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# taz.de -- Wirtschaftskrise in Laos: Endstation China
> Laos ist eines der ärmsten Länder Asiens. Extreme Staatsverschuldung und
> Inflation treiben viele junge Leute aus ihrer Heimat. Der wachsende
> Einfluss Chinas ist Fluch und Segen zugleich.
Bild: Seitdem der neue Schnellzug aus China in Boten hält, ist die Stadt zu ei…
Boten und Vientiane taz | Kaum ist die 16-jährige Laotin Noy in Boten an
der Grenze zu China angekommen, da beginnt in den kühlen Abendstunden ihr
erster Arbeitstag. Fünf chinesische Männer umringen das Mädchen. Noy, die
eigentlich anders heißt, trägt eine Zahnspange und lacht verlegen. „Ich
habe noch nie in diesem Job gearbeitet“, sagt sie, während ihr Zuhälter,
dessen Frau und einer der fünf Chinesen einen Preis aushandeln. „Etwas
nervös bin ich schon.“ Dann geht alles sehr schnell, und sie verschwindet
mit ihrem ersten Kunden – drei- oder viermal so alt wie sie – in der
Dunkelheit.
Sexarbeit ist in Laos die wohl lukrativste von vielen ungelernten Arbeiten,
mit der junge Menschen zum Überleben ihrer Familien beitragen. Das Land mit
gut 7 Millionen Einwohner:innen hat kaum Industrie, aber viel
Subsistenzlandwirtschaft – und ist eines der ärmsten Asiens. [1][Die UNO
listet Laos], das Teil der ehemaligen französischen Kolonie Indochina war,
unter den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt.
Seit der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Laos noch
einmal ärmer geworden. Die gestiegenen Preise für Treibstoff oder
Düngemitteln sowie der weltweite Anstieg der Zinsen stürzte die Wirtschaft
in einen Strudel aus Inflation und Verschuldung. Ein riesiger Strom junger
Menschen verlässt die Heimat, um in Thailand, Südkorea oder in chinesischen
Sonderwirtschaftszonen wie Boten Geld zu verdienen.
Zwar befindet sich Boten auf laotischem Boden, doch gelten hier andere
Regeln. An der Prostitution teils Minderjähriger verdient die laotische
Polizei mit – und bessert sich ihr mageres Gehalt auf. Viel präsenter als
laotische Polizisten sind Männer in weißer Uniform mit der Aufschrift
„Police“, die sich als chinesisches Sicherheitspersonal entpuppen.
Überhaupt könnte man meinen, in China zu sein. Überall prangen chinesische
Schriftzeichen: auf Speisekarten, Produkten im Laden, selbst auf
Gullydeckeln. Die Preise sind in Yuan angegeben und überall wird Chinesisch
gesprochen. Selbst die Uhren vieler Menschen ticken nach chinesischer Zeit,
für sie ist es eine Stunde später als in Laos.
Abends bevölkern Sexarbeiterinnen aus Laos und Freier aus China die
Straßen. Überall sind Bordelle, davor sitzen junge Mädchen. Ihr Gelächter
und das Johlen betrunkener Chinesen vermischt sich mit lauter Musik. Hinter
vorgehaltener Hand kursieren Geschichten über Geschlechtskrankheiten und
Drogen. In dem ehemaligen Marktareal, wo Noy seit heute arbeitet, kommt es
manchmal zu Schlägereien.
Als die junge Frau mit dem ersten Kunden verschwunden ist, greift ihr
Zuhälter – nennen wir ihn Anousak, da er anonym bleiben will, – nach
Holzresten, um in einer Metalltonne ein Feuer gegen die Nachtkühle zu
machen. Die Stadt liegt zwar in den Tropen, aber auf 1.029 Metern Höhe.
Anousak hat das Holz in den umgebenden Gassen gesammelt, wo die Reste von
Botens erster Blüte verrotten. 2002 schloss der laotische Staat einen Pakt
mit Peking und es entstand eine Casino-Stadt, die schnell außer Kontrolle
geriet und von China stillgelegt wurde. Seit 2015 bekannt wurde, dass Boten
eine Station der neuen China-Laos-Railway werden würde, erschallt hier
tagsüber wieder Baulärm.
