# taz.de -- Klimapolitik in der Lausitz: Windräder, Wut und Widersprüche | |
> Vor Kurzem zog unsere Autorin in die Lausitz. Die erste Folge ihrer | |
> Text-Serie handelt von einer unfreiwilligen Windräder-Diskussion an der | |
> Haustür. | |
Bild: Umstrittenes Projekt, besonders unter Rechten: schwimmender Solarpark auf… | |
Es war Ende Oktober, außerdem Freitagnachmittag und es klingelte an meiner | |
Tür. „Hallo, ich glaube wir kennen uns noch nicht“, begrüßte mich ein | |
Mittfünfziger mit Klemmbrett in der Hand und zusammengerolltem A0-Plakat | |
unterm Arm. Meine Freundin Gerda und ich waren erst vor zwei Monaten auf | |
einen kleinen Hof in ein noch kleineres Dorf [1][nahe Hoyerswerda] | |
(Sachsen) gezogen. | |
Der Mann hatte recht: Wir kannten uns noch nicht. Er stellte sich als | |
Dieter vor und erklärte, er sammle Unterschriften gegen die Errichtung von | |
Windkraftanlagen [2][in der Gemeinde]. Über solche neuen Nachbarn freut man | |
sich natürlich. | |
„Oh“, sagte ich schlagfertig, bevor Dieter ausgiebig begann zu erzählen, | |
man müsse dringend gegen die Windräder vorgehen – vor allem aus | |
gesundheitlichen Gründen. Stichwort Infraschall. Nachdem ich mich nach den | |
planerischen Details erkundigt habe (und Dieter die nicht wusste), freute | |
ich mich (zu früh), dass mein Studium der Umweltwissenschaften nicht | |
umsonst war. „Wusstest du, dass man bei einer dreistündigen Autofahrt | |
ähnlich viel Infraschall ausgesetzt ist, wie wenn man 20 Jahre lang in der | |
Nähe eines Windrads wohnt?“, fragte ich den Antiaktivisten vor meiner Tür. | |
Das wusste Dieter nicht. Und das glaubte Dieter auch nicht. Also wollte ich | |
es versöhnlicher versuchen und räumte ein, dass Windkraft natürlich – wie | |
alles im Leben – auch Nachteile birgt und man über diese sprechen müsse. | |
Aber, dass uns der Klimawandel dummerweise mehr und mehr um die Ohren | |
fliegt und ein Mix aus Erneuerbaren aktuell das Beste ist, was wir haben. | |
„Das haben sie dir so in der Uni beigebracht“, lächelte mich Dieter | |
spöttisch an. Seelenruhig fuhr er fort: „Was sie dir nicht beigebracht | |
haben: Es gibt eine Energieform, die komplett kostenlos ist und ganz ohne | |
Umweltschäden funktioniert. Aber die wird uns von der Regierung | |
vorenthalten!“ Uff. | |
## Kein gemeinsamer Boden | |
Der Beantwortung meiner Frage, was das für eine Energieform sein solle, kam | |
Dieters Geheimwissen in die Quere – das könne er hier auf offener Straße | |
nicht einfach so verkünden. Stattdessen bot er an, mir bei sich zu Hause | |
entsprechende Unterlagen zu zeigen. Dieses Angebot fand ich wenig | |
verlockend. | |
Also räumte ich ein: „Ich fürchte, wir finden hier keinen gemeinsamen | |
Boden. Du kannst mir deine Quellen zeigen, aber denen werde ich nicht | |
glauben. Und ich kann dir wissenschaftliche Studien zeigen, aber denen | |
glaubst du vermutlich nicht.“ | |
Er dachte kurz darüber nach und nickte schließlich. Wir unterhielten uns | |
noch ein wenig weiter und obwohl klar war, dass Dieter und ich wohl keine | |
Freunde werden, fand ich es gut, dass wir unseren Dissens mit einer | |
merkwürdigen Form von Gelassenheit hinnehmen konnten. | |
Es wäre illusorisch zu glauben, man bekäme einen Verschwörungstheoretiker | |
bei einem Plausch an der Türschwelle bekehrt. Gleiches gilt auch umgekehrt. | |
Grundsätzlich finde ich es jedoch – innerhalb meiner persönlich definierten | |
Grenzen – hilfreich, lose im Gespräch bleiben zu können. | |
Dennoch machte sich in mir ein Gefühl von Erlösung breit, als schließlich | |
hinter ihm Gerdas Auto in die Einfahrt steuerte. Sie warf mir einen | |
irritierten Blick zu, bevor Dieter auch ihr sein Anliegen mit Bitte um | |
Unterschrift darlegte. „Nein danke – ich finde Windkraft super!“, | |
entgegnete Gerda freundlich, womit sich das Thema erledigt hatte. So | |
einfach geht es auch, na toll. | |
