# taz.de -- Rechtsextreme und Homosexualität: Who the fuck is Alice? | |
> Alice Weidel ist lesbisch und Chefin der queerfeindlichen AfD. Bei der | |
> Parteibasis ist die Volkswirtin beliebt. Wie passt das alles zusammen? | |
Bild: Genießt Privilegien, die sie anderen entziehen will: Alice Weidel mit ih… | |
Riesa/Berlin taz | Beim Parteitag Mitte Januar im sächsischen Riesa brachte | |
Alice Weidel mal wieder ihren Signature-Move zur Aufführung: den | |
dramatischen Abgang. Am Sonntagvormittag stand die frisch gekürte | |
Kanzlerkandidatin ohne Koalitionsoptionen plötzlich auf und verließ im | |
Stechschritt die Parteitagsbühne. Ihr Abgang war schnell, Weidel wirkte | |
wütend – binnen Sekunden war sie hinter den Kulissen der Mehrzweckhalle | |
verschwunden. | |
Weidels Ärger erregt haben dürfte vor allem die Thüringer | |
Landtagsabgeordnete Wiebke Muhsal, eine enge Vertraute des | |
völkisch-nationalistischen Chefs der Thüringer AfD, Björn Höcke. Muhsal | |
hatte in der Programmdebatte zum Familienbegriff der AfD einen Satz gesagt, | |
den die in lesbischer Partnerschaft lebende Weidel auch selbst in Bezug auf | |
ihre Familie [1][schon gebraucht hatte]. | |
Jetzt äffte ihn Muhsal im abfälligen Tonfall nach: „Familie ist da, wo | |
Kinder sind“, sagte sie sarkastisch, „diese gesellschaftsverwahrlosenden | |
Sätze kommen mir echt zu den Ohren raus! Kinder kommen nicht irgendwo her, | |
sondern Familie ist da, wo ein Mann und eine Frau gemeinsam Kinder | |
bekommen!“ | |
Der Parteitag von Riesa quittierte den queerfeindlichen Klartext mit lautem | |
Jubel, Johlen und Applaus. Kurz darauf änderten die 600 Delegierten | |
einstimmig das Wahlprogramm. Familien bestehen aus „Vater, Mutter und | |
Kindern“ steht nun darin. | |
Die Programmkommission der AfD hatte zuvor im Entwurf erstmals ohne | |
festgelegte Definition gearbeitet und somit auch die Parteichefin Weidel | |
und ihre Regenbogenfamilie mit zwei Kindern eingeschlossen. | |
Nach dem Vater-Mutter-Kind-Beschluss rannte Weidel düpiert aus der Halle. | |
Später am Tag machte sie in einem TV-Interview geltend, dass der veränderte | |
Satz ja nur das Leitbild der AfD beschreibe und sie das Programm in dieser | |
Form schon lange vertrete. Aber sie wiederholte auch noch mal den an der | |
Parteibasis offenbar verhassten Satz: „Für mich ist Familie dort, wo Kinder | |
sind.“ | |
Es sind seltene Momente, in denen die kognitiven Dissonanzen der Alice | |
Weidel in ihrer vermeintlich widersprüchlichen Doppelrolle als Mutter einer | |
Regenbogenfamilie und Chefin einer extrem rechten Partei sichtbar werden. | |
Die 46-jährige Volkswirtin lebt seit 2009 in einer gleichgeschlechtlichen | |
Beziehung mit der in Sri Lanka geborenen Sarah Bossard – einer Schweizer | |
Filmemacherin, die auch die leibliche Mutter ihrer beiden Söhne ist. | |
Gleichzeitig ist Weidel das Gesicht der AfD, die den Diskurs in Deutschland | |
von rechts außen bestimmt und mittlerweile nach fortwährender | |
Radikalisierung bei 20 Prozent in den Umfragen zur Bundestagswahl steht, | |
was sich auch in rassistischer und [2][queerfeindlicher Gewalt] | |
niederschlägt. | |
## „Sarah, ich liebe dich!“ | |
Im Wahlkampf blendet Weidel das aus. Und im Unterschied zu früheren | |
Wahlkämpfen kehrt Weidel ihre Partnerschaft selbstbewusst nach außen: Im | |
November vorigen Jahres machte sie ihrer anwesenden Frau bei einem | |
öffentlichen Auftritt in der Schweiz eine Liebeserklärung („Sarah, ich | |
liebe dich!“). | |
Zuletzt nahm sie Bossard sogar zu einem Wahlkampfauftritt in Halle an der | |
Saale mit, wo diese allerdings zwischen all den „Ab-schie-ben!“-Rufen doch | |
etwas versteinert wirkte und nach Weidels Rede eher verhalten applaudierte. | |
Wohl auch angesichts 4.000 aufgepeitschter AfD-Anhänger, die Bier trinkend | |
