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# taz.de -- Verbrannte Nationalgalerie von Abchasien: Selbst die Asche ist ein …
> Vor einem Jahr brannte die Nationalgalerie Abchasiens ab. Im Hintergrund
> schwelt der Konflikt zwischen Russland und Georgien.
Bild: Verbrannt: Alexander Tschatschba-Scherwaschidses Porträt vom frühen Coc…
Verkohlte Bilderrahmen. Versengte Leinwände. Mehr als 4.000 Werke gingen in
den Flammen verloren, als die Nationalgalerie in Suchumi, der Hauptstadt
Abchasiens, am 21. Januar letzten Jahres von einem Feuer erfasst wurde. Nur
einige Pinselstriche sind noch auf dem Ölgemälde eines unbekannten
Künstlers zu erkennen, wie die Bilder lokaler Nachrichtenagenturen vom
Schauplatz des Feuers bezeugen.
Große Teile der Leinwand sind vom Ruß geschwärzt, die einmal eine typisch
abchasische Landschaft zeigte: Zypressen, die leichten Wellen des Schwarzen
Meeres, die Berge des Kaukasus bläulich im Hintergrund.
„Alles brannte“, sagte die Kulturministerin Dinara Smyr unmittelbar nach
der Katastrophe der abchasischen Nachrichtenagentur Apsnypress. „Es ist ein
unersetzlicher Verlust für die abchasische Kultur. Ich ersticke fast in
Tränen.“
Die maroden Elektroinstallationen des Museumsgebäudes seien der Grund für
den Brand gewesen, sagt der Direktor der Nationalgalerie, Suram Sakanija,
im taz-Gespräch. Abchasien ist regelmäßig von Stromausfällen betroffen. Die
Elektroanlage habe dem Aus- und Einschalten nicht standgehalten, ein
Kurzschluss habe die Flammen entzündet.
Aber: „Keiner der Mitarbeiter des Museums war für den Brand
verantwortlich“, betont er und verweist auf die Ergebnisse einer
Kommission, die im vergangenen Jahr die Ursache untersucht hat. Abchasiens
Präsident Aslan Bschania persönlich hatte sie einberufen.
## Tradition, Landschaft, Geschichte
Die Nationalgalerie beherbergte bis zu dem verheerenden Brand die Werke von
Künstlerinnen und Künstlern, die in diesem heute so konfliktreichen Teil
des Kaukasus von hoher Bedeutung sind. UdSSR-Regierungschef Nikita
Chruschtschow hatte 1964 veranlasst, das Museum in der Hauptstadt der
damals Autonomen Sowjetrepublik Abchasien zu gründen. [1][Es war die
Tauwetter-Periode, eine Zeit relativ großer künstlerischer Freiheit in der
Sowjetunion] nach Stalins Tod 1953. Das Museum sammelte vor allem
Kunstwerke und Artefakte, die für ein Selbstverständnis und eine Identität
dieser Bevölkerungsgruppe am Kaukasus stehen, ihre Tradition, Landschaft
und Geschichte wiedergeben.
Vor der Auflösung der UdSSR 1991 folgte die Nationalgalerie eher einem
offiziellen sowjetischen Kunstprogramm. In den Ausstellungen ging es um
abchasische Legenden, die Revolution von 1917, propagandistisch inszenierte
Heldentaten und Leiden im Zweiten Weltkrieg. In der Sammlung befanden sich
aber auch Werke der Avantgarde-Malerin Warwara Bubnowa (1886–1983), 64
davon sind vor einem Jahr verbrannt. Bubnowa arbeitete eng mit Alexander
Rodtschenko, [2][Kasimir Malewitsch] oder Wladimir Majakowski zusammen.
Auch mehr als 300 Gemälde des abchasischen Prinzen Alexander
Tschatschba-Scherwaschidse (1867–1968) wurden von den Flammen zerstört –
der Großteil seines künstlerischen Nachlasses. Der adelige, vom
Impressionismus inspirierte Maler und Theaterkünstler hatte in Kyjiw und
Paris studiert und war bis zur Oktoberrevolution einer der bekanntesten
Bühnenkünstler in Sankt Petersburg gewesen.
In den Flammen ist vor einem Jahr eine Kunstsammlung untergegangen, die
Abchasien kulturell verortet, international, vor allem aber für eine
Selbstvergewisserung der örtlichen Bevölkerung. Und das macht die
Nationalgalerie zu solch einem heiklen Thema. Denn in Abchasien herrschen
seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion heftige Konflikte um seine
politische Unabhängigkeit.
