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# taz.de -- Tattostudios: Stechen und gestochen werden
> Wo geht man in Hamburg hin, wenn man das Motiv fürs Leben gefunden hat?
> Besuch in der "Ältesten Tätowierstube in Deutschland" - und bei den
> Tinten-Rebellen von Altona.
Bild: Eingeführte Adresse: die "Älteste Tätowierstube in Deutschland", Hambu…
HAMBURG taz | Wie traurig der Hamburger Berg auf St. Pauli tagsüber
aussieht! Am spektakulärsten ist noch ein hin und her kippendes
Kinderbespaßungsauto, das vor einer bei Tage nur mäßig gefüllten Bar steht,
jedoch nicht mal müde blinkt. Geht man um ihn herum, erkennt man, dass er
angekettet ist; nur eine Ahnung der nächtlichen Zustände.
Hier hat die [1][„Älteste Tätowierstube in Deutschland“] ihren Sitz. Seit
1951 kann man sich hier ein lebenslanges Andenken auf den Körper stechen
lassen. Von außen kann man die Stube nicht einsehen, der untere Teil der
Fenster ist mit Bildern beklebt. Personenschutz? Durchquert man den
Eingangsflur, hört man bereits monotones Surren, ähnlich dem eines
Zahnarztbohrers.
## Nadel im Anschlag
Beim Betreten des eigentlichen Ladens kann von Privatsphäre keine Rede mehr
sein. Rechts auf einer schwarzen, ledernen Liege liegt ein Mann. Er trägt
ein dunkles Tanktop, seine Arme sind bis auf eine Stelle am rechten Oberarm
komplett tätowiert. Über genau diese Stelle beugt sich nun Günter, der
Besitzer des Ladens, mit konzentrierter Miene und der Nadel im Anschlag,
die das Geräusch verursacht.
Keine Tür, nicht mal ein Vorhang trennen beide Männer vom
gegenüberliegenden Wartebereich, dessen Stühle sogar auf die Liege
ausgerichtet sind. Dort sitzen zwei junge, alternativ gekleidete Männer mit
einer Tätowiererin. Sie haben die Köpfe zusammengesteckt und führen
offensichtlich das Vorgespräch. Von dem Tätowiervorgang nehmen sie
überhaupt keine Notiz.
Insgesamt arbeiten neben Günter vier Mitarbeiter in der Stube. Sie sind
alle selbstständig, nehmen aber alle das gleiche Honorar: 100 Euro pro
Stunde. Da jedoch schon 50 allein für die Materialkosten anfallen, kostet
das unaufwendigste aller Tattoos, ein Punkt, schon 60 Euro. Günter hat
bereits die Konturen eines Frauengesichts auf den Arm des fröhlich
dreinblickenden Mannes gebrannt und umrahmt es nun mit Locken und
Haarsträhnen. „Ich wollte unbedingt etwas Weibliches an diese Stelle
haben“, erklärt der Mann auf der Liege strahlend. Immerhin habe er vier
Töchter.
Er heißt Sven und ist Stammkunde bei Günter, der ihm vor 25 Jahren sein
erstes Tattoo stach. Seitdem war er nur einmal in einem anderen Studio, was
sich jedoch als Fehler herausstellte. „Die haben überhaupt nicht gemacht,
was ich wollte. Günter hat zum Glück wieder alles hingebogen“, sagt Sven,
hebt seinen linken Arm und präsentiert ein Tattoo auf dessen Innenseite.
Dass dort vorher ein anderes Motiv eingebrannt war, erkennt wohl nur ein
geschultes Auge, das „Cover-Tattoo“ wirkt völlig authentisch.
Günter deutet auf einen roten Ordner im Regal. Darin befinden sich lauter
Bilder von Tattoo-Rettungsaktionen, kleinschrittig fotodokumentiert.
Manches wird einfach aufgemotzt oder ergänzt, andere Motive werden komplett
verändert. Aus Schriftzeichen werden Drachenornamente, aus Hasen Weinreben.
Besonders beeindruckend ist die Metamorphose eines Rolling-Stone-Mundes in
ein Eulengesicht. Nur weil die Zwischenschritte dokumentiert sind, kann man
auf dem Gefieder des Vogels die ursprünglichen Lippenkonturen erahnen.
Tattoos zu stechen, ist mehr als ein Handwerk, es ist die Kunst, für jedes
Problem eine individuelle Lösung zu finden. Die einzige Konstante: Das neue
Tattoo ist dunkler und immer größer als das alte. „Kleine Tattoos sind die
häufigsten Fehler, die in unserer Branche gemacht werden“, sagt Günter. Er
persönlich weigere sich, Tattoos unterhalb einer bestimmten Größe zu
stechen.
Was das Kleinste sei, das er zu stechen bereit sei? „Das hängt von der
Körperstelle und der Motivwahl ab.“ Ein briefmarkengroßes Zeichen auf dem
Knöchel? „Wem soll das nützen?“, will Günter wissen. „Wenn ich dir auf…
Straße entgegenkomme, dann sehe ich dir ins Gesicht, allenfalls noch aufs
Dekolleté. Damit mein Blick überhaupt auf deinen Fuß fällt, musst du
mindestens acht Meter entfernt sein. Erkennst du ein Briefmarkenmotiv von
so weit weg?“
Und wenn es nur dazu da ist, dass der Kunde es selbst sieht? „Dann muss der
halt woanders hin. Ich mach das nicht.“ Da lasse er auch nicht mit sich
reden. Was dem Kunden gefiele, sei erst mal zweitrangig.
