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# taz.de -- Integrations-Unterricht in Bremen: Lernen, wie man schreibt und was…
> Ousmane Dupuy unterrichtet Migrant*innen, die noch nicht alphabetisiert
> sind. Er stammt aus dem Senegal und weiß, was es heißt, neu im Land zu
> sein.
Bild: Allmählich in die Sprache und Kultur hineinfinden: Die Zeit der Integrat…
BREMEN taz | Spaghetti-Fleisch – so versucht Ousmane Dupuy seiner Klasse zu
erklären, was Hackfleisch eigentlich ist. Die Blicke reichen von Verwirrung
bis Unverständnis. An der Tafel steht das Thema der Unterrichtsstunde:
„Preise und Mengenangaben“.
Die sechs Männer und drei Frauen, vor denen er im Klassenraum des
Paritätischen Bildungswerks Bremen steht, kommen unter anderem aus Syrien.
Viele hatten wenig oder gar keine Schulbildung. Deswegen fangen sie ganz
von vorn an in diesem sogenannten [1][Integrationskurs mit
Alphabetisierung.]
Zuerst bringt Dupuy ihnen Schreiben und Lesen bei – und erst dann kommt das
Sprechen und Verstehen, nebenbei vermittelt er auch alles von Sprichwörtern
bis zu Traditionen, und was die deutsche Kultur sonst so ausmacht.
Der Weg zur Integration ist vorgegeben vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (Bamf). In den 900 Unterrichtsstunden sollen die Teilnehmenden
mindestens das Sprachniveau A2 erreichen. Noch besser wäre das Niveau B1,
welches in Deutschland aktuell für Ausbildung und Berufseinstieg
erforderlich ist. Das schaffen allerdings nur wenige.
## Ein Thema pro Unterrichtseinheit
Die Alphabetisierungskurse sind laut Bamf ausgelegt für Menschen, die zum
ersten Mal lesen und schreiben lernen oder beides nicht in ausreichendem
Maße beherrschen. Dabei sollen sie gleichzeitig auch besser Deutsch
sprechen und verstehen lernen. Das ist eine besondere Herausforderung für
Ousmane Dupuy. „Die Zeit reicht nie aus“, sagt er. Ihm wäre es lieber, wenn
der Inhalt weniger und die Zeit mehr würde.
Pro Unterrichtseinheit ist ein Thema vorgesehen. Aber schon allein das
Kontrollieren der Hausaufgaben dauert die Hälfte der Zeit. Dupuy findet es
wichtig, in die Tiefe zu gehen und so lange dranzubleiben, bis es wirklich
alle verstanden haben, statt einfach ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der
Kursteilnehmer den Inhalt abzuhaken.
Ousmane Dupuy spricht sehr langsam und deutlich, fast schon in Zeitlupe.
Viele seiner Wörter begleitet er mit einer Geste. Mit seiner Stimme könnte
er auch Entspannungskurse leiten, so beruhigend und ausgeglichen klingt
sie.
Nichts bringt ihn aus der Fassung. Auch wenn ein Kursteilnehmer den Satz
„Wann kaufst du ein?“ mehrmals hintereinander falsch ausspricht, bleibt
Dupuy gelassen. Er will, dass die Aussprache sitzt und lässt eine Phrase so
lange aufsagen, bis sie richtig klingt.
Den Unterschied in der Aussprache zwischen „Vier-zehn“ und „Vier-zig“
erklärt er so lange, bis wirklich alle nicken und zeigen, dass sie es
verstanden haben. Jedes Wort, das für leere, fragende Blicke sorgt,
schreibt er an die Tafel. Die Buchstabierübung des Wortes „Packung“
scheitert, aber Dupuy weiß, was er tut.
Im Senegal hat er Germanistik studiert und dann an einem Gymnasium
unterrichtet. Danach kam er über ein Stipendium nach Deutschland, um zu
promovieren – und blieb. „An Deutschland mag ich die Ordentlichkeit und
Sauberkeit und dass sich die meisten an die Gesetzte halten“, sagt der
40-Jährige. „In meinem Heimatland ist das nicht so.“
Als Deutscher sieht sich Dupuy nach zehn Jahren hier noch lange nicht. Er
kennt das Gefühl, [2][neu im Land zu sein] und ist überzeugt, gerade
dadurch die Besonderheiten Deutschlands an seine Schülerinnen und Schüler
weitergeben zu können.
„Mir ist wichtig, alles irgendwie mit dem Alltag zu verknüpfen“, sagt
Ousmane Dupuy. Er bringt alles ein, was geht, auch außerhalb des Lehrplans.
In dieser Stunde erklärt er, was der Euro ist, wann er eingeführt wurde,
welche Farbe der Urin haben sollte und wie viele Liter Wasser jeder und
jede am Tag trinken sollte.
Den ganzen Unterricht lang stehen die Fenster auf kipp. Das Grau draußen
und das weiß-blaue Licht lassen den Raum noch kälter wirken. Die meisten
sitzen in ihrer Winterjacke da, so, als müssten sie gleich los. An den
Wänden hängen selbstgeschriebene Plakate wie man Modalverben dekliniert, in
wackeliger Schrift. Und eine Deutschlandkarte.
Die Regel, ausschließlich Deutsch zu sprechen, gilt für alle. Das macht
Dupuy auch. Er vermittelt Deutsch auf Deutsch. Die Verständigung läuft über
große Augen, „Ahs!“, „Ohs“, leere Blicke, hochgezogene Augenbrauen. Im
äußersten Fall kommt eine Ja-Nein-Frage.
Die Teilnehmer sollen auch Deutsch sprechen. Zwei Frauen unterhalten sich
immer wieder auf Arabisch. Dupuy zögert, ihn stört es, aber er lässt sich
nichts anmerken und macht weiter mit seinem Unterricht.
## Die Seele lässt sich schwer erklären
Nur manche Wörter lernt er in der Muttersprache seiner Kursteilnehmer. Das
Wort „Seele“ lässt sich seiner Meinung nach sehr schwer erklären. Deswegen
hat er [3][seine Arabischen Entsprechungen gelernt].
Zum Ende der Stunde lässt er eine Verkaufssituation nachspielen. Zwei
Freiwillige melden sich. Sie sollen sich vorstellen, sie seien auf einem
Wochenmarkt. „Ich habe Eier, Obst und Gemüse“, sagt die Person, die den
Verkäufer spielt. „Ich will Cola“, sagt die vermeindliche Käuferin. „Das
ist hier kein Supermarkt“, erwidert der Verkäufer. Alle lachen.
„Eigentlich hätten wir heute mehr schaffen müssen“, sagt Ousmane Dupuy,
schaut bedrückt nach unten. Als Hausaufgabe gibt er seinen Schülerinnen und
Schülern mit, auf einen Wochenmarkt in Bremen zu gehen und ihm in der
nächsten Woche davon zu erzählen. Das sollten sie nach dieser Stunde
können.
17 Jan 2025
## LINKS
[1] /Drohende-Kuerzungen-bei-Sprachunterricht/!6050568
[2] /Paedagogin-ueber-gefluechtete-Frauen/!6053390
[3] https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung-2/deutsch-arabisch/Seele
## AUTOREN
Mariya Abramova
## TAGS
Integration
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Schreiben
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Schwerpunkt Flucht
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Dietmar Woidke
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