# taz.de -- Tattoomesse in Hamburg: Nadeln, Schmerzen und Frischhaltefolie | |
> In den Hamburger Messehallen geht Tinte unter die Haut. Manche wissen | |
> vorher nicht mal, welches Motiv am Ende dabei herauskommt. | |
Bild: Tattoos haben in Hamburg Tradition | |
In den großen Hallen ist es voll – von nackter Haut. Auf schwarzen | |
Kunstlederliegen reihen sich Körper hintereinander auf, so weit das Auge | |
reicht. Manche Gesichter sind vor Schmerz zusammengekniffen, andere | |
entspannt. | |
Immer wieder blitzen nackte Ober- und Unterkörper auch in der sich durch | |
die Gänge drängenden Menge auf. Eingewickelt in Frischhaltefolie, wie | |
frisches Bio-Gemüse im Supermarkt. Die glänzende Haut darunter ist leicht | |
gerötet. Im Hintergrund ertönt ein rhythmisches Vibrieren, das mit dem | |
dröhnenden Beat der Musik verschmilzt. Ein Pommesgeruch schwebt in der | |
Luft, mischt sich mit dem von Bier. | |
Es sind die [1][TattooTage], die für ein Wochenende weitläufigen Hamburger | |
Messehallen füllen. Zum zweiten Mal finden sie nun in Hamburg statt. Etwa | |
75.000 Besucher:innen hat das Event über die Tage angelockt. Im Ticket | |
inklusive ist zudem eine Motorradmesse, die sich auf der anderen Seite des | |
Messegeländes erstreckt. | |
Auf der großen Bühne am Ende der Halle hat gerade ein Contest begonnen. | |
Vier Juror:innen sitzen dort, ein Moderator ruft die Namen der | |
Teilnehmenden auf. Eine Person nach der anderen betritt die Bühne und | |
streckt der Jury frisch tätowierte Körperstellen entgegen: Oberarm, Knie, | |
Knöchel – jedes Motiv wird für etwa fünf Sekunden begutachtet. | |
## Als Gewinn ein Pokal | |
Gerade werden nominierte Tattoos der Kategorie „Best of Small“ präsentiert. | |
Später folgen „Best of Lettering“ und „Best of Traditional“. Eine Regel | |
gilt für alle: Die Tattoos müssen zu mindestens 50 Prozent hier und heute | |
gestochen worden sein. Zum Gewinn gibt es einen Pokal. | |
Ein Mann namens Tobi steht jetzt vorne, lässt seine Hose herunter. Auf der | |
Leinwand erscheint sein Po in Großaufnahme. „Was ist das eigentlich für ein | |
Motiv?“, fragt eine junge Frau ihre Freundin, die das Spektakel vom | |
Stehtisch aus beobachtet. „Sieht aus wie der fliegende Patrick aus | |
Spongebob“, antwortet die andere. Und tatsächlich ist er das: der | |
[2][Seestern aus der Zeichentrickserie]. Nackt gleitet er an einer Fahne | |
durch den Wind. | |
Bei den TattooTagen wird gestochen, was das Zeug hält. Tattoo Artist | |
reiht sich an Tattoo Artist – fast 500 Künstler:innen insgesamt. | |
Nadeln summen ununterbrochen, dringen unter die Haut, Farben mischen sich | |
zu Motiven: Blumen, Tiere, Schriftzüge. Die Tattookünstler:innen kommen | |
aus Hamburg oder sind für die Messe von weiter weg angereist. | |
Durch die Hallen schlendern Personen mit bunten Tattoos im Gesicht oder | |
schwarzen Motiven am Hals. Bei anderen ist Körperkunst im Vorbeigehen nicht | |
zu sehen. „All Bodies are welcome“, steht auf dem Ticket. | |
Viele Besucher:innen sind gekommen, um sich hier ein neues Tattoo | |
stechen zu lassen. Manche wissen vorher, was sie wollen, andere lassen sich | |
spontan inspirieren. Treue Kund:innen sind für ihre Tätowierer:innen | |
vorbeigekommen. Wie Fans einer Band zum Konzert geht man hier zur Messe, um | |
die Lieblings-Artists zu unterstützen. | |
Der fliegende Patrick auf dem Po war eine spontane Entscheidung, erzählt | |
Tobi. Tattoos sind für ihn Flucht aus seinem sonst kontrollierten Alltag. | |
Es ist das erste Tattoo, das nicht auf seinem Arm platziert ist. Und weh | |
tat es kaum. | |
## Glory Hole Tattoo | |
Für die, die sich auch spontan nicht für ein Motiv entscheiden können, gibt | |
es noch eine andere Option: ein Glory Hole Tattoo. Unauffällig am Rand | |
steht hier ein Hocker vor einem kleinen runden Loch in der Wand. Darüber | |
klebt ein Zettel: „Gratis!“, steht drauf. Wer sich hier hinsetzt und seinen | |
Arm ins Loch steckt, weiß nicht, wer gegenüber zur Nadel greift, und mit | |
welchem Motiv er oder sie wieder herauskommt. | |
Eine ältere Frau war mutig genug für das Glory Hole. Sie ist gerade | |
aufgestanden und streckt ihren Freund:innen ihren Unterarm entgegen: ein | |
Totenkopf. „Ich bin so happy“, strahlt sie. In ihrer Hand hält sie eine | |
Visitenkarte, die ihr die unbekannte tätowierende Person am Ende durch das | |
Loch geschoben hat. Und falls sie das doch noch bereut: Ein Tattoo-Anwalt | |
ist auch in den Hallen – der ist nur gerade noch mit der Contest-Bewertung | |
beschäftigt. | |
4 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://hundertfarben.hamburg/startseite/hamburger-tattootage/ | |
[2] http://de.spongepedia.org/index.php/Patrick_Star | |
## AUTOREN | |
Franka Ferlemann | |
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