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# taz.de -- Bundestagswahl am 23. Februar: Schluss nach 105 Jahren
> Mit der Wahl verlassen fünf prominente Ex-Landespolitiker den Bundestag.
> Hinter einem sechsten, Exregierungschef Müller, steht noch ein
> Fragezeichen.
Bild: Mehrere prominente Berliner Politiker werden nach der Wahl am 23. Februar…
Berlin taz | Sie werden fehlen. Dem einen inhaltlich, der anderen
menschlich, wieder anderen wegen ihrer besonderen Art – und manchen auch,
weil niemand mehr da ist, über den man sich so gut aufregen kann. Die Rede
ist von den Rausgehern: Mit der Wahl am 23. Februar werden so viele
bekannte Berliner Politiker den Bundestag verlassen wie mutmaßlich noch nie
– und durchweg welche, die zuvor im Abgeordnetenhaus oder im Senat saßen.
So geht etwa Renate Künast, die erste Frau, die jemals
Landwirtschaftsministerin wurde und die als erstes Grünen-Mitglied in
diesem Amt vor Bauern stand. Es verabschieden sich außerdem zwei, die die
PDS 2002 im Bundestag hielten: Nicht ausgeschlossen, dass es ohne die
damalige einsame Präsenz von Petra Pau und Gesine Lötzsch die Linkspartei
heute nicht geben würde.
Mit Monika Grütters von der CDU geht auch die Frau, die über acht Jahre als
Ministerin deutsche Kulturpolitik prägte. Ihr Parteifreund Thomas Heilmann
wiederum wird der Mann bleiben, der am Bundesverfassungsgericht zeitweise
das Heizungsgesetz stoppte, als es auf die Schnelle und die Rechte der
Parlamentarier verletzend durch den Bundestag sollte.
Und dann ist da noch Michael Müller, sieben Jahre Regierender Bürgermeister
von Berlin und erst seit Herbst 2021 im Bundestag. Er dürfe verärgert
darüber sein, dass er in dieser Aufzählung auftaucht. Denn er ist darin der
einzige, der nicht – zumindest offiziell – freiwillig raus geht, sondern am
23. Februar nochmal seinen Wahlkreis gewinnen will. Aber in
Charlottenburg-Wilmersdorf müsste [1][angesichts der Umfragelage] ein
kleines SPD-Wunder passieren, damit Müller den Wahlkreis erneut gewinnt.
## Die SPD ließ Müller fallen
Natürlich kann sich die Stimmung drei Wochen vor der Abstimmung am 23.
Februar noch ändern – umso mehr nach dem umstrittenen Fünfpunkteplan von
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Derzeit aber sieht es nicht gut aus für
Müller. Was auch daran liegt, dass seine Partei keinen Wert darauf legt,
ihn weiter im Bundestag zu sehen. Dazu hätte sie ihn im Dezember auf einen
sicheren Platz ihrer Landesliste wählen müssen – jene Liste, über die
Parteien Parlamentsmandate füllen, wenn ihnen mehr Sitze zustehen als sie
Wahlkreise gewonnen haben. [2][Das taten die SPD-Delegierten aber nicht].
„Gnadenlos abgestraft“, beschrieb die taz die Vorgänge bei jenem
Landesparteitag.
Zwar freiwillig, aber auch nicht frei von Bitternis ist der Abschied bei
den Linkspartei-Politikerinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch, seit 1998
beziehungsweise 2002 im Bundestag. Beide lassen sich innerhalb ihrer Partei
durchaus mit dem sonst schon mal inflationär benutzten Wort Ikonen
beschreiben. Niemand ist zudem länger ununterbrochen Vizepräsidentin des
Bundestags gewesen als Pau.
Diejenigen, deren politisches Gedächtnis in die Zeit von 2002 bis 2005
zurückreicht, könnten noch das Bild vor Augen haben, wie Pau und Lötzsch
wie zwei Besucherinnen in der letzten Reihe des Bundestags sitzen. Die PDS
war an der Fünfprozenthürde gescheitert, und um die Partei – wie 2021 –
trotzdem im Parlament zu halten, hätte es drei Direktmandate gebraucht,
nicht nur die beiden in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg.
