| # taz.de -- Rückkehr nach Nordgaza: „Wir sind auf dem Heimweg“ | |
| > Nach fünfzehn Monaten Krieg dürfen aus Nordgaza Geflohene zurückkehren. | |
| > Zuerst müssen sie einen Checkpoint passieren – und dann weiter ins | |
| > Ungewisse. | |
| Bild: Wartet darauf, ihren Sohn in Gaza Stadt wiederzusehen: Ibtissam Nasrallah | |
| Gazastreifen/Berlin taz | Sechsmal, sagt Ibtissam Nasrallah, sei sie mit | |
| ihrer Familie in den vergangenen fünfzehn Monaten vertrieben worden. Doch | |
| an diesem Montag, neun Tage nach Inkrafttreten des Waffenstillstands- und | |
| Geisel-Abkommen zwischen Israel und der Hamas, [1][hat die Flucht endlich | |
| ein Ende]. „Wir sind auf dem Heimweg“, sagt sie. Sie steht im Stau Richtung | |
| Nordgaza, mit ihrem Sohn Ebrahim und den anderen Familienmitgliedern, dem | |
| Esel mit seinem zerschlissenen Zaumzeug und einem Karren voll | |
| Habseligkeiten, den er zieht. | |
| Dort im Norden, in ihrer Heimat Gaza-Stadt, warte einer ihrer Söhne auf die | |
| Rückkehr seiner Mutter, erzählt Nasrallah. Wann genau sie ihn wiedersehen | |
| wird, weiß Nasrallah nicht. Denn erst muss die Familie den | |
| Netzarim-Korridor passieren – und den darin gelegenen Checkpoint Salah | |
| ad-Din. An diesem Tag das Nadelöhr zwischen Nord- und Südgaza. | |
| Im Waffenstillstandsabkommen steht: Ab dem siebten Tag der Gültigkeit des | |
| Abkommens sollten die Binnengeflüchteten aus dem Süden in den Norden des | |
| Gazastreifens zurückkehren dürfen. Das war lange kaum möglich. Denn das | |
| israelische Militär etablierte im Verlauf des Krieges den | |
| Netzarim-Korridor, benannt nach einer 2005 aufgelösten israelischen | |
| Siedlung im Gazastreifen. | |
| ## Zwei Wege führen nach Nordgaza, an einem wird kontrolliert | |
| Die rund vier Kilometer breite Pufferzone unterteilte seit November 2023 | |
| Gaza in einen Nord- und einen Südteil. In seiner Mitte planierte Israel | |
| eine militärisch genutzte Straße, die vom Meer bis zum Grenzübergang 96 | |
| verläuft. Dieser Übergang wird vom Militär genutzt und liegt auf | |
| israelischer Seite nahe dem am 7. Oktober 2023 von palästinensischen | |
| Militanten überfallenen Kibbutz Be’eri. Da [2][das israelische Militär | |
| immer wieder zur Evakuierung aus Nordgaza aufforderte], konnte der | |
| Netzarim-Korridor von Nord nach Süd – zumeist nach Kontrolle durch | |
| israelische Truppen – oft passiert werden. In die andere Richtung hingegen | |
| kaum. | |
| Bis jetzt. Eigentlich hätte die Rückkehr der Menschen aus Süd- nach | |
| Nordgaza bereits am Samstag möglich sein sollen. Weil die Hamas entgegen | |
| der Abmachung [3][erst vier israelische Soldatinnen statt zwei noch | |
| gefangener Zivilistinnen freiließ] und die Liste der Geiseln sich | |
| verspätete, verzögerte sich auch die Öffnung des Korridors. Am Montag wurde | |
| bekannt, dass 8 der 33 Geiseln, die in der ersten Phase der Vereinbarung | |
| freikommen sollen, nicht mehr am Leben sind. | |
| Die Rückkehr nach Nordgaza ist nun über zwei Punkte möglich: über den | |
| Checkpoint al-Rasheed nahe der Küste, der nur für Fußgänger geöffnet ist. | |
| Die Rückkehrenden sollen dort laut Abkommen nicht kontrolliert werden. Ein | |
| Augenzeugenbericht bestätigt das. Am zweiten Übergang, dem | |
| Salah-ad-Din-Checkpoint, ist der Übertritt auch mit Fahrzeugen erlaubt – | |