„Alice, ich will ein Kind von dir“, „Raus mit den Viechern!“ oder die | |
abgewandelte SA-Losung „Alice für Deutschland“ riefen – während Weidel … | |
der Bühne „Remigration“ forderte. | |
Noch mehr Dissonanz findet sich, wenn man Bossards Instagram-Feed ansieht. | |
Dort zeigt sie eine Lebensrealität, die so gar nicht zur AfD-Parteibasis | |
passt: weltoffene Raveclubs, Róisín-Murphy-Konzert, KaDeWe-Austernbar und | |
Besuche der Züricher Streetparade mit Strasssteinen im Gesicht. Das | |
Einzige, was an die AfD erinnert, sind Selfies mit Weidel. [3][Wie passt | |
das alles zusammen?] Und wie hat Weidel es als lesbische Frau an die Spitze | |
einer offen queerfeindlichen und rassistischen Partei geschafft? | |
Weidel selbst will darüber trotz vielfacher Anfragen nicht mit der taz | |
reden. In Teilen aber kann Patrick Wielowiejski von der Berliner | |
Humboldt-Universität Antworten geben. Der Kulturanthropologe hat sich im | |
Rahmen seiner ethnologischen Forschung mit Homosexuellen in der AfD | |
auseinandergesetzt. | |
Er begleitete über einen Zeitraum von zwei Jahren regelmäßig verschiedene | |
Homosexuelle in der Partei bei Tagungen, Demos, Neujahrsempfängen und | |
Kneipenabenden, befragte sie zu ihrer Biografie und Motivation. | |
Wielowiejski sagt, entscheidend für ein Engagement in der AfD seien bei den | |
von ihm Befragten am Ende nicht offenkundig die in der Rechten | |
anschlussfähigen antimuslimischen Erzählungen gewesen – also dass | |
muslimische und migrantische Männer eine besondere Gefahr für Homosexuelle | |
darstellen würden. | |
„Die ausschlaggebende Motivation für aktives Wirken in der AfD war | |
vielmehr eine biografisch rechte Sozialisation“, sagt Wielowiejski, „die | |
eigene sexuelle Orientierung kam einfach obendrauf.“ | |
## Hauptsache „normal“ | |
Allerdings entstünde in der AfD für Homosexuelle ein Spannungsfeld, wie man | |
es auch aus konservativen politischen Bewegungen kenne: „Viele wollen mit | |
ihrem Engagement in der AfD als respektable Homosexuelle einfach von der | |
Mehrheitsgesellschaft angenommen werden und Zugang zu bürgerlichen | |
Institutionen bekommen – die Homosexualität stehe dabei politisch nicht im | |
Vordergrund, sondern ist vor allem Privatsache“, so Wielowiejski. Dabei | |
helfe eine mögliche Inszenierung von Heteronormativität, also ein möglichst | |
monogames Leben als verheiratetes Paar. | |
Das ließe sich auch gut bei Weidel beobachten. Diese habe sich klar von | |
anonymen Samenspenden abgegrenzt und benenne zudem ein klares gemeinsames | |
Feindbild, wenn sie im ARD-Sommerinterview sage: „Ich bin nicht queer, | |
sondern ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne“, | |
und ansonsten im Kulturkampf auch gegen queere Identitäten und | |
„Genderwahnsinn“ hetze. | |
„Wenn woke Queerness der Feind ist, können sich Lesben und Schwule auf | |
Seiten der Normalen stellen“, so Wielowiejskis Befund. „Homosexualität in | |
der AfD funktioniert nur unter der Bedingung, dass Zweigeschlechtlichkeit | |
und Heteronormativität als Grundpfeiler der rechten Ideologie nicht in | |
Frage gestellt werden.“ | |
Mit Blick auf die Biografie von Weidel hat der Wissenschaftler in vielem | |
recht. Jedenfalls scheint Weidel bereits früh in ihrem Elternhaus | |
politisiert worden zu sein. Aufgewachsen ist Weidel in der ostwestfälischen | |
Kleinstadt Harsewinkel, als Tochter der Hausfrau Margitta Weidel und des | |
selbstständigen Handelsvertreters Gerhard Weidel, der als Kind aus | |
Oberschlesien vertrieben wurde. | |
## Geschichtsrevisionistisch bis ins Mark | |
Ihr Elternhaus sei hochpolitisch gewesen, berichtete Weidel 2018 in einem | |
Interview in der rechten Schweizer Zeitung Weltwoche und kokettierte damit, | |