„So weit hinten saß noch nie jemand“, schrieb der Spiegel. Damals passte
noch nicht mal die traurige Zuschreibung des „Katzentischs“: Als die beiden
in den Plenarsaal kamen, hatten sie als Fraktionslose nämlich gar keinen
Tisch und damit auch keine Schreibfläche wie die anderen Abgeordneten. „Es
geht nicht, dass wir auf den Knien schreiben müssen“, schimpfte Lötzsch.
## Abschied mit Kritik
Das könnte lange verwunden sein. Anderes lässt den Abschied bitterer
werden. Lötzsch begleitete ihre Rückzugsankündigung im September
vergangenen Jahres mit harscher Kritik an ihrer Parteiführung, der sie eine
falsche Strategie vorwarf. Pau wiederum gehörte beim Landesparteitag im
Oktober zu denen, die sich vergeblich dafür einsetzten, auch Antisemitismus
in den eigenen Reihen zu benennen und rechtsstaatlich dagegen vorzugehen.
Sie trat zwar deshalb nicht aus der Partei aus wie kurz darauf der frühere
Kultursenator Klaus Lederer, verließ aber mit anderen unter Protest den
Parteitagssaal.
Der Rückzug der früheren Kulturstaatsministerin Monika Grütters hingegen,
zwischenzeitlich auch einige Jahre CDU-Landesvorsitzende und vom heutigen
Regierungschef Kai Wegner gegen ihren Willen abgelöst, war eher von
innerparteilichen Niggeligkeiten begleitet. In ihrem Wahlkreis
Reinickendorf hatte ihr die örtliche CDU-Führung angeblich schon im Mai
2023 zu verstehen gegeben, dass man sie nicht erneut aufstellen werde.
Grütters selbst begründete ihren Rückzug Ende September in einem
Gastbeitrag in der FAZ im Kern damit, dass sie nach acht teils glanzvollen
Jahren als Regierungsmitglied den Kick vermisst: Ihre jetzige Aufgabe im
Wissenschafts- und Auswärtigen Ausschuss sei spannend, „aber mir fehlt die
aktive Mitwirkung in der Kulturpolitik“.
Im Vergleich zu ihren Kolleginnen ist der Abschied von Renate Künast aus
dem Parlament fast schon harmonisch – für Grünen-Verhältnisse jedenfalls,
wo Künast ohnehin schon wie eine Elder stateswoman wirkt. Was die mit jetzt
69 Jahren Älteste aus dem Kreis der prominenten Rausgeher schaffte: Nach
dem Ende eines Amts oder einer Niederlage stets politisch zu überleben –
sowohl nach dem Aus der rot-grünen Regierung 2005 als auch nach acht Jahren
als Fraktionschefin 2013. Künast blieb eine wichtige Stimme,
zwischenzeitlich auch als Chefin des Rechtsausschusses. Und als sie im
Herbst als nominell einfache Abgeordnete den ausgetretenen Grünen-Jugend
Vorstand „nicht realitätstauglich“ nannte, wurde das breit zitiert.
## Tiefpunkt bei der Abgeordnetenhauswahl 2011
Zwischenzeitlich aber erlebte Künast 2011 den Tiefpunkt ihrer Karriere: Da
schafften es die Berliner Grünen mit ihr als Spitzenkandidatin, von
Umfragewerten von rund 30 Prozent bis zur Abgeordnetenhauswahl fünf Monate
später auf 17,6 Prozent abzustürzen und in der Opposition zu bleiben. Ihrem
Landesverband schien danach die Spaltung zu drohen - [3][„Der große Graben
der Grünen]“ titelte die taz.
Die [4][letzte Bundestagssitzung als Abgeordnete] steht für die sechs
prominenten Berliner Rausgeher am 11. Februar an. Zwölf Tage vor der Wahl,
jedenfalls nach aktuellem Sitzungskalender. Zusammen 105 Jahre
Bundestagsmitgliedschaft gehen dann zu Ende. Für die Zeit danach hat
CDUlerin Grütters in ihrem FAZ-Abschiedstext den verstorbenen Schauspieler
und Schimanski-Darsteller Götz George zitiert: „Alles in einem Leben wird
irgendwann einmal abgehakt. Man muss es nur genossen haben.“
29 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.wahlrecht.de/umfragen/
[2] /Bundestagswahlkampf-der-SPD-Berlin/!6057845
[3] /Zank-auf-Berliner-Parteitag/!5107300
[4] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/sitzungskalender/bt2025-995294
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
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Petra Pau
Renate Künast
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