Der zwischen China und Laos verkehrende Schnellzug ist Teil der Neuen
Seidenstraße, einer Vielzahl globaler Meginfrastrukturprojekte, die den
chinesischen Einflussbereich ausdehnen. Die China-Laos-Railway ist der
erste Abschnitt einer Trasse, die komplett auf chinesischer Technologie
basiert und eines Tages vom südchinesischen Kunming bis ins über 2.500
Kilometer südlich gelegene Singapur führen soll – dessen Häfen eine
wichtige Drehscheibe für den gigantischen Warenstrom aus und nach China
sind.
Die durch den Zug wiederbelebte Sonderwirtschaftszone Boten ist das größte
Investitionsprojekt in Laos. Noch stehen hier höchstens ein paar Dutzend
Hochhäuser, aber bis 2035 wollen chinesische Investor:innen eine Stadt
mit mindestens 300.000 Einwohner:innen gezaubert haben. Die
Bessergestellten – meist Chines:innen – leben zentral, die meist
laotischen Arbeiter:innen am Rand. Auf der Suche nach einem Ausweg aus
der Misere wollen auch letztere wenigstens ein bisschen vom Wohlstand
Chinas abhaben.
Am Nachmittag hat Anousak sich auf sein Moped gesetzt, um Noy vom Bahnhof
abzuholen. Wie viele Mädchen habe sie seinen Kontakt von einer Freundin
bekommen, die schon hier arbeitet. „Lieber würde ich die erste Apotheke von
Boten eröffnen“, sagt er, „dann hätten die Mädchen eine bessere Arbeit.�…
Oder eine Klinik für plastische Chirurgie, fügt er hinzu. Dann müssten die
Mädchen für Schönheitsoperationen nicht mehr in die Provinz Bokeo fahren,
wo es eine noch berüchtigtere chinesische Sonderwirtschaftszone gibt, das
Golden Triangle.
Der Zuhälter Anousak wirkt wie seine eigene Antithese: schmächtige Figur,
sanfte Art, zuweilen ein schlechtes Gewissen. „Die Inflation hat mich in
dieses Gewerbe gedrängt“, beteuert er. Vor zwei Monaten ist er mit seiner
Frau und seinem anderthalbjährigen Sohn aus der Provinz Luang Prabang nach
Boten gezogen. Mit ihnen und 17 Mädchen lebt er nun in einem zweistöckigen
Verschlag, der jeden Abend zum Bordell wird. Zuvor hat Anousak einen
Elektronikladen betrieben und Konzerte organisiert. „Es hat kaum für mich
und meine Familie gereicht“, sagt er. Früher habe er von 100.000 Kip (etwa
vier Euro) am Tag gut leben können, doch in letzter Zeit seien die Preise
derart gestiegen, dass das nun unmöglich ist. „Alle Menschen in Laos haben
gerade solche Sorgen“, sagt er.
## Mieten und Pachten und kulturelle Einflüsse
Nun ist dieses kleine Land zwischen China, Thailand, Kambodscha und Vietnam
wahrlich leidgeprüft. Abhängigkeiten und Krisen gehören schon lange zum
Alltag einer der letzten nominellen Volksrepubliken. Nach dem Ende des
Vietnamkriegs – in Laos „Amerikanischer Krieg“ genannt – übernahmen die
Kommunist:innen ein in jeder Hinsicht niedergebombtes Land, wollten
einen Sozialismus sowjetischer Prägung aufbauen – und übernahmen sich
damit. Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde inmitten von
Flutkatastrophen und außenpolitischen Spannungen,nach gerade mal einem Jahr
wieder gestoppt. Mitte der 1980er folgte Laos dem „großen Bruder“ Vietnam
in marktwirtschaftliche Reformen.
Seither setzt die revolutionäre Volkspartei auf ausländische Investitionen
in die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Form von Strom aus Wasserkraft,
Plantagenwirtschaft oder Bergbau. Das geht einher mit Umsiedlung und
Landverlust der lokalen Bevölkerung sowie mit ökologischem Raubbau. Laos
ist abhängig von externer Hilfe, Investitionen und Importen. Die
staatlichen Investitionen in Bildung und Gesundheit gehören zu den
geringsten weltweit, während Korruption den Export billiger Rohstoffe
befördert. Ein laotisches Sprichwort bringt es trocken auf den Punkt:
„Reiche gehen nicht ins Gefängnis, Arme gehen nicht ins Krankenhaus.“
Während der Coronapandemie wurde aus einer alltäglichen Krise eine
außergewöhnliche. Wichtige Waren- und Menschenströme kamen abrupt zum
Erliegen – damit blieben die wichtigen Importe und Devisen aus. Eine
Abwertung des laotischen Kip gegenüber dem US-Dollar, dem thailändischen
Baht und dem chinesischen Yuan begann und verschlimmerte sich mit der durch
den Ukraine-Krieg ausgelösten weltweiten Krise, bis der Kip im Juni 2022
zusammenbrach.