dass sie bereits zur Schulzeit mit dem väterlichen Mercedes am Gymnasium | |
vorfuhr, um sich mit den Alt-68er-Lehrern in Sozialkunde und Ethik | |
anzulegen. | |
Auch berichtete Weidel, dass sie bereits in ihrer Kindheit und Jugend die | |
Türken, Armenier, Russen, Kasachen und Afghanen aus den Sozialbauten | |
gestört hätten. Vor allem bei Muslimen funktioniere die Integration nicht, | |
behauptete sie. Zu ihren späteren Tiraden im Bundestag von „Messermännern“ | |
und „Kopftuchmädchen“ stehe sie – das sei „die echte Alice Weidel“, … | |
sie in dem Weltwoche-Interview über ihre rassistischen Ausfälle. | |
Aber auch 2017 konnte man schon längst ahnen, woher der Wind im Elternhaus | |
politisch wehte. Weidel pries damals geschichtsrevisionistisch in den | |
sozialen Medien den vermeintlichen „Schuldkult“ an und schrieb von | |
„Gräueltaten an der deutschen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg“ und | |
dem „Hungerwinter 1948“, den ihr Vater als Kind erlebt habe. | |
Auch ist mittlerweile gut belegt, dass Alice Weidel bereits vor ihrem | |
Parteieintritt politisch sehr radikal war. Das zeigt eine geleakte E-Mail | |
aus dem Jahr 2013, in der sie vor einem damaligen Bekannten ungefiltert ihr | |
Weltbild ausbreitete. Sie schrieb davon, dass Deutschland „von | |
kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt“ [sic] | |
werde. Ziel sei „die systematische Zerstoerung der buergerlichen | |
Gesellschaft“. | |
„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des | |
2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten“, so Weidel | |
wörtlich. Weitere extrem rechte Buzzwörter wie „Überfremdung“, Deutschla… | |
mangelnde „Souveränität“ kamen hinzu, sowie Angriffe auf das angeblich | |
korrumpierte Bundesverfassungsgericht. Kurz nach der E-Mail trat Weidel in | |
die AfD ein. | |
Für die Partei und auch Weidel ist das bislang eine Erfolgsgeschichte. | |
Weidel wirkt angesichts des AfD-Höhenflugs so fest im Sattel wie noch nie, | |
auch international vernetzt sie sich weiter. Vorige Woche [4][schaltete | |
sich der Tech-Oligarch Elon Musk erneut in den AfD-Wahlkampf ein], und | |
kommende Woche will Weidel den ungarischen Autokraten Viktor Orbán treffen. | |
## Eine nützliche Idiotin | |
Weidel funktioniert als Aushängeschild mit Wutbürger-Rhetorik für viele | |
Zielgruppen: Mit bürgerlichem Perlenketten-Hosenanzug-Habitus bietet sie | |
als promovierte Volkswirtin und marktradikale Bankerin mit | |
Goldman-Sachs-Vergangenheit eine Projektionsfläche für libertäre Reiche. | |
Gleichzeitig verfangen ihre dystopischen Untergangsszenarien und | |
rassistischen Erzählungen bei Abstiegsbedrohten. Völkische Kreise bedient | |
sie mit Begriffen wie „Remigration“ und ihrem Geschichtsrevisionismus. Und | |
wenn der Tech-Oligarch [5][Elon Musk nicht gerade einen deutschen Gruß | |
entrichtet], kann er erklären, dass die AfD nicht rechtsextrem sein könne, | |
weil Weidel mit ihrer Partnerin aus Sri Lanka ja nicht gerade wie Hitler | |
wirke. | |
Für den Kulturanthropologen Wielowiejski bleibt am Ende dennoch offen, wie | |
nachhaltig die Integration von Homosexuellen in der AfD wirklich ist. Die | |
Partei habe seiner Einschätzung nach durchaus ein strategisches Verhältnis | |
zu homosexuellen Mitgliedern und damit auch zu Weidel, sagt er. Aus Sicht | |
vor allem völkischer Kreise seien sie vor allem nützliche Idioten zur | |
Verharmlosung – solange sie diese noch brauchten. | |
9 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ehe-fuer-alle-der-alice-weidel-e… | |
[2] /Queerfeindlicher-Antrag-der-AfD/!6065769 | |
[3] /Homopolitik-der-AfD/!6022333 | |
[4] /Elon-Musks-politischer-Feldzug/!6058331 | |
[5] /Elon-Musks-Hitlergruss/!6060000 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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