## Der Onkel Herbert
Wenn Günter ein Motiv sticht, muss er voll und ganz dahinterstehen.
Hierüber ist er schon mit seinem Onkel und ehemaligen Kollegen Herbert
Hoffmann aneinandergeraten. Hoffmann hatte die Tätowierstube 22 Jahre lang
geleitet und einige Zeit mit Günter dort gearbeitet, bevor der sie 1984
komplett übernahm. Danach gab es immer wieder Erbstreitigkeiten zwischen
den beiden, sie endeten vor Gericht. „Im Beruf wollte er nur möglichst
viele Kunden in möglichst kurzer Zeit abfertigen“, sagt Günter über seinen
Onkel. Das gefiel ihm nicht.
Günter ist keiner, der Kompromisse schließt, das zeigt schon sein Blick:
Wenn er einem in die Augen sieht, blinzelt er nicht. „Was mir nicht
gefällt, setze ich nicht um“, sagt er, „verstehst du das?“ Doch wenn er
erst mal einem Motiv zugestimmt hat, kann man sich bestimmt auf ihn
verlassen. Günter beugt sich wieder über Sven. Er muss jetzt
weiterarbeiten.
Und es geht in die nächste Tätowierstube. Die ist erst ein Jahr alt,
befindet sich in Fußweite am Nobistor und nennt sich [2][„True Rebel
Tattoo“]. Da rechnet man doch mit einem richtigen Punkladen. Klein, dunkel
und irgendwie illegal. Auf den ersten Blick von außen sieht jedoch nur die
graffitiartige Schrift, in der der Name auf das Glas geschrieben steht,
rockerrotzig aus. Im Schaufenster stehen Leinwände mit Fotos der jüngst
gestochenen Tattoos.
Betritt man den Laden, hört es sich nicht nur so an wie beim Zahnarzt, es
sieht auch so aus. Alles ist weiß gestrichen und gut beleuchtet, die Lampen
sind dieselben wie beim Kieferorthopäden, eine Halbwand verbirgt die
Patienten, die gerade an der Reihe sind und es gibt sogar einen
Empfangstresen. Die Frau, die dahinter sitzt, hat jedoch Haare von einem
leuchtenden Blaugrün. Erst jetzt nimmt man Green Day im Hintergrund wahr.
Es ist recht leise.
## Zweittattoo mit 18
Das Tattoostudio heiße „True Rebel“, passend zu dem Klamottenladen die
Straße hoch, erklärt die Frau, die von ihren Kollegen als Tanna
angesprochen wird und den Laden führt. Aber dort seien fast nur Leute aus
der Punkszene: „Hier ist die Kundschaft viel breiter gefächert.“ Wie zum
Beweis stehen zwei Teenagermädchen vom Sofa im Eingangsbereich auf und
verschwinden hinter der Halbwand. Ein Blick dahinter zeigt, wie eine der
beiden es sich auf der Liege bequem macht. Die andere ist nur zum
Händchenhalten dabei. Mit 18 wolle sie aber noch ein zweites Tattoo haben,
erklärt sie und zeigt ihr erstes, einen zierlichen Schriftzug am
Handgelenk. Was würde Günter nur dazu sagen? Das ist eindeutig
Briefmarkengröße.
Auch mit der Bezahlung ist man hier weniger streng als am Hamburger Berg.
Es gibt zwar ebenfalls eine Pauschale, die hier bei 80 Euro liegt, jeder
der vier Tätowierer macht mit dem Kunden jedoch individuell den Preis ab.
„Wenn jetzt ein kleiner Student kommt, der unbedingt einen winzigen Stern
aufs Handgelenk haben möchte“, sagt Tanna, „machen wir es halt auch mal f�…
60 Euro.“
Für die Freundin des Mädchens ist es bereits das dritte Tattoo. Es soll ein
Herz werden mit „love“ als Schriftzug daneben. Der Tätowierer, Gilles,
desinfiziert und rasiert die gewünschte Stelle am Oberarm. Er wirkt zwar
wie Anfang zwanzig, aber dennoch sehr professionell. Mit dem Stechen habe
er mit vierzehn begonnen: „Wenn die große Schwester in der Szene aktiv ist,
rutscht man da irgendwie rein.“ Anfangs habe er an sich selbst und an
Freunden geübt, jetzt sei er langsam so gut, dass er damit anfinge, alles
auszubessern, was er in der Zeit verbockt habe.
Was war das Schrägste, was er je tätowiert hat? „Motiv oder Stelle?“ Na j…
wenn er so fragt … – Stelle. „Penis!“ Autsch! Motiv? „Der eine wollte…
Sternchen und der andere ein mit einem Pfeil durchbohrtes Herz. Für die
Freundin.“ Doppelautsch!
Hier scheint man zu einer Idee selten Nein zu sagen, oder? „Naziparolen
würden wir zum Beispiel niemals stechen“, sagt Tanna. „Genauso Tattoos, die
einfach viel zu klein sind.“
Für Fans winziger Motive wird es langsam echt eng.
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zwischen Mainstream und Museum lesen Sie in der Nord-Ausgabe der taz.am
Wochenende - heute am Kiosk oder gleich
[3][hier]//taz.de/e-kiosk/!114771/:.
21 Feb 2015
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## AUTOREN
Sarah Mahlberg
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