik frustrierten
Nichtwähler für sich zurückgewinnen ist wirklichkeitsfremd. Dabei könnte
die SPD wieder stärker werden als Fortschritts- und Friedenspartei.
## Das Ende der fiktiven Arbeiterpartei?
Dafür müsste sie sich nicht als fiktiver Arbeiterpartei, wohl aber als
Partei der aufgeklärten, linksliberalen Eliten mit sozialer und
ökologischer Zukunftsverantwortung präsentieren.
Sie könnte den Fortschrittsglauben der großen alten Sozialdemokratie in das
Versprechen für eine lebenswerte aufgeklärte Zukunft übersetzen, einer
Zukunft mit Digitalisierung und [10][KI], mit einer eingehegten
[11][Klimakrise], mit selbstbewusster Stärke gegenüber den autokratischen
Diktaturen und mit einem modernisierten, effektiven Wohlfahrtsstaat.
Aber damit ist nicht zu rechnen. Die SPD wird versuchen, sich mit ihren 15
Prozent in eine Koalition mit der Union zu retten, um dann gemeinsam mit
der CDU die Grünen auszubremsen, falls die zum Regieren jenseits der AfD
auch noch gebraucht werden.
Damit wird sie sich selbst bald ganz abschaffen. Das macht gar keine gute
Laune. 🐾
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10 Feb 2025
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## AUTOREN
Udo Knapp
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