## Der Status ist umstritten
Die gebirgige Republik, die ungefähr halb so groß ist wie
Schleswig-Holstein und rund 245.000 Einwohner hat, ist international als
Teil Georgiens anerkannt. Ihr Status ist jedoch seit Langem umstritten,
[3][1992 brach ein Bürgerkrieg zwischen Abchasen und Georgiern aus], der
noch heute tief im Bewusstsein beider Gesellschaften verankert ist. Nach
einem Sieg gegen die Truppen aus Tbilissi wurde die georgische
Zivilbevölkerung vertrieben, Abchasien erklärte sich zu einem unabhängigen
Staat.
Es folgten Jahre des Ausschlusses von der internationalen Gemeinschaft,
Sanktionen und Krisen. Ein geeignetes Gebäude für die Nationalgalerie
konnte in dieser politischen Situation freilich nicht mehr gefunden werden,
allen Beteuerungen der Politiker zum Trotz.
Dann 2008, nach Russlands Krieg gegen Georgien, wurde Abchasien zu Putins
geopolitischem Spielball im Kaukasus. Das Regime im Kreml erkannte die
Unabhängigkeit Abchasiens an und baute gleichzeitig eine massive
Militärpräsenz in der Republik auf. Bis heute betrachten die Regierung in
Tbilissi sowie die EU und die USA die Tausenden russischen Soldaten als
Besatzungstruppe auf georgischem Territorium. Den Abchasen werden sie als
Friedenstruppen vermittelt – als eine Garantie gegen einen vermeintlichen
neuen georgischen Angriff.
Hinter der Einmischung des Kremls steckt eine altbekannte kolonialistische
Methode, bei der es darum geht, die Feindschaft zwischen Georgiern und
Abchasen zum eigenen Vorteil auszunutzen.
## Treuer Verbündeter Russlands
Heute ist Abchasien auf die finanzielle Unterstützung Russlands angewiesen.
Doch die Diktatur im Kreml stellt harte Bedingungen. Im November löste ein
neues Gesetz, das russischen Oligarchen ihre Vorhaben in der Republik
erleichtern sollte, eine schwere Regierungskrise aus, in deren Verlauf
Präsident Aslan Bschania zurücktreten musste. Und Ende 2023 nahm Russland
sich das Recht, in Otschamtschira einen großen Marinestützpunkt als
Entlastung für den Militärhafen in Sewastopol auf der Krim zu errichten.
Putin zieht Abchasien in den Angriffskrieg gegen die Ukraine hinein. Aus
sicherheitspolitischen und ökonomischen Gründen hat die abchasische
Regierung lange darauf Wert gelegt, sich als treuer Verbündeter Russlands
darzustellen.
Aber unter der Oberfläche brodelt die Unzufriedenheit mit Russlands
wachsendem Einfluss auf die abchasische Gesellschaft. Aufgrund der
internationalen Isolierung Abchasiens hat Putin jedoch freie Hand, die
ungleichen Beziehungen zu der kleinen Republik auszunutzen. Die EU und die
USA unterstützen traditionell Georgien im Konflikt um das Territorium.
Vor diesem Hintergrund erscheint es logisch, dass der Brand in der
Nationalgalerie als eine symbolische Schlacht in dem übergreifenden
Konflikt zwischen Europa und dem russischen Totalitarismus wahrgenommen
wird.
## Vernachlässigung kultureller Identität
So nutzte Georgiens prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili den
Verlust der vielen Kunstwerke, um ihre prorussischen Gegner zu kritisieren:
„Ich bedaure die unmittelbare Folge der Vernachlässigung der kulturellen
Identität sowohl durch die De-facto-Führung als auch durch die russischen
Besatzer.“ Ergänzt wurde sie durch die deutsche Grünen-Politikerin Viola
von Cramon: „Alles, was Russland in die Hände fällt, wird zu Asche, sei es
in Abchasien, im Donbass oder in anderen besetzten Gebieten.“
Seit den Parlamentswahlen in Georgien im [4][Oktober 2024 nimmt der
russische Einfluss aber auch dort deutlich zu]. Es bleibt offen, was das
für den Konflikt mit Abchasien und letztlich auch den Umgang mit dem Brand
in der Nationalgalerie bedeutet.
21 Jan 2025
## LINKS
[1] /Architektonisches-Tauwetter-in-Jerewan/!5661304
[2] /Buch-ueber-Kunst-und-Ideen-der-Moderne/!5852367
[3] /Krise-in-Abchasien/!6050547
[4] /Massenproteste-in-Georgien/!6051212
## AUTOREN
Jens Malling
## TAGS
Abchasien
Russland
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Großbrand
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Osteuropa – ein Gedankenaustausch
Literatur
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