Bevor sich Dieter und sein zusammengerolltes Plakat verabschiedeten, | |
erhaschte ich noch einen Blick auf seine Unterschriftenliste, die prall | |
gefüllt war. Ich finde es bemerkenswert, wie sehr man sich an einem Windrad | |
stören kann. Dabei ist mir bisher häufig das Argument der „Verschandelung | |
der Landschaft“ begegnet. | |
Immerhin sind wir hier in der Lausitz, wo in den letzten 150 Jahren zur | |
Energiegewinnung buchstäblich gesamte Dörfer und ausgedehnte Landstriche | |
[3][tiefen Tagebaukratern] weichen mussten. | |
Gegen die vielerorts am Horizont qualmenden Kohlekraftwerke ist so ein | |
Windrad recht harmlos. Die Ablehnung reicht also weitaus tiefer. In vielen | |
Köpfen ist es Rechtspopulist*innen scheinbar gelungen, folgende | |
Assoziation zu manifestieren: Das Windrad steht für die Grünen. Und die | |
wiederum stehen für Klimahysterie und „von oben“ regieren und überhaupt f… | |
alles, was in diesem Land angeblich schief läuft. Bei den vergangenen | |
Landtagswahlen im September 2024 warb die AfD bei uns mit dem Slogan: | |
„Wer CDU wählt, bekommt Grün.“ Wäre gar nicht so schlecht, wenn man mich | |
fragt. In unserer Gemeinde fuhren die Grünen stattliche 1 Prozent der | |
Stimmen ein; die AfD wählte knapp jede*r Zweite. | |
## Ostdeutschland als Dürrehotspot | |
Auch im aktuellen Bundestagswahlkampf wird das Thema Antiwindkraft weiter | |
von der AfD befeuert, wie zuletzt beim Parteitag in Riesa deutlich wurde. | |
Dabei ist mir hier bisher niemand begegnet (übrigens auch nicht Dieter), | |
der den menschengemachten Klimawandel leugnet. | |
Im Gegenteil: Ostdeutschland als Dürrehotspot, zunehmende Extremhochwasser, | |
sinkende Grundwasserspiegel, Waldsterben – Themen, von denen mir | |
Nachbar*innen besorgt berichten. | |
Es ist kompliziert. Und politisch, diskursiv und emotional aufgeheizt | |
sowieso. Das Intermezzo mit Dieter hatte natürlich kein Happy End: Er zog | |
mit seiner Petition weiter in der Nachbarschaft herum, wenig später nahm | |
der Gemeinderat den Beschluss zur Errichtung des Windparks mit großer | |
Mehrheit zurück. | |
Auch Teil der Wahrheit ist: Beinahe die einzige Stimme im Gemeinderat, an | |
den Ausbauplänen festzuhalten, kam ausgerechnet von unserem | |
CDU-Bürgermeister. Parallel dazu startete ein umfangreiches Pilotprojekt zu | |
schwimmenden Photovoltaikanlagen auf einem nahegelegenen Tagebausee. | |
Kurz darauf fand ich mich beim Tischtennis in unserer Dorfkneipe mit einer | |
Handvoll Rentnern bei einem interessierten Fachgesimpel über die Vorteile | |
von Wärmepumpen wieder. | |
Das ist eine andere Geschichte. Dass Dinge bei genauerer Betrachtung selten | |
schwarz-weiß sind, ist kein Geheimnis. Für mich ist die sächsische | |
Oberlausitz, wie ich sie bisher kennenlernen durfte, ein Paradebeispiel für | |
scheinbar widersprüchliche Gleichzeitigkeiten: | |
Wegzug und Zurückkehren, Angst und Zuversicht, rechte Strukturen und | |
zivilgesellschaftliches Engagement. Meckern im Großen und machen im | |
Kleinen. Manchmal auch umgekehrt. Frust und Einfallsreichtum. Schwarze | |
Pumpe und schwimmende Photovoltaik. Opferrolle und Emanzipation, Wut und | |
Humor, graue Plattenbauten und neue SUVs. Vergangenheit und Zukunft. Und | |
natürlich alles dazwischen. | |
In den kommenden Wochen möchte ich ein paar der Geschichten erzählen, die | |
Gerda und ich beim Ankommen in der Lausitz erlebt haben. Oft sind sie | |
skurril, nachdenklich, lustig und besorgniserregend zugleich. Für mich | |
bisher immer lehrreich. Nur was auf dem A0-Plakat von Dieter stand, weiß | |
ich bis heute nicht. | |
Dies ist der erste von sechs Texten der Reihe „Geschichten aus der | |
Lausitz“. Sie erscheinen wöchentlich bis zur Bundestagswahl am 23. 2. | |
15 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Linda Leibhold | |
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