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# taz.de -- Katastrophenschutz in Berlin: Schlecht gewappnet für den Ernstfall
> In Berlin sind von 37 Notanlaufstellen für den Katastrophenschutz gerade
> mal 12 betriebsbereit. Ein Bezirk ist immerhin Vorreiter in Sachen
> Vorsorge.
Bild: Warten auf die Hilfskräfte (die nicht kamen): Gescheiterte Katastrophens…
Berlin taz | Es war an einem Donnerstagnachmittag im Februar 2019, da fiel
durch einen Kabelschaden in Köpenick der Strom aus. Nicht nur kurz, wie es
ständig in Berlin vorkommt, sondern 31 Stunden – mit eindrücklichen Folgen
für 31.000 Haushalte.
Heizungen und Warmwasser funktionierten nicht mehr, der Handyempfang war
weg, Bahnen fuhren nicht, Betriebe blieben dicht und Straßen dunkel,
[1][Krankenhäuser schalteten die Notstromaggregate an]. Es sind solche und
schlimmere Katastrophenszenarien, auf die sich Berlin – wie alle Kommunen –
vorbereiten muss.
Denn was gestern ein Kabelschaden war, könnte morgen ein Cyberangriff auf
die kritische Infrastruktur sein, seit Jahren nehmen diese zu. Und nicht
nur hier steigt die Gefahr: In der Klimakrise nehmen Dürre, Hochwasser und
Hitze zu. Schon deshalb ist das Thema Katastrophenschutz nicht nur auf der
bundes-, sondern auch auf der landespolitischen Agenda längst nach oben
gerutscht.
Theoretisch ist Berlin gut gewappnet. In den Bezirken sind insgesamt 37
sogenannte Katastrophenschutz-Leuchttürme geplant. Hinter dem Namen
verbergen sich Anlaufstellen, oft in Bezirksrathäusern, die für solche
Fälle gewappnet sind. Hier gibt es Notstromaggregate, autarkes WLAN,
Informationen, wo Notbrunnen zu finden sind und Hilfsorganisationen wie das
Technische Hilfswerk oder die Feuerwehren erreicht werden können. 2019
diente dazu ein Lkw, der vor dem dunklen Rathaus in Köpenick stand.
## Berlintypische Behördenstreitereien
Das könnte auch zukünftig eine Lösung sein. Denn die Betonung liegt bei den
für den Schutz zentralen Leuchttürmen vor allem auf „geplant“.
Betriebsbereit sind von den 37 Leuchttürmen bislang nach Angaben der
[2][Senatsinnenverwaltung] allerdings nur zwölf, und auch das konzentriert
in einigen Bezirken. Der Grund: die üblichen Behördenstreitereien.
Es fehlten „einheitliche Regelungen zur Begrifflichkeit und Kennzeichnung“,
heißt es aus dem Bezirksamt von Charlottenburg-Wilmersdorf, wo bisher
keiner der beiden geplanten Leuchtturm-Standorte als „betriebsbereit“ gilt.
Gleiches gelte für ein „Organisationskonzept, das bezirksübergreifend
einheitliche Aufgaben, Dienstleistungen, Personalressourcen, Ausstattung
und Kommunikation“ sicherstellen soll. Es bleibt der Trost, dass die
Voraussetzungen „im Laufe dieses Jahres“ erfüllt sein sollen, was nicht
heißt, dass die Leuchttürme dann betriebsbereit sind.
Das wäre nicht das einzige Problem in der Hauptstadt mit ihren fast vier
Millionen Einwohnern im Falle einer Katastrophe. Wer durch die Stadt läuft,
sieht sie immer mal wieder: [3][große grüne oder blaue Schwengelpumpen],
mit denen Wasser hochgepumpt werden kann.
Rund 2.100 gibt es davon, in heißen Sommern werden sie gern genutzt, um
Stadtbäume zu wässern. Oder es spielen Kinder damit herum. Gedacht sind sie
aber vor allem für den Notfall, sollte das Wassernetz aus irgendwelchen
Gründen ausfallen, um die Bevölkerung zu versorgen.
Nur funktionieren über 400 dieser Brunnen nicht – und das seit Jahren.
Zudem dürften eher mehr kaputtgehen, als repariert werden. Zukünftig sollen
die Brunnen an die Berliner Wasserbetriebe übergeben werden. Die wären dann
zwar nicht für die Reparatur, aber immerhin für Wartung, Instandhaltung und
Erprobung zuständig. Die Verhandlungen zur Übergabe laufen – „seit länge…
Zeit“, wie das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf mitteilt.
## Im Bund ist es auch nicht besser
Die schlechte Vorbereitung auf Katastrophen ist keine Berliner
Besonderheit. Auch im Bund sieht es nicht gut aus. Zwar wurde nach der
Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 das Gekob eingerichtet, das
„Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz“.
Aber das Ressourcenregister, dass das Gekob über die im Land verteilten
Spezialressourcen – Fahrzeuge, Taucher, Hubschrauber – erstellen sollte,
stehe auch vier Jahre nach dem Ahrtal noch nicht, sagt Christine Wilcken,
Leiterin des Dezernats Brand- und Katastrophenschutz beim Deutschen
Städtetag.
Auch das Kritis-Dachgesetz, mit dem der Schutz kritischer Infrastruktur
organisiert werden soll, steckt in der Gesetzgebung fest. Das
Schutzraumkonzept, das der Bund erstellen will – wer wo in welchen Bunker
oder Tiefgarage kann – ist ebenfalls nicht fertig.
Nach Angaben des Bundes fehlen in vielen Orten noch Sirenen, die
Nina-Warn-App haben gerade mal zwölf Millionen Personen in Deutschland auf
ihren Smartphones installiert. Auch in Berlin sind bei Weitem nicht alle
Sirenen einsatzbereit – und rund 150 fehlen noch.
