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# taz.de -- Rückkehr in den Südlibanon: Ein Sofa im Trümmerfeld
> Nach dem Abzug des israelischen Militärs aus manchen Dörfern im
> Südlibanon kehren die Bewohner zurück.
Bild: Eines der vielen völlig zerstörten Häuser im Südlibanon
Naqoura/Al-Khiyam taz | Die israelische Armee hat ein Trümmerfeld
hinterlassen. Das südlibanesische Dorf Naqoura liegt in Sichtweite zur
israelischen Grenze. Von seinem Ortskern ist nicht mehr viel übrig. Es
herrscht Verwüstung so weit das Auge reicht. Bei manchen Gebäuden fehlt die
Fassade, andere sind völlig in sich zusammengefallen. Der Kontrast zum
ruhigen Mittelmeer, das hinter dem auf einer Anhöhe gelegenen Dorf
türkisfarben schimmert, ist groß. Umgeknickte Strommasten und entwurzelte
Bäume säumen die Straßen. Einzelne Fahrzeuge fahren langsam durch das Dorf,
die Insassen blicken fassungslos hinaus. Viele haben ihre Handys gezückt
und filmen. Um zu bleiben, ist keiner gekommen. Es ist wie eine Fahrt durch
ein Open-Air-Horror-Museum.
Vor etwa drei Wochen zog sich die israelische Armee aus dem Dorf zurück.
Dann kam die libanesische Armee und brauchte Wochen, um wenigstens die
größeren Straßen zu räumen. Und um sicherzustellen, dass sich dort keine
nicht explodierten Kampfmittel mehr befinden. Erst seit vergangenem
Wochenende dürfen auch Zivilisten das Dorf wieder betreten.
Nun kehren sie zurück – wenn auch nur auf Besuch, und um ein paar
verblieben Besitztümer aus den Ruinen zu holen. Aber das ist gefährlich.
Denn auch dort könnten nicht explodierte Geschosse und Raketen lauern. Es
wird lange dauern, bis hier wieder Leben herrscht.
Vor dem ebenfalls beschädigten Gebäude der Gemeindeverwaltung steht deren
Chef Abbas Awada und bespricht mit seinen Mitarbeitern die nächsten
Schritte. Er sagt: „Wir haben eine totale Zerstörung der Infrastruktur. 90
Prozent der Gebäude sind völlig zerstört, die anderen zehn Prozent sind
nicht bewohnbar.“ Das meiste sei nicht durch [1][Luftangriffe] zerstört
worden, erklärt er, sondern während der Präsenz der israelischen Armee in
dem Dorf. Es habe die Gebäude mit Sprengstoff und Bulldozern dem Erdboden
gleichgemacht. „Es wird Jahre dauern, das wieder aufzubauen.“
## Aus vorbeifahrenden Autos wehen Hisbollah-Fahnen
Die israelische Armee argumentiert, dass dies notwendig gewesen sei, um die
Infrastruktur der Hisbollah zu zerstören. Doch die ist gewissermaßen noch
immer in Naqoura präsent – in den Köpfen der Menschen. Viele betrachten die
Rückkehr in ihr Dorf als Teil des Widerstandes gegen Israel. In manche der
Ruinen flattern die gelben Hisbollah-Flaggen im Wind, der vom Meer ins
Landesinnere bläst. An anderen Gebäuden sind Plakate befestigt, die eine
fallende Bombe zeigen, mit der englischen Aufschrift „Made in the USA“.
Die Hisbollah nutzt das Open-Air-Horror-Museum auf ihre Weise und zeigt,
wer hier weiter den Ton angibt: Auch aus manchen der Autos, die durch den
Ort fahren, werden die gelben Fahnen geschwenkt. Hisbollah-Kämpfer sind
allerdings nirgends zu sehen. Stattdessen patrouillieren Jeeps der
libanesischen Armee die Ortschaft.
Ein halbes Dutzend Männer und Frauen sitzen vor ihrem schwer beschädigten
Familiensitz auf Plastikstühlen und rauchen Wasserpfeifen. Sie wollen sich
wohl selbst beweisen, dass sie sich nicht kleinkriegen lassen. Es sei zu
gefährlich ins Haus zu gehen, sagt eine von ihnen, deshalb sitze man
einfach davor. Etwas anderes könne man ja eh nicht tun. Bevor die Sonne
untergeht, werden sie [2][wieder zu dem Ort zurückkehren, an den sie
während des Krieges geflüchtet sind].