Die Inflationsrate sprang auf fast 27 Prozent und kletterte bis Februar
2023 auf über 41 Prozent. Verbraucherpreise verdoppelten sich, vor den
Tankstellen bildeten sich lange Schlangen und Lebensmittel wurden
unerschwinglich. Derzeit bewegt sich die Inflationsrate bei immer noch sehr
hohen 22 Prozent. Laut einer vom Wirtschaftsgeografen Keith Barney und
Kolleg:innen für den australischen Thinktank Lowy Institute verfassten
und in Kürze erscheinenden Studie sind Hunderttausende Laot:innen dadurch
in die Arbeitsmigration gedrängt und in Ernährungsunsicherheit geworfen
worden. In einer Umfrage der Weltbank von Anfang 2024 geben [2][über 60
Prozent der ärmsten Haushalte] an, aufgrund der Inflation weniger zu essen.
Und das in einem Land, in dem Unterernährung sowieso schon ein großes
Problem ist.
Zur Inflation und den wachsenden Schulden der Privathaushalte gesellte sich
ein starker Anstieg der Staatsverschuldung. Die Schuldenlast verdoppelte
sich im Vergleich zu 2010 und erreichte zwischenzeitlich über 130 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. Derzeit beträgt sie 108 Prozent. Führende
Ratingagenturen setzten die laotische Volksrepublik auf die unterste Stufe:
akute Gefahr eines Staatsbankrotts. Das erschwerte zusätzlich den Zugang zu
Devisen, die wiederum für den Schuldendienst notwendig wären. Chinas Rolle
in diesem Teufelskreis ist Segen und Fluch zugleich. Seit über zehn Jahren
ist es der größte Gläubiger von Laos, das inzwischen über die Hälfte seiner
Schulden bei dem nördlichen Nachbarn hat. Mit dem Geld aus China werden
Großprojekte wie der Schnellzug oder [3][Staudämme] gebaut.
Einerseits bedeutet das eine Abhängigkeit, die international viel
kritisiert wird. China ist im Globalen Süden der weitaus größte
Kreditgeber. Neben Sri Lanka gilt Laos als Paradebeispiel dafür, wie die
Verschuldung gegenüber China die eigene Staatssouveränität gefährden kann �…
zumal die Einnahmen aus den Investitionsprojekten vor allem den Eliten
zugutekommen dürften. In der laotischen Bevölkerung gibt es seit Jahren
Unmut angesichts der zahlreichen geschäftstüchtigen Chines:innen im
ganzen Land – und ihres zunehmenden auch kulturellen Einflusses. Laut einer
Umfrage des ISEAS-Instituts in Singapur zeigten sich 2024 77,4 Prozent der
befragten Laot:innen besorgt über den wachsenden Einfluss Chinas in der
Region.
In Boten, das gefühlt schon weitgehend zu China gehört, machen sich viele
Laot:innen nichts daraus. Manche fluchen zwar, dass sie Miete und Pacht
an chinesische Geschäftsleute abdrücken müssen. Menschen wie Noy oder
Anousak hingegen scheinen die Spielregeln des chinesischen Kapitals
akzeptiert zu haben. Pragmatisch versuchen sie, die Vorteile zu sehen. Zum
Beispiel, dass einige Freier in Yuan zahlen – eine deutlich stabilere
Währung als der Kip. „Deswegen lohnt sich das Geschäft hier“, sagt Anousa…
Wie die meisten Laot:innen in Boten nutzen auch Anousak und die in seinem
Bordell arbeitenden Mädchen regelmäßig den chinesischen Zug, etwa um ihre
Familien zu besuchen. Bis Ende 2022 dauerte die Reise von Boten in die
Hauptstadt Vientiane noch rund 24 Stunden. Man musste in Bussen unzählige
Schlaglöcher und Kurven durch unwegsames Bergland über sich ergehen lassen.
Der Zug hingegen schießt wie ein speerförmiges Raumschiff mit 160 km/h
durch etliche Tunnel und über 167 Brücken. Die Fahrt dauert nur noch drei
Stunden.
Die China-Laos-Railway ist der Inbegriff von Chinas Fluch und Segen.
