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# taz.de -- Israels Kampf im Gazastreifen: Völkermord, im Ernst
> In der „Süddeutschen Zeitung“ empört sich die Soziologin Eva Illouz üb…
> den Genozidvorwurf gegen Israel. Ihre Argumente sind nicht überzeugend.
Bild: Zerstörungen in Rafah, Gaza, 20. Januar
Zerstörte Landstriche, Bombenangriffe auf Flüchtlingszelte, Zehntausende
tote Zivilisten. Der Krieg, den Israel in Gaza geführt hat und der trotz
Waffenstillstandsabkommen wieder ausbrechen kann, hat in dem Küstenstreifen
eine lebensfeindliche Trümmerlandschaft hinterlassen. Genozidforscher und
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werfen Israel
deshalb vor, einen Völkermord zu begehen.
Der Vorwurf wird kontrovers diskutiert, was ja ganz richtig ist, solange
sich die Debatte auf einem gewissen Niveau bewegt. Die Süddeutsche Zeitung
jedoch veröffentlichte kürzlich einen Text, der vor Halbwahrheiten und
merkwürdigen Argumenten strotzt.
„Völkermord? Im Ernst?“, ist der [1][Text der französisch-israelischen
Soziologin Eva Illouz] übertitelt. Zu Beginn kritisiert Illouz Südafrika
dafür, dass es Israel vor dem Internationalen Gerichtshof mit einer Klage
des Völkermordes beschuldigt. „Warum … hat Südafrika nie Beschwerde
eingelegt gegen den Völkermord an den Kongolesen, den Sudanesen in Darfur,
den Rohingya oder den Syrern?“, fragt Illouz. Diesen Einwand entkräftet sie
im Anschluss selbst als „Whataboutismus“. Doch es gebe ja weitere, „noch
verstörendere Fakten“. „Verstörend“ nennt Illouz hier den Vorwurf des
Völkermordes, nicht die israelische Kriegsführung.
Wenn Illouz von den Rohingya spricht, meint sie die muslimische Minderheit
im Norden Myanmars, die ab Herbst 2016 von der Armee Myanmars massakriert
wurde. Hunderttausende Rohingya flüchteten in das angrenzende Bangladesch.
Das Schicksal der Rohingya spielt Illouz nun gegen jenes der Palästinenser
aus. „In diesen (und anderen) Fällen war die Zahl der Todesopfer erheblich
größer als in Gaza“, schreibt sie.
Das ist ein merkwürdiger Einwand – aus drei Gründen. Erstens kann Südafrika
im Falle der Rohingya keine Genozidklage einreichen, weil ein Verfahren auf
Antrag Gambias seit 2019 bereits läuft. Zweitens sprechen [2][die Vereinten
Nationen] und die [3][Asean Parlamentarians for Human Rights] von 25.000
bis 43.000 getöteten Rohingya.
Die höhere Ziffer entspricht etwa der Zahl der bestätigten getöteten
Palästinenser. Obwohl sich darunter auch Kämpfer befinden, dürfte die Zahl
der zivilen Opfer und der Toten aufgrund von Hunger und Seuchen viel höher
liegen, [4][wie Wissenschaftler im Medizinjournal Lancet dargelegt haben].
Drittens ist das Aufrechnen von Opferzahlen taktlos – und geht am Thema
vorbei. Wie viele Zivilisten getötet wurden, ist für die Frage, ob es sich
um einen Völkermord handelt, nicht entscheidend. Laut Genozid-Konvention
geht es um die Absicht der beschuldigten Partei, „eine nationale,
ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise
zu zerstören“.
## Genozidales aus dem Alten Testament
Das führt uns zu den Absichtsbekundungen israelischer Politiker. Illouz
spricht hier von fürchterlichen Rachedrohungen einer „Regierung im Schock“
nach den Hamas-Angriffen am 7. Oktober. Bald aber hätten die Politiker ihre
Aufrufe eingestellt. Nur waren es nicht nur irgendwelche Politiker, die
sich menschenverachtend äußerten, sondern auch die höchsten
Regierungsbeamten. Staatspräsident Herzog machte [5][„eine ganze Nation“
verantwortlich] für das Hamas-Massaker, Premierminister Netanjahu zitierte
[6][genozidale Passagen aus dem Alten Testament], und Verteidigungsminister
Galant [7][sprach von „menschlichen Tieren“], als er ankündigte, dem
Gazastreifen Strom und Lebensmittel vorzuenthalten.