Die Situation in Naqoura zeigt, wie prekär die Lage im Südlibanon bleibt.
Seit Ende letzten November herrscht eigentlich ein Waffenstillstand
zwischen Israel und der Hisbollah. Am vergangenen Sonntag hätte [3][das im
Rahmen des 60-tägigen Waffenstillstands vereinbarte Ultimatum] – die
israelische Armee zieht sich aus dem Südlibanon vollständig zurück –
ablaufen sollen. Doch bisher hat Israels Militär nur gut ein Drittel der im
Krieg eroberten Gebiete wieder verlassen. Der Abzug aus Naqoura bleibt im
südlibanesichen Grenzgebiet bisher eine der Ausnahmen.
## Die Hisbollah ruft zur Rückkehr nach Süden auf
Jüngst hatten sich die libanesische Regierung und Israel unter
US-Vermittlung dann darauf geeinigt, das Rückzugsultimatum um weitere drei
Wochen zu verlängern. Auch damit die libanesische Armee weitere
Hisbollah-Stellungen im Süden des Landes unter ihre Kontrolle bringt –
[4][was ihr im Rahmen des Abkommens aufgetragen wurde]. Denn die
libanesische Armee soll dort bald – mit Ausnahme von UN-Truppen – die
einzige bewaffnete Kraft sein.
Die Hisbollah selbst wollte das ursprüngliche Ultimatum nicht ohne ein
Statement verstreichen lassen. Am Sonntag hatte sie die Menschen dazu
aufgerufen, in die Dörfer im Südlibanon zurückzukehren, die immer noch von
der israelischen Armee besetzt sind. So standen am Sonntag vor einigen
Dörfern Wagen des libanesischen Militärs, davor die rückkehrwilligen
Libanesinnen und Libanesen, dahinter die israelische Armee. Immer wieder
fallen Schüsse. Am Ende des Tages sollen in ganz Südlibanon 24 Menschen
getötet, 180 verletzt worden sein. Die Hisbollah hat ihre Macht und die
Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren, demonstriert. Die israelische Armee
hat wie erwartet reagiert.
## Schon 2006 wurden viele Häuser im Südlibanon zerstört
Die Orte, aus denen sich das israelische Militär bereits zurückgezogen hat,
ähneln einander: Auch im weiter im Landesinneren gelegenen Al-Khiyam ist
die Zerstörung allgegenwärtig. Abbas Dawi streift durch die Trümmer seines
einstigen Zuhauses, das dem Erdboden gleichgemacht wurde. Er erzählt: Ein
Onkel und drei weitere Verwandte seien hier gestorben. „Drei konnten tot
geborgen werden, der Vierte liegt immer noch unter den Trümmern.“ Er sei
nur gekommen, um noch Brauchbares zu finden, erzählt er, während er einen
beschädigten Wassertank auf den Dachgepäckträger seines Autos schnallt.
Es sei das zweite Mal, dass seine Familie dieses Haus vollkommen neu
aufbauen müsse. Das letzte Mal sei es im Krieg zwischen der Hisbollah und
Israel 2006 zerstört worden. „Das ursprüngliche Haus hatte zwei Stockwerke.
Das Haus, das wir dann nach dem Krieg 2006 erneut aufgebaut haben, hatte
schon drei Etagen. Jetzt werden wir es erneut mit vier Stockwerken
aufbauen“, kündigt er an und malt mit seiner Hand vier Linien durch die
Luft.
Abbas hat keine Hisbollah-Fahne in seiner Ruine aufgestellt. Viele Anhänger
der Hisbollah sprechen von einer nicht endenden „Standhaftigkeit gegenüber
dem zionistischen Feind“. Abbas schweigt. Sein Widerstand ist die Zahl der
Stockwerke seines Zuhauses: „Und wenn sie es noch einmal bombardieren,
werden wir ein neues Haus mit fünf Etagen bauen“, sagt er.
29 Jan 2025
## LINKS
[1] /Luftangriffe-auf-Libanons-Hauptstadt/!6039379
[2] /Eskalation-zwischen-Israel-und-Libanon/!6036612
[3] https://www.timesofisrael.com/full-text-the-israel-hezbollah-ceasefire-deal/
[4] /Kampfpause-zwischen-Israel-und-Hisbollah/!6048540
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Libanon
Hisbollah
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Krieg
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