Einerseits kurbelt der Zug die Wirtschaft an, indem er zum Beispiel für
einen Aufschwung der Plantagenwirtschaft sorgt – vor allem Durian und
Bananen werden für den chinesischen Markt angebaut. Andererseits geschieht
das unter Einsatz von Pestiziden, unterirdischen Arbeitsbedingungen und der
Rodung der wenigen noch verbleibenden intakten Wälder. Wie ein jüngster
Bericht der Plattform Mekong Eye bemerkt, verlor Laos so allein im Jahr
2023 mehr als 136.500 Hektar Urwald, eine der höchsten Entwaldungsraten
weltweit.
Das zeigt sich auf der Fahrt von Boten in die laotische Hauptstadt: Während
man an beeindruckenden Karstlandschaften, tropischen Wäldern und Dörfern
mit rot-goldenen buddhistischen Tempeln vorbeirauscht, tauchen immer wieder
Kautschukplantagen, kahl geschorene Hänge und nackte Bergkuppen auf, wo
einst Tiger durch dichte Vegetation streiften.
In den komfortablen Zügen sitzen oft ebenso viele Menschen aus China wie
Laot:innen. Im Bahnhof der alten Königsstadt Luang Prabang steigen dann
allerhand westliche Tourist:innen zu. Der nächste Halt ist Vang Vieng,
wo im November 2024 sechs Tourist:innen [4][an gepanschtem Alkohol
starben]. Dieser Vorfall dürfte jedoch wenig daran ändern, dass der Zug den
Tourismus wieder kräftig ankurbelt, einen der wichtigsten Devisenbringer.
Gegen Ende der Fahrt wird das Gelände flacher; an Reisfeldern, Gemüsegärten
und weidenden Wasserbüffeln vorbei erreicht man die vorerst letzte Station
Vientiane.
Auch hier prägen chinesische Bauprojekte immer stärker das Stadtbild.
Außerhalb des Stadtzentrums unweit des Bahnhofs, einem der größten Gebäude
des Landes, entsteht eine weitere Sonderwirtschaftszone, That Luang Lake.
Sie ist ebenfalls Teil der Neuen Seidenstraße und im Volksmund als die
„chinesische Stadt“ bekannt. Aufsehen erregte sie, weil sie in den
ökologisch wichtigen Mekong-Feuchtgebieten östlich der ehemaligen
Stadtmauer hochgezogen wird. Auch sonst platzt die einst beschauliche Stadt
aus allen Nähten.
In einem hippen Restaurant im touristischen Herzen Vientianes, wo der
Mekong Laos und Thailand trennt, erzählen befreundete
Sozialwissenschaftler:innen der Nationalen Universität beim
Abendessen mehr von der Situation im Land. „Die jungen Leute verlassen
unser Bildungssystem gerade auf allen Stufen, von der Grundschule bis zur
Universität“, sagt Kan. Ihr Kollege Sypha fügt hinzu: „Die Krise ist
beispiellos.“
## Viele gehen nach Thailand und Südkorea
Unter dem Druck steigender Preise greifen viele Menschen verstärkt auf die
krisenbewährten Methoden der Subsistenzwirtschaft zurück, Reisanbau in
Kombination mit Jagen und Sammeln, aber auch Arbeitsmigration. Letzteres
umso mehr, je mehr die Menschen den Zugang zum Land an Investitionsprojekte
verlieren. An allem, was Geld kostet, wird zwangsläufig gespart – auf
privater wie staatlicher Ebene. Zahlen des Bildungsministeriums belegen
einen signifikanten Rückgang von Schüler:innen und Student:innen, wie
die Laotian Times im Juni berichtete. 2023 entschieden sich lediglich
10.000 von 49.000 aller Absolventinnen und Absolventen der weiterführenden
Schule für ein Studium. In Deutschland sind es je nach Bundesland 60 bis 80
Prozent.
