| # taz.de -- Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: CDU-Wahlhilfe für die Linke | |
| > Der Parteiwechsel eines Stadtrats hat die Linke aus dem Bezirksamt | |
| > Friedrichshain-Kreuzberg gekegelt. Nun könnte ihr die CDU aus der Patsche | |
| > helfen. | |
| Bild: Keine Lust mehr aus Revolution: Sozialstadtrat Oliver Nöll, hier 2023 no… | |
| Berlin taz | Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mutet in seiner | |
| aktuellen Zusammensetzung paradox an: Neben Bürgermeisterin Clara Herrmann | |
| und zwei weiteren grünen StadträtInnen gibt es zwei Stadträte mit SPD- und | |
| einen mit CDU-Parteibuch. Die Linke ist dagegen nicht vertreten – dabei | |
| hatte sie [1][bei der letzten Wahl zur BVV] mit 20,6 Prozent der Stimmen | |
| deutlich stärker abgeschnitten als die Sozial- (13,6 Prozent) und die | |
| Christdemokraten (13,2 Prozent). | |
| Normalerweise stellen die in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) | |
| vertretenen Fraktionen proportional zu ihrer Stärke die Mitglieder des | |
| sechsköpfigen Bezirksamt-Kollegiums. So war es auch in | |
| Friedrichshain-Kreuzberg – bis der stellvertretende Bezirksbürgermeister | |
| und Stadtrat für Arbeit, Bürgerdienste und Soziales, Oliver Nöll, [2][erst | |
| aus der Linken aus- und am 15. Januar in die SPD eintrat]. Seine alte | |
| Partei will dieses Ungleichgewicht nun beseitigen und hat einen | |
| Abwahlantrag gegen Nöll gestellt. Er soll in der BVV-Sitzung am 29. Januar | |
| behandelt werden. | |
| „Wir finden es mehr als unangemessen, dass die SPD auf diese Weise zu zwei | |
| Stadträten gekommen ist“, sagte Linken-Fraktionschef René Jokisch der taz. | |
| „Das spiegelt die Kräfteverhältnisse nicht wider, und wir erwarten, dass | |
| das korrigiert wird.“ Ein Konsens darüber sollte unter den demokratischen | |
| Parteien eigentlich „selbstverständlich“ sein, so Jokisch. Die Entscheidung | |
| Nölls zum Parteiwechsels respektiere er, finde sie aber inhaltlich | |
| angesichts der Rolle der SPD auf Landes- und Bundesebene nicht | |
| nachvollziehbar: „Ich bin sehr gespannt, wie es mit seinen | |
| sozialpolitischen Forderungen weitergeht.“ | |
| Ende Oktober hatte Nöll seinen Austritt aus der Linken verkündet, nachdem | |
| [3][im Zuge des „Antisemitismusstreits“] schon die früheren SenatorInnen | |
| Klaus Lederer, Sebastian Scheel und Elke Breitenbach sowie die Abgeordneten | |
| Carsten Schatz und Sebastian Schlüsselburg die Partei verlassen hatten. | |
| Nöll veröffentlichte dazu eine mehrseitige Begründung, in der er die | |
| „lautstarke Kritik von Teilen der Partei an Israel und der aktuellen | |
| israelischen Regierung“ kritisierte, „die die Grenze zum Antisemitismus | |
| überschreitet“. | |
| Zudem beklagte er, dass die Linke sich zu einem „Sammelbecken vermeintlich | |
| ‚linker‘ Sekten“ entwickle. Es gebe auch in den Bezirksverbänden | |
| „Forderungen, jegliche politische Zusammenarbeit mit anderen Parteien zu | |
| beenden, Träumereien von ‚Systemüberwindung‘“ und eine „sich verfesti… | |
| Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen“. Er | |
| wolle die konkreten Lebensbedingungen der Menschen verbessern und nicht | |
| mehr „mit denjenigen zusammenarbeiten, die Straßenkämpfe, Umsturz und | |
| Etablierung eines ‚Staatssozialismus‘ propagieren“. | |
| Die Sozialdemokratie ist für den 1970 Geborenen allerdings auch kein | |