| oder eben Eselskarren, wie in Ibtissam Nasrallahs Fall. Hier kontrollieren, | |
| wie im Abkommen vereinbart, private Sicherheitsunternehmen die | |
| Rückkehrenden. Laut dem US-Portal Axios sind die US-Unternehmen Safe Reach | |
| Solutions und UG Solutions beteiligt. | |
| Außerdem sind Sicherheitskräfte aus Ägypten involviert: Angehörige des | |
| Qatari Egyptian Council übernehmen nach Berichten von Augenzeugen den | |
| Kontakt: In beigen Cargohosen und schwarzen Jacken laufen sie durch die | |
| Menge an Wartenden, dirigieren sie in der Schlange. In Kohorten von vier, | |
| fünf Fahrzeugen müssen die Zurückkehrenden dann einen Sicherheitsscanner | |
| passieren. Ähnlich den Detektoren an Flughäfen – nur so groß, dass Autos | |
| darunter hindurchpassen; ein metallenes Rechteck, das wie ein Torbogen über | |
| der Straße steht. Uniformierte und vermummte Kräfte überwachen die | |
| Szenerie. | |
| ## Geröll und Trümmer am Straßenrand | |
| Der Prozess am Checkpoint dauert, die Schlange zieht sich kilometerlang | |
| hin. An dem roten Geländer, das die beiden Richtungen der Straße | |
| voneinander trennt, lehnen Menschen und warten. Am Straßenrand türmen sich | |
| Geröll und Trümmer, die Strecke entspricht teils eher einer Sandpiste als | |
| einer Straße. [4][Zwischen manchen Strommasten, die sie säumen, sind die | |
| Leitungen durchtrennt]. Immerhin scheint die warme Wintersonne. | |
| Die BBC schreibt: Es könnte Tage dauern, bis alle Wartenden den Checkpoint | |
| passiert haben. Und laut der Nachrichtenagentur AFP sollen am | |
| Montagnachmittag, seit der Öffnung der Übergänge am Morgen, bereits 200.000 | |
| Menschen zu Fuß nach Nordgaza zurückgekehrt sein. | |
| In welche Situation sie zurückkehren wird, weiß Ibtissam Nasrallah kaum. | |
| Nur was sie am Körper tragen und was der schmale Esel der Familie auf dem | |
| Karren zieht – Decken, Kleidung, Kanister –, ist ihnen sicher. Der Norden | |
| des Gazastreifens ist laut Medienberichten die Gegend, die am meisten | |
| zerstört ist. | |
| ## „Ohne Träume, ohne Hoffnung“ | |
| Dass sein Zuhause nicht mehr steht, weiß wiederum Anas Badr. Mit seiner | |
| Familie sitzt er in einem voll bepackten blauen Kleinwagen, auf seinem | |
| Schoß der kleine Sohn Muhammad. Der mampft einen Keks und sieht recht | |
| zufrieden aus. Auch für ihn geht es heim: Ins Camp Dschabalia, Nordgaza. | |
| Das wurde 1948 für vertriebene und geflohene Palästinenser aus dem heutigen | |
| Staatsgebiet Israels ausgewiesen und existiert – vor dem Krieg als Stadt | |
| mit etwa 120.000 Einwohnern – bis heute. Dann kam der Überfall der Hamas am | |
| 7. Oktober 2023, dann der Krieg. Beinahe vollkommen zerstört soll das Camp | |
| sein, berichten verschiedene Medien. | |
| Anas Badr sagt: „Ich kehre nach Dschabalia zurück, ohne Träume, ohne | |
| Hoffnung und vor dem Nichts stehend.“ Auf dem Dach des Wagens sind mit | |
| Seilen unter anderem zwei dünne Matratzen befestigt, ein Teppich, eine | |
| Plastikschüssel. Er sagt: „Erst stellen wir ein Zelt auf, und dann bauen | |
| wir unser Haus wieder neu“. Ibtissam Nasrallah erklärt: „Wir müssen über | |
| den Schmerz hinauswachsen. Nur so können wir uns ein neues Leben aufbauen“. | |
| Dann rückt die Familie in der Schlange vor. | |
| 27 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sami Ziara | |
| Lisa Schneider | |
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