Und nicht nur Studierendenzahlen brechen ein: „Meine Abteilung hat viele
Angestellte verloren“, sagt Sypha, während er Bier nachschenkt und sich
darüber verärgert zeigt, dass der von Vietnames:innen geführte Laden
keine laotischen Gerichte anbietet. „Sie sind irgendwann einfach nicht mehr
zur Arbeit erschienen.“
Viele von ihnen dürfte es nach Thailand oder Südkorea gezogen haben, wo die
Löhne in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder in der Fabrik um ein
Vielfaches höher liegen. So ist die Zahl der Arbeitsmigrant:innen von
50.000 im Jahr 2022 auf über 415.000 im Juni 2024 gestiegen, die meisten
sind junge Menschen. Mit der Abwanderung aus dem heimischen Bildungssystem
und der Einwanderung in ungelernte, prekäre Arbeitsverhältnisse im Ausland
wird laotische Arbeitskraft auf lange Sicht entwertet und dem Aufbau einer
heimischen Wirtschaft entzogen. „Ich könnte von meinem Gehalt an der Uni
allein auch nicht leben“, bemerkt Sypha. „Ohne die zusätzlichen
Beratungsaufträge für internationale Organisationen wüsste auch ich nicht
weiter.“
Der Internationale Währungsfonds verspricht bis Ende dieses Jahrzehnts
keine Besserung, weder in Sachen Inflation noch Schulden. Die Studie des
Lowy-Instituts warnt vor einer ganzen Dekade sozialer und ökonomischer
Misere, sollte sich China – anders als einst Russland – nicht zu einem
Schuldenerlass durchringen können. Und danach sieht es derzeit nicht aus.
## Chinesische Sprache erlebt Boom
Doch es gibt auch Hoffnung. Und die heißt ebenfalls: China. Während
landesweit die Studierendenzahlen einbrechen, erlebt die chinesische
Sprache einen regelrechten Boom. Unter den verbliebenen Studierenden ist
Chinesisch seit 2023 das am meisten nachgefragte Fach. Ein klares Zeichen
für die Hoffnungen der jungen Generation, die mit China verknüpft sind.
So ist auch Amphay ins quasi-chinesische Boten gekommen, um dem Ort eine
bessere Zukunft abzuringen. Sie ist ebenfalls 16, hat die Schule
abgebrochen – sich aber gegen Sexarbeit entschieden. „Manchen Familien ist
das Geld wichtiger“, sagt sie, „aber meine Eltern und ich wollen das
nicht.“ Allerdings wollte Amphay auch nicht weiter auf der
Kautschukplantage ihrer Familie schuften; sie musste jede Nacht um eins
aufstehen, um die Bäume anzuritzen und den austretenden weißen Saft zu
ernten.
Ihr fiel es schwer, ihre Heimat zu verlassen, doch immerhin war es nicht
weit nach Boten. Sie lebt seit gut einem Monat hier und arbeitet als
Putzkraft in einem chinesischen Reisebüro. Dort soll sie zwei Millionen Kip
monatlich verdienen, kaum 90 Euro. Das ist ein Zehntel dessen, was eine
befreundete Sexarbeiterin oder ein Arbeitsmigrant in Südkorea verdient –
aber nicht schlecht für eine Ungelernte, zumal Amphay ihre Unterkunft nicht
bezahlen muss.
Allerdings ist sie noch immer nicht entlohnt worden, nur 300.000 Kip (etwas
mehr als 12 Euro) gaben ihre Chefs ihr bisher. Davon zu leben, war nur
möglich, weil sie in ihrem Zimmer Reis kocht, den sie von zu Hause
mitgebracht hat. Wird sie das Geld noch bekommen? Sie hat sich bisher nicht
getraut nachzufragen. Viele der jungen Männer, die auf den Baustellen
arbeiten, stellen sich die gleiche Frage. Manche von ihnen mischen seit
Monaten Beton, schleppen Sand oder hieven Metallteile in die Höhe, haben
aber noch kein Geld gesehen.
Immerhin hat Amphay viele längere Pausen, und die nutzt sie. Sie sitzt dann
vor dem Reisebüro an einem Tisch auf dem überdimensionierten Gehweg im
Zentrum von Boten und hält einen dicken gelben elektronischen Plastikstift
in Tigerform in der Hand. Wenn sie seine Spitze über die Satzanfänge in
einem Heft führt, das aufgeschlagen vor ihr liegt, spricht der Tiger. Er
liest die Sätze vor – auf Laotisch und Chinesisch. So bringt sie sich
selbst die Sprache bei, die ihr die Türen zu einer besseren Zukunft öffnen
soll.
24 Jan 2025
## LINKS
[1] https://unhabitat.org/sites/default/files/2023/06/3._lao_pdr._country_repor…
[2] https://thedocs.worldbank.org/en/doc/0540059f3dbe2a7bac78b780c428eba4-00700…
[3] /Staudamm-in-Laos/!5947389
[4] https://www.theguardian.com/world/2024/nov/29/laos-backpacker-deaths-vang-v…
## AUTOREN
Andrew Müller
Michael Kleinod-Freudenberg
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