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# taz.de -- Symposium in Köln über Zeit im Film: Vom Verschwinden und Festhal…
> Vergangenes ausgraben: Eine Tagung in Köln ging der Organisation von Zeit
> in dokumentarischen und experimentellen Filmen nach.
Bild: Still aus „Wow Kodak“ von Viktoria Schmid
Wie in Rom werden auch in Köln immer wieder im Untergrund Fundstücke
geborgen, aus dem antiken Römerhafen bis in jüngere Zeiten. Jetzt war die
Domstadt unter dem anspielungsreichen Titel „Doing Time“ Schauplatz einer
Tagung, die sich „Dokumentarischen Operationen im Umgang mit Zeit“ widmet.
Auf dem Seziertisch lag der Film, der als „zeitbasiertes Medium“ ja selbst
der Vergänglichkeit unterliegt. Doch auch die äußere Zeit kommt in den
Film. Und auch die Frage danach, wie die Zeit organisiert oder manipuliert
wird.
Michelle Koch, [1][Leiterin der DFI (Dokumentarfilminitiative]) stellte in
einem Impulsreferat mit experimentellen Kurzfilmen die Methoden vor: Von
der „klammheimlichen“ Montage im klassischen Realismus bis zur
Zerstückelung durch Zooms und schnelle Schnitte. In der Verdichtung und
Auflösung durch Zeitraffer und Überblendung. Oder der Umkehr: „WOW Kodak“
(2018) von Viktoria Schmid hat auf youtube gefundenes Material von der
Sprengung des Eastman-Kodak-Gebäudes in Rochester so bearbeitet, dass der
rote Koloss fünfmal als Olymp des analogen Films aus den Qualmwolken der
eigenen Vernichtung aufsteigt.
Und Larry Gottheims „Fog Line“ (1970) präsentierte mit fast starrem Blick
auf vernebelte Bäume eine ganze Sektion der Filmlandschaft, wo spürbare
Dauer das Filmerlebnis intensiviert und reflektiert.
Die Grenzen zwischen Experiment und Dokumentarfilm sind dabei fließend:
„Hotel Monterey“, [2][Chantal Akermans] 1972 mit Kamerafrau Babette
Mangolte in einer einzigen Nacht gedrehter erster Langfilm zerdehnt die
Zeit in ausgiebigen Shots auf eine belebte Lobby, einen Lift, Flure und
Zimmer eines New Yorker Billighotels mit morbiden Charme: Für manche eine
spannende meditative Reise, für andere Langeweile – auch, weil sich Akerman
jeder Narration verweigert.
## 36 Jahre in 83 Filmminuten
Geradezu konträr der über ambitionierte Versuch von Helena Třeštíková, 36
Jahre Lebenszeit in 83 Filmminuten zu packen. Die 1949 geborene
tschechische Regisseurin hat einen Ruf für von ihr selbst als
„Film-Sammelei“ bezeichneten Langzeitbegleitungen oft prekär lebender
Personen und für ihren mengenmäßig fast maschinellen Output: „Private
Universe“ (2012) begleitet das Leben des Protagonisten in einer auf
Publikumseffekte gebauten Montage aus Archiv-Schichten von
Tagebuchschnipseln des Vaters bis zu ironisch eingesetzten historischen
Fernsehbildern, die politischen und populären Zeitkontext zitieren.
Größter Mangel des Films (neben einer Tendenz zur Bevormundung des
Protagonisten) ist wohl die fehlende Brechung/Reflexion der väterlichen
Perspektive auf die Ereignisse, die dem Ganzen den Odor einer patriarchalen
Familiensaga gibt.
Hetero-normative Sichtweisen seien Standards im Genre der
Langzeitbeobachtung nicht nur bei Třeštíková, erläuterte die
Filmwissenschaftlerin Marion Biet in einem Vortrag, erzählt würde gerne in
„reproduktiven Kreisläufen“, aus denen queere und andere Personen ohne
Nachwuchs heraus fallen.
Dass auch Archive nach ähnlichen Parametern um legitime Nachfolge
organisiert sind, betonte in Köln der Regisseur Jasco Viefhues, der in
„Rettet das Feuer“ (2019) neben einer intensiven Annäherung an die Person
des 1993 an den Folgen von HIV verstorbenen schwulen Berliner Fotografen
Jürgen Baldiga auch dessen Nachlass im Archiv des Schwulen Museums in den
Blick setzt. Es gehe um „experimentelle Erinnerungsarbeit“, so Viefhues,
bei der der Film am Ende nur Nebenprodukt sei: „Jede Kiste, die man
aufmacht, ist ein Universum.“
Die Jahres-Symposien der DFI NW sind seit Jahrzehnten für am Dokumentarfilm
Interessierte bundesweit Forum und Inspirationsquelle. Seit Herbst 2023
zeichnet (erst mal kommissarisch) Michelle Koch für das Programm
verantwortlich, das in diesem Fall aber noch von der krankheitsbedingt
ausgeschiedenen Vorläuferin Judith Funke auf den Weg gebracht worden war.
## Der letzte der Familie
2016 hatte sich die DFI unter dem Titel „Bilderströme“ schon einmal mit der
Geschichte befasst und dazu auch den [3][Dokumentarfilmer Thomas Heise] zu
einem verbalen „Einwurf“ (Titel: „Zukunft ist Vergangenheit und Gegenwart
ist das, was bleibt“) eingeladen, wo dieser von einem geplanten Filmprojekt
mit dem Arbeitstitel „Verschwinden“ sprach, in dem er „als letzter seiner
Familie ein Bild von Geschichte an unbekannte zukünftige Zuschauer“
vermitteln wolle.
Nun sollte Heise mit diesem Film zu Gast sein, doch – wie die meisten
wissen – starb er unerwartet im Mai noch während der Planung der Tagung. So
war die Frage nach der Zeit im Film mit dem Tod selbst an ihren Kern
gekommen. Heises Film „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ (2019) wurde in Köln
von Editor Chris Wright vertreten, der darauf hinwies, dass Heises
gewichtiges Vermächtnis zur deutschen Geschichte (mit dem Ende seiner
eigenen Familiengeschichte) auch ein Beispiel queerer Zeitlichkeit sei.
13 Jan 2025
## LINKS
[1] /Tagung-der-Dokfilm-Initiative-NRW/!5497328
[2] /Buch-ueber-Regisseurin-Chantal-Akerman/!5752741
[3] /Nachruf-auf-Thomas-Heise/!6014286
## AUTOREN
Silvia Hallensleben
## TAGS
Dokumentarfilm
Experiment
Langeweile
Symposium
Dokumentarfilm
Siedlungen
Film
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