Für Illouz sind diese Aussagen Ausrutscher im Eifer des Gefechts, während
sie in Wahrheit recht kongruent mit der israelischen Kriegsführung sind.
Auch verkennt sie, wie offenbarend diese Vernichtungsdrohungen sind. So
wies der israelische Genozidforscher Omer Bartov darauf hin, dass es [8][in
Völkermordprozessen normalerweise sehr schwierig ist], den Verantwortlichen
die Absicht nachzuweisen. In Israel aber posaunten die Politiker ihre
Intentionen für alle Welt heraus.
Illouz nennt Netanjahu daraufhin einen „grauenvollen Staatschef“, womit sie
nur zur Hälfte recht hat, denn er ist Israels Regierungschef. Trotzdem
gesteht sie dem Premier zu, einen Krieg zu führen, „um Israels Bevölkerung
zu schützen“. Ob dieser Krieg für mehr Sicherheit in Israel sorgen wird,
bleibt zu bezweifeln.
Die Soziologin macht es „stutzig“, dass sich Netanjahu für seine Taten vor
dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten soll, obwohl er
demokratisch gewählt ist. Die Regierungsform sollte bei der Bewertung von
Netanjahus Taten aber keine Rolle spielen.
Die Liste von seltsamen Argumenten und selektiven Belegen ließe sich noch
weiterführen. So rechtfertigt Illouz die israelischen Angriffe auf zivile
Einrichtungen, weil diese zum Kriegsgeschehen beitrügen. Was sie dagegen
auslässt, sind die zahlreichen Fälle, in denen das israelische Militär
[9][gezielt Universitäten, Moscheen, Schulen und Wohnhäuser sprengt], ohne
dass dort gekämpft wird.
Schließlich, schreibt sie, „können wir unserer moralischen Empörung“ üb…
die Wiederbesiedlungspläne extremistischer israelischer Siedler keinen
Ausdruck mehr verleihen, wenn der Begriff „Genozid“, „die schlimmste aller
Schändlichkeiten, bereits verbraucht wurde“. Doch, natürlich können wir
das. Gerade wenn wir im Gegensatz zu Illouz erkennen, dass die
zerstörerische Kriegsführung und die Vertreibungen die Bedingungen für die
Besiedlungsfantasien der Siedler sind.
Wichtig ist, dass der Genozidvorwurf sich nicht auf die von Illouz
angesprochene moralische Empörung beschränkt. Als Kategorie des
Internationalen Rechts entfaltet er Wirkung, weil sich alle
Unterzeichnerstaaten der Genozid-Konvention verpflichtet haben, einen
möglichen Völkermord zu verhindern oder einen abgeschlossenen zu bestrafen.
„Wir haben Waffen geliefert und wir werden Waffen liefern“, sagte dagegen
Bundeskanzler Scholz im Oktober im Bundestag. Sollte der IGH Israels Krieg
als Genzoid einstufen, bleibt zu hoffen, dass auch Komplizenschaft gesühnt
wird.
21 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.sueddeutsche.de/kultur/eva-illouz-gaza-genozid-voelkermord-lux.…
[2] https://www.theguardian.com/world/2018/aug/27/myanmars-military-accused-of-…
[3] https://time.com/5187292/rohingya-crisis-missing-parents-refugees-banglades…
[4] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)01169-3/…
[5] https://www.yahoo.com/news/israeli-president-says-no-innocent-154330724.htm…
[6] /Benjamin-Netanjahus-Kriegsrhetorik/!5964144
[7] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/defense-minister-announces-com…
[8] https://www.democracynow.org/2023/11/10/bartov_genocide_apartheid
[9] https://www.nytimes.com/interactive/2024/02/01/world/middleeast/Israel-gaza…
## AUTOREN
Leon Holly
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