Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ex-Turnerin über Leben als Theaterstar: „Ich wollte über die ka…
> Lange Zeit war Gabi Parigi Turnerin. Nun arbeitet sie am Theater und
> bringt ihre Erfahrungen aus dem Profisport auf die Bühne.
Bild: Performerin, Ex-Profisportlerin und starke Frau: Gabi Parigi
„16 Jahre, acht Stunden täglich, 108 Wettkämpfe, 43 Flughäfen, 65
Medaillen, achteinhalb Millionen Klappmesser, ein Freund“ – deklamiert Gabi
Parigi, 38 Jahre alt, in ihrem alten Turnanzug. Es folgt eine Aufzählung
von Verletzungen, Knochenbrüchen und Verschleißerscheinungen. Während die
Schilderungen über massiven Machtmissbrauch, insbesondere am
Bundesstützpunkt Stuttgart, die deutsche Szene in Aufruhr versetzen, steht
die ehemalige argentinische Nationalturnerin und WM-Teilnehmerin 2003 mit
ihrem Solostück im renommierten – und ausverkauften – Metropolitan Theater
in Buenos Aires [1][auf der Bühne].
taz: Frau Parigi, Seit der Premiere von „[2][Consagrada]“ 2021 haben Sie
über hundert Vorstellungen gegeben. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Gabi Parigi: Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein Stück aufführen würde,
in dem es um meine eigene Geschichte geht – dafür habe ich gar nicht das
Ego. Aber künstlerische Prozesse haben ihre eigene Magie. Ich wollte ein
Solostück machen und darin Themen aufgreifen, die mich umtreiben:
Meritokratie, Opferbereitschaft, Wettbewerb, Individualismus, die
produktivistische Logik und der Extraktivismus, also der Raubbau, nicht
zuletzt am eigenen Körper. In der Arbeit mit Flor Micha, der Regisseurin,
habe ich ihr irgendwann die Aufzeichnungen von mir als Turnerin gezeigt. Da
meinte sie: Okay, das Stück ist klar.
taz: [3][Sie betreten die Bühne] mit Bandagen und Tapes, später springen
Sie Flickflacks, geben Beleidigungen von Trainern wieder und sind gleich
wieder die Turnerin, die sich den Anzug über den Po zieht und leer lächelt.
Vertraute Szenen, wenn man den Sport kennt.
Gabi Parigi: Ich wollte über die kaputten Körper reden, diese Dichotomie,
dass wir nach außen immer stark und lächelnd wirken, aber Torturen
erleiden. Licht auf das werfen, was da ist, was man aber nie sieht und nie
ausspricht. Man sieht immer nur den Ausschnitt des Vorzeigbaren, also den
Erfolg. Aber der Körper leidet unter dem Erfolg und an den Medaillen. Es
gibt Dinge, die ich erzähle, bei denen die Zuschauer denken, das ist
Fiktion, aber es sind meine Erfahrungen. Diese Kritik und diese
Selbstreflexion sind mir wichtig, aber nicht als moralische Anklage,
sondern als Aufnehmen von Fragen, die letztlich über das Spezifische des
Turnens und die Logik des Hochleistungssports hinausweisen.
taz: Inwiefern?
Gabi Parigi: Ich höre oft: Na ja, aber so ist das Turnen eben, so ist der
Leistungssport eben, aber ich bin überzeugt, dass das auch mit humanen
Methoden geht, nicht nur mit der Idee, kurzfristig das Maximale für den
nächsten Wettkampf herauszuholen, ohne daran zu denken, dass dieses Kind
auch ein Leben nach dem Sport hat.
Es geht darum, dass wir Dinge auch anders machen können und zwar jeder mit
der Macht, die er selbst im Alltag hat – auch als Lehrer oder als
Elternteil. Also darum, den Fokus der sozialen Vorstellung davon, was
Erfolg ist, zu verschieben: Für wen ist es denn ein Erfolg, wenn
diejenigen, die mit Medaillen von Olympischen Spielen zurückkehren,
körperlich und psychisch kaputt sind? All diejenigen, die auf der Strecke
bleiben, haben überhaupt keine Stimme. Die Frage ist letztlich: Will man
die Logik der Normalisierung von Machtmissbrauch reproduzieren oder nicht?
taz: Am Ende des Stücks tanzen Sie – dann nicht mehr im Turnanzug – eine
Cumbia. Was hat es damit auf sich?
Gabi Parigi: Das ist das Register des „popularen Festes“, der möglichen
Transformation. Ich bin mir dessen bewusst, dass die Bühne – des Sports
oder des Theaters – wie jeder Raum der Sichtbarkeit auch ein Raum der Macht
ist. Am Ende steht viel Energie, viel Antrieb und die berühmte Frage: „Und
was machen wir jetzt mit all dem?“
taz: Und welche Antwort haben Sie darauf?
Gabi Parigi: Wir machen es wie Simone Biles! Sie hat sich, als sie bei den
Spielen diese Twisties hatte, für ihre Gesundheit und gegen Medaillen
entschieden und nutzt seitdem ihre Stimme, um genau für ein solche Haltung
zu werben. Das ist eine so starke Botschaft!
taz: Während Sie hier auftreten, gibt es in Deutschland eine Debatte um
Machtmissbrauch. Warum wiederholt sich diese Geschichte immer wieder?
Gabi Parigi: Ich glaube, viele Praktiken sind naturalisiert und wir müssen
eine gesellschaftliche Debatte führen, die alle angeht, nicht nur den
Hochleistungssport. Es geht um eine Transformation, die von Orten der Macht
ausgehen muss, Orten, die Werte etablieren und die Politik machen. In dem
System selbst gibt es keine Antikörper.
4 Feb 2025
## LINKS
[1] https://laltrefestival.cat/es/convocatoria-2025/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=lKc_1tmAlo8
[3] https://www.alternativateatral.com/obra74645-consagrada
## AUTOREN
Sandra Schmidt
## TAGS
Turnen
Theaterstück
Argentinien
Machtmissbrauch
Profisport
Turnen
Turnen
Turnen
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Turnen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Karriereende von Turner Andreas Toba: Einer mit Haltung
Der große Turner Andreas Toba beendet seine Laufbahn. Er wird nicht nur als
Sportler fehlen, sondern auch als selbstloser Teamplayer.
Turnen und aufs Maul fallen: Ästhetik des Scheiterns
Tiktok-Star Nile Wilson war früher ein Spitzenturner. Heute zeigt er mit
anderen Jungs, wie Stunts eben auch danebengehen können.
Barren-Weltmeister Lukas Dauser hört auf: „Turnen lieben gelernt“
Beim Swiss Cup gibt Lukas Dauser, der erfolgreichste deutsche Turner der
letzten Dekade, seinen Abschied. Er erinnert sich an Spaß und Entbehrungen.
Sportgymnastin mit Gold-Ambition: Mit Ball, Band und Bandage
Darja Varfolomeev will die erste olympische Goldmedaille für Deutschland in
der Rhythmischen Sportgymnastik gewinnen. Ein Trainingsbesuch.
Zweikampf im Turnen für Olympia: Problematische Einschätzung
Elisabeth Seitz und Helen Kevric konkurrieren um einen deutschen
Olympiaplatz. Die Zahlen sprechen für Erstere, der Verband favorisiert
Letztere.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.