| Neuland: Bevor sich Nöll 2004 der WASG anschloss, die später in der Linken | |
| aufging, war er etliche Jahre lang SPD-Mitglied. Seit 2011 saß er für die | |
| Linke in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, von 2016 bis 2021 hatte er den | |
| Fraktionsvorsitz inne. | |
| ## „Ein Stückweit überparteilich“ | |
| Der taz sagte Nöll, seine alte Fraktion habe das „gute Recht“, einen | |
| Abwahlantrag zu stellen. Er sei aber „von der gesamten BVV gewählt“, und so | |
| wie er sein Amt verstehe, nehme er es auch „ein Stückweit überparteilich | |
| wahr“. Er habe lange überlegt, ob er sich nach seinem Linken-Austritt | |
| überhaupt noch in einer Partei engagieren soll, aber „mit dem Erstarken von | |
| postfaschistischen und rechtsextremen Parteien“ sei es „jetzt nicht die | |
| Zeit, sich aufs Altenteil zurückzuziehen“. | |
| Nun wird es darauf ankommen, wie die übrigen BVV-Fraktionen sich in der | |
| Causa Nöll positionieren. Die Grünen – mit Abstand am stärksten im | |
| Bezirksparlament vertreten – halten sich noch etwas bedeckt, lassen aber | |
| erkennen, dass sie einer Abwahl nicht abgeneigt sind. „Im Gegensatz zu | |
| einem Parteiaustritt verändert der Wechsel eines von der BVV gewählten | |
| Bezirksamtsmitglieds zu einer anderen Partei die von den Bürger*innen | |
| bestimmten Mehrheitsverhältnisse erheblich“, so der Fraktionsvorsitzende | |
| Pascal Striebel. „Wir werden jetzt den Antrag der Linksfraktion zusammen | |
| mit unseren Parteigremien beraten.“ | |
| Dass die SPD wenig Interesse daran hat, ihre unverhofft erlangte Stärke im | |
| Bezirksamt ohne Not aufzugeben, ist erwartbar – auch wenn der Proporz in | |
| der „Regierung“ des Bezirks gesetzlich gefordert ist. Gegenüber der taz | |
| beschied Co-Fraktionschef Frank Vollmert, man werde dem Antrag der Linken | |
| nicht zustimmen. „Alle demokratischen Parteien in der BVV haben mit Oliver | |
| Nöll als Stadtrat immer gut zusammengearbeitet, und wir sehen keinen Grund, | |
| warum das nicht auch weiterhin so sein sollte.“ | |
| ## Hilfe von der CDU | |
| Die Abwahl eines Bezirksamtsmitglieds kann nur mit einer | |
| Zweidrittelmehrheit der BVV zustandekommen. Grüne und Linke haben zusammen | |
| 31 von 55 Sitzen in der BVV, es fehlen also rechnerisch 6 Stimmen. Neben je | |
| zwei Sitzen von FDP, PARTEI und AfD gibt es noch die 8 Sitze der | |
| CDU-Fraktion – und ausgerechnet die könnte nun der Linken zu ihrem Recht | |
| verhelfen. | |
| Nölls Abschied von der Linken sei zwar „wenig überraschend“ und werde von | |
| der CDU ausdrücklich begrüßt, so ein Sprecher der BVV-Fraktion zur taz. | |
| Allerdings sei durch den Parteiwechsel eine „massive Verfälschung | |
| legitimierter demokratischer Verhältnisse“ entstanden. Man werde deshalb | |
| dem Antrag zustimmen und habe das den Fraktionen von Linken und SPD auch | |
| schon mitgeteilt. | |
| Wer von der Linken bei einer Abwahl Nölls dessen Bezirksamtsposten erhalten | |
| könnte, ist noch völlig offen. Die CDU dürfte dabei im Gegenzug zu ihrer | |
| Unterstützung der Abwahl ein Wörtchen im Hintergrund mitreden wollen. | |
| 22 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.wahlen-berlin.de/wahlen/BE2023/AFSPRAES/bvv/ergebnisse_bezirk_0… | |
| [2] /Wechsel-von-der-Linken-zur-SPD/!6058723 | |
| [3] /Linke-in-Berlin/!6044784 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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