Nicht zuletzt haben viele Menschen noch nicht begriffen, dass
Selbstvorsorge – Trinkwasser, Taschenlampen, Lebensmittel und Powerbank –
essenziell sind. Es sei aber viel investiert und getan worden, listet das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auf Anfrage auf.
Damit gebe es „einen sehr soliden Vorbereitungsstand, der jedoch in den
kommenden Jahren noch ausgebaut werden muss“. Dann müssen sich nur auch die
Katastrophen entsprechend Zeit lassen.
## Scheitern als Chance?
Im Berliner Bezirk Lichtenberg scheiterte im November vergangenen Jahres
eine Katastrophenschutzübung. Geübt werden sollte das Verhalten in einem
Chemieunfallszenario mit Toten – doch die vielen eigens dafür engagierten
Statistinnen und Statisten warteten teils stundenlang auf die
Rettungskräfte. Die Übung wurde schließlich abgebrochen. Innensenatorin
Iris Spranger (SPD) sagte später, in einem echten Notfall wären die
Einsatzkräfte verfügbar gewesen.
Eines der größten Probleme beim Katastrophenschutz ist der Personalmangel.
Zwar sind bundesweit 1,7 Millionen Menschen in dafür relevanten
Organisationen wie Freiwilligen Feuerwehren, Sanitätsdiensten oder THW
ehrenamtlich aktiv.
Aber viele sind doppelt engagiert – sowohl in der Feuerwehr, als auch im
Sanitätsdienst. In großen Katastrophenlagen fehlen deswegen oft
qualifizierte Helfer. Die vielen Spontanhelfer, die es immer wieder gibt,
sind zwar wichtig, können aber zum Problem werden, weil sie Anleitung und
Betreuung brauchen.
In Lichtenberg – wo immerhin alle Katastrophen-Leuchttürme einsatzbereit
sind – hat man deswegen eine Idee entwickelt: Freiwillige können eine
Basisschulung durchlaufen und dann im Ernstfall die Profis entlasten. Der
misslungenen Übung im November zum Trotz: Lichtenberg ist in Sachen
Katastrophenschutz letztlich durchaus Vorreiter.
## Volle Kurse
Auch Felix Paul hat 2024 den Kurs „Zertifizierte ehrenamtliche
Unterstützungskraft im Bevölkerungsschutz“ (ZEUS) durchlaufen. „In dem
Crashkurs an zwei Wochenenden ging es zum Beispiel darum,
Notfalltreffpunkte aufzustellen: autarkes WLAN einrichten, Zelte aufbauen,
Heizung, Meldungen aufnehmen, zeigen, wo Notbrunnen sind oder auch die
direkte Basisversorgung mit Wasser. Wir haben auch alle einen
Erste-Hilfe-Kurs gemacht“, berichtet der 36-jährige Wirtschaftsjurist.
Paul sagt, er wolle nicht hilflos sein in einer Zeit, in der man mit allem
rechnen müsse. An seinem Kurs haben 50 Leute teilgenommen, darunter
Sozialarbeiter, Ärztinnen, IT-Spezialisten und Handwerkerinnen. Der Jüngste
war 19, die Älteste 76 Jahre alt. Der nächste Kurs im März ist schon voll,
weitere sind geplant. Voraussetzung für die Teilnahme: 18 Jahre alt sein
und ein sauberes Führungszeugnis.
ZEUS sei ein tolles Projekt, findet Paul: „Das ist ein gutes Gefühl, und es
passt, dass das Projekt überschaubar ist und keinen regelmäßigen Einsatz
braucht.“ Es wäre mit seinem Beruf sonst auch schwieriger zu vereinbaren.
Sie hätten auch gelernt, wie wichtig Selbstvorsorge ist. „Ich habe seitdem
selber einen Notvorrat an Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten zu Hause.“
Alarmiert wird Paul durch eine spezielle App, die Divera-App. „Da kann man
als Status angeben, ob man grundsätzlich verfügbar ist. Man kann auch
konkrete Einsätze ablehnen. Ich habe mich bisher erst einmal als nicht
verfügbar gemeldet, weil ich auf Reisen war. Man kann auch spezielle
Fähigkeiten angeben, wie Sprachkenntnisse oder Führerschein.“ Zu Hause hat
er bereits eine Tasche für den Einsatz, mit Erste-Hilfe-Material,
Powerbank, Leatherman und Taschenlampe.
## Modell für andere Regionen
Am Einsatzort, den die App ihm nennt, bekommt Paul eine graue, nummerierte
Weste, die ihn als ZEUS-Mitglied ausweist. In den kommenden Jahren soll es
immer mal wieder eine Auffrischung geben, und für die Teampflege gab es
sogar schon Ausflüge – zuletzt in die Berliner Bunker- und
Schutzbautenwelt.
Das Projekt könnte zum Modell für andere werden. Man habe Anfragen aus
Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Bremen, berichtet Lichtenbergs
Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU).
Notfalls können allerdings er und alle anderen Bürgermeister noch auf eine
sehr große Reserve zurückgreifen: Die Katastrophenschutzgesetze sehen vor,
dass jeder und jede über 18 Jahre verpflichtet werden kann, mit anzupacken,
und dafür gegebenenfalls auch Eigentum – ob Auto oder Haus – zur Verfügung
stellen muss.
17 Jan 2025
## LINKS
[1] /Blackout-in-Koepenick/!5572864
[2] https://www.berlin.de/katastrophenschutz/warnung-und-information/anlaufstel…
[3] /SPD-Mitglieder-zum-Koalitionsvertrag/!5928183
## AUTOREN
Maike Rademaker
## TAGS
Klima
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