| # taz.de -- Spielfilm „Universal Language“ im Kino: Ein Traum in Beige | |
| > Regisseur Matthew Rankin führt in seinem Comedy-Drama-Film „Universal | |
| > Language“ in eine mysteriöse transkulturelle Zone irgendwo zwischen | |
| > Winnipeg und Teheran. | |
| Bild: Die Farbe Beige dominiert in „Universal Language“ | |
| Massoud (Pirouz Nemati) sitzt in einem leeren Klassenzimmer und zündet sich | |
| eine Zigarette an. Seine Schüler*innen hat der Lehrer mit dem dicken | |
| Schnurrbart nach Hause geschickt. Hat sie unfähig und dumm genannt und auf | |
| die Tafel geschrieben: „Wir sind alle verloren in der Welt.“ Der Satz wirkt | |
| wie ein Omen für das Kommende und setzt den Ton für Matthew Rankins | |
| Spielfilm „Universal Language“, in dem die Protagonist*innen ziellos | |
| herumzuirren scheinen. | |
| Nach der Schulszene finden die Schülerinnen Negin (Rojina Esmaeili) und | |
| Nazgol (Saba Vahedyousefi) im Eis einen Geldschein und versuchen, ihn zu | |
| holen. Matthew (Matthew Rankin), gespielt vom Regisseur selbst, kündigt | |
| seinen Job als Regierungsbeamter in Montreal, um seine Mutter in Winnipeg | |
| zu besuchen. | |
| Währenddessen führt Massoud, der auch als Reiseführer arbeitet, im beigen | |
| Anzug mit bunten Ohrschützern Touristen durch obskure Sehenswürdigkeiten | |
| der Stadt, etwa eine Bank, auf der vor 40 Jahren jemand einen Koffer | |
| vergessen hat, oder ein riesiges Parkhaus. | |
| Wer hier nach dem Plot sucht, hat verloren. Der Film lebt von Atmosphären, | |
| den kleinen, sich fast zufällig aneinanderreihenden Momenten und von seiner | |
| unbestimmten Orts- und Zeitbestimmung. Sind es die 1980er Jahre? Ist das | |
| wirklich Winnipeg, Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba? | |
| ## Zwischen Winnipeg und Teheran | |
| Kurioserweise sprechen die Menschen nicht in den beiden Landessprachen | |
| Französisch oder Englisch, sondern Persisch. Abgesehen von den vereisten | |
| Straßen und der nordamerikanischen Architektur sehen Märkte und Cafés aus | |
| wie iranische Teehäuser – eine mysteriöse Zone irgendwo zwischen Winnipeg | |
| und Teheran. Identitäten sind hier im Vorhinein transkulturell und | |
| Migration ist keine Ausnahme, sondern Norm einer globalisierten Welt. | |
| Die visuelle Inszenierung dieser Welt erinnert an Wes Andersons radikal | |
| symmetrische Verspieltheit und [1][Abbas Kiarostamis poetische | |
| Bildsprache.] Rankin bekennt sich offen als Fanboy des iranischen | |
| Filmemachers. Wie in Kiarostamis Film „Der Wind wird uns tragen“ (1999) | |
| sind auch in dieser Komödie nichtmenschliche Dinge wie die urbane | |
| Architektur Charaktere, die die Protagonisten auf nicht wirklich | |
| offensichtliche Weise beeinflusst. | |
| Während der Plot und die Beweggründe der Figuren vage sind, folgt ihr Leben | |
| einer klar definierten Ordnung. Sie zeigt sich in der comichaft | |
| stilisierten Welt: In der Apotheke, in der Matthew sich Schlaftabletten | |
| kauft, gibt es nur drei Medikamente. Fentanyl, Vitamin D und ebenjene | |
| Schlaftabletten. Die Verpackungen sind perfekt gestapelt und: beigefarben. | |
| Die Farbe ist so etwas wie ein Leitmotiv. So verlaufen sich die beiden | |
| Schülerinnen auf der Suche nach einem Eispickel für den Schein im „beigen | |
| Bezirk“. Der absurde Humor setzt sich fort, wenn Reiseführer Massoud eine | |
| Gruppe Touristen zu einer Autobahnauffahrt führt und sie bittet, einem dort | |
| Verstorbenen 30 Minuten lang in Stille zu gedenken. Oder die Kamera auf | |
| Wahlplakaten stehen bleibt, auf denen zwangslächelnde Politiker Slogans | |
| verkaufen wie: „Eine starke Wirtschaft begrenzt das Gefühl der | |
| Wertlosigkeit.“ | |
| ## Unter Humor versteckte Sozialkritik | |
| Oft wirkt es, als habe Rankin nur Häme übrig für das Land, aus dem er | |
| stammt. Kanada und besonders das in der südlichen Mitte des Landes | |
| angesiedelte Winnipeg werden zynisch dargestellt – und alles wirkt wie eine | |
| unter Humor versteckte Sozialkritik an der Entfremdung im eigenen Land. | |
| Doch dann gibt es immer wieder Wärme und Versöhnlichkeit. Zum Beispiel, | |
| wenn Matthew Dara (Dara Najmabadi) besucht, der mit seiner Familie | |
| inzwischen in seinem Elternhaus lebt und dem immer verwirrteren Matthew ein | |
| Obdach bietet. Ein Funken Menschlichkeit in einer von Alternativlosigkeit | |
| geprägten Welt. | |
| Auch der elegische Soundtrack stößt sich ironisch an der sterilen Geometrie | |
| der Kulissen. Er verleiht ihnen eine gewisse melancholische Würde. Wie ein | |
| Lana-Del-Rey-Song in einem Ikea-Showroom: irgendwie bescheuert, irgendwie | |
| bewegend. | |
| Rankin gelingt nicht trotz, sondern wegen des eigenwilligen Humors eine | |
| tiefgründige psychologische Analyse des Wunsches nach Zugehörigkeit. Fast | |
| alle Figuren wie Dara Persisch sprechen zu lassen, verschiebt die | |
| Perspektive – Migration ist keine Fußnote, sondern die Grundregel des | |
| Films. | |
| Zugehörigkeit ist keine Antwort, sie ist eine Zumutung: Was passiert, wenn | |
| niemand in der Sprache spricht, die erwartet wird? Ist Zugehörigkeit stets | |
| an die Anpassung an Erwartungen gebunden? Oder liegt darin eine Gefahr, die | |
| eigene Identität zu verlieren? Rankin spielt geschickt mit Vorurteilen über | |
| Migration und stellt Figuren wie Dara oder die beiden Schülerinnen ohne | |
| Klischees dar. In seiner Mehrdeutigkeit bleibt die Frage offen – das ist | |
| die größte Stärke von „Universal Language.“ Sie kann nie gelöst, nur | |
| ausgehalten werden. | |
| 28 Jan 2025 | |
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| [1] /Nachruf-auf-Abbas-Kiarostami/!5319388 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Rhensius